Goya in Basel

Meister aller Schrecken

Schonungslos realistisch war er, düster und brutal: Francisco de Goya. In Basel widmet ihm die Fondation Beyeler nun eine spektakuläre Ausstellung, die einen der letzten großen Hofkünstler zugleich als Wegbereiter der Moderne vorstellt

Von Ulrich Clewing
04.11.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 192

Aber die Ausstellung hat noch mehr zu bieten. Bei den sogenannten Kabinettbildern Goyas handelt es sich um jene Werke, die er, was damals ungewöhnlich war für den Hofmaler des Königshauses, im eigenen Auftrag für den Kunstmarkt anfertigte. Einer der Käufer dieser kleinformatigen Gemälde war der dritte Marqués de la Romana, im Inventar seines Nachlasses aus dem Jahr 1811 sind elf aufgeführt. Acht davon haben den Weg nach Riehen gefunden, Leihgeber sind die Nachfahren des Marqués, die die Bilder immer noch besitzen. Einige dieser äußerst selten öffentlich ausgestellten Arbeiten, die Spanien nun zum ersten Mal seit 200 Jahren verlassen, wirken, als hätte Goya die Berichte der hauptstädtischen Polizei illustriert: Zwei behandeln den Mord an einem wohlhabenden Geschäftsmann, Francisco del Castillo, den seine junge Frau und ihr noch jüngerer Cousin und Liebhaber am 9. Dezember 1797 in Madrid begangen hatten („Der Besuch des Mönchs“ und „Das Innere eines Gefängnisses“). Drei andere schildern den Überfall auf Reisende in den Bergen, der für alle ein tödliches Ende nimmt. Goya hat in dieser Serie von Gemälden aus den Jahren 1806–10 aber auch das „Hospital für Pestkranke“ gemalt, einen „Angriff auf ein Militärlager“ und eine Gruppe Menschen, die in einer Höhle Rast machen.

Der Charakter des Dokumentarischen in diesen „Caprichos“ offenbart eine Spezialität Goyas. Denn er scheint dabei nicht urteilen oder belehren zu wollen – er stellt einfach dar, malt, was ist. Und dies wirft auch ein neues Licht auf seine Schilderungen von Gräueln des Krieges, seine Zeichnungen von Bettlern und Alten: Er sieht sich offenkundig nicht nur als Psychologe seiner selbst und anderer, nicht nur als Kritiker seiner Epoche, sondern auch als ihr Chronist, der nur beobachtet und dabei Abstand wahrt. Es ist diese Uneindeutigkeit – das, was Martin Schwander in seiner Einleitung im hervorragenden Katalog zur Ausstellung den „dialektischen Prozess von Anziehung und Abstoßung“ nennt –, die Goya künstlerisch zu einer solch schillernden Figur macht.

Die Ausstellung in Riehen bringt einem Goya aber noch auf eine andere Art nahe. Da sie Gemälde aus rund vier Jahrzehnten vereint, lassen sich in den Räumen der Fondation Beyeler auch signifikante Änderungen in Goyas Stil und Malweise nachvollziehen. „Goya war kein Mozart“, sagt Martin Schwander, der Kurator, „er zählte nicht zu denen, die mit Zwanzig bereits vollendet sind. Den Weg in die Virtuosität hat er sich hart erarbeitet.“ Doch auch an den frühen Werken zeigt sich eine weitere Eigenschaft, die Goyas Beliebtheit schon zu Lebzeiten erklärt. Er verstand es, in seinen Gemälden Details und Querverweise unterzubringen, die sein gebildetes Publikum herausforderten – als Bilderrätsel, die es zu lösen galt. Und die, wenn sie gelöst waren, denen schmeichelten, die als Erste auf die Auflösung gekommen waren. In den Katalogaufsätzen wird ausführlich beschrieben, welche und vor allem wie viele versteckte Hinweise sich in Gemälden wie „Der Töpferwarenverkäufer“ von 1778/80, dem ältesten Bild in der Ausstellung, oder der „Familie des Infanten Don Luis“ von 1783/84 finden.

Goya wurde von anderen Künstlern stets geschätzt und bewundert, angefangen bei Eugène Delacroix und Édouard Manet, den Schriftstellern Théophile Gautier und Charles Baudelaire über Pablo Picasso, die Surrealisten bis zu Zeitgenossen wie Marlene Dumas und dem bereits erwähnten Philippe Parreno. Diese Schau liefert überzeugende Argumente, damit das auch in Zukunft so bleibt.

Service

AUSSTELLUNG

„Goya“,

Fondation Beyeler, Riehen/Basel,

bis 23. Januar 2022

fondationbeyeler.ch

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