Auch 200 Jahre nach seinem Tod lässt Napoleon Bonaparte die Menschen nicht los. Für Objekte aus seinem Besitz und Umfeld werden hohe Summen gezahlt, das uferlose Angebot an Memorabilien bedient hingegen jeden Geschmack und Geldbeutel
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06.12.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 193
Der Ring, den Napoleon Joséphine zur Hochzeit schenkte, war 2013 bei Osenat bescheiden auf 13 000 Euro geschätzt. Dann lautete das Höchstgebot aber 730.000 Euro. Es wirkt jedoch noch bescheiden gegenüber den 3,3 Millionen Franken, die Christie’s in Genf 2005 für die Perle erlöste, die Napoleon 1811 bei seiner zweiten Ehe der habsburgischen Kaisertochter Marie-Louise dedizierte. Für 40.000 Gold-Franc hatte er die Perle erstanden, die fortan den Namen „La Régente“ erhielt – und die später Kaiserin Eugénie und Prinz Jussupow besaßen.
Das Thema „Napoleon und die Frauen“ kann sich also als ein teures Vergnügen erweisen. Es sei denn, der Sammelehrgeiz geht nicht über Alltäglichkeiten, Miniaturporträts, Stiche, Dosen, Statuetten, Figürchen, hinaus. Beispielsweise die Porzellane der Thüringer Manufaktur Scheibe-Alsbach. So waren bei Hermann Historica Napoleon und Luise von Preußen, goldgefasst, für 1600 und der schlafende Napoleon mit seinem Sohn für 600 Euro zu haben. Die kaiserliche Karosse, vier Pferde vorgespannt, in der das Brautpaar zur Hochzeit kutschiert wird, kostete in Amerika im letzten Jahr einmal 175, ein anderes Mal 400 Dollar. Bei Mehlis mussten dagegen, obwohl es eine Ausformung aus DDR-Zeiten war, vor drei Jahren dafür 1300 Euro aufgewendet werden.
Solche anekdotisch unterfütterten Niedlichkeiten sind charakteristisch für den Markt der Napoleon-Souvenirs. Allenthalben begegnet man Bonaparte en miniature als Ganzfigur, stehend, sitzend, reitend. Besonders die kleinen, oft gegossenen Bronzeskulpturen des 19. Jahrhunderts sind heute immer noch für viele Sammler attraktiv und oft fünfstellige Preise wert. So kostete die golden patinierte Reiterstatuette von Jean-Léon Gérôme – Bonaparte mit seinem Hut grüßend beim Einzug in Kairo – in diesem Herbst 27.700 Euro (Sotheby’s Paris) und 57 700 Pfund (Bonhams London).
Den Büsten in Silber, Bronze, Porzellan oder Elfenbein dient oft der Kopf von Canovas Napoleon als „Mars Pacificus“ als Vorbild. Meist klein und vertikotauglich. Aber auch 93 Zentimeter hoch und in Marmor ist er zu haben: Im November kam ein solches Prachtstück bei Van Ham, geschätzt auf 32.000 bis 42.000 Euro zum Aufruf und erzielte am Ende mit Aufgeld 43.600 Euro. Auch als Siegelstempel oder Pfeifenkopf sowie auf Dosen, gemalt, geschnitzt oder als Relief, begegnet man ihm. Mal mit Hut und mal ohne, gelegentlich mit Lorbeerkranz oder nur auf das von Herrschaftssymbolen umrandete „N“ reduziert. Die Braunschweiger Firma Stobwasser hat mit ihren Lackmalerei-Dosen dieses Genre eifrig gepflegt. Als Napoleon noch mächtig war, erscheint er als Reiter vor der Front oder zusammen mit zwei verwundeten Veteranen nach Austerlitz. Nach Waterloo wurden dann Spottbilder bevorzugt.
Vorbilder waren gewöhnlich englische Karikaturen, die in Deutschland vor allem durch die Nachstiche in Bertuchs Journal „London und Paris“ bekannt wurden. Die aber findige Kolporteure direkt importierten und die heute regelmäßig bei Auktionen auftauchen. Das macht dieses Segment der Napoleonika schwer überschaubar, aber auch reizvoll. Die Preise schwanken zwischen wenigen Hundert und mehreren Tausend Euro. Das hängt von der Druckqualität und dem Erhaltungszustand wie von der Höhe der Auflage ab, die wegen der häufigen Nachdrucke und Raubkopien schwer zu bestimmen ist. Relevant für den Wert ist auch, ob sie anonym erschienen oder von beliebten Zeichnern wie Vater und Sohn Cruikshank, James Gillray oder Thomas Rowlandson stammten. Das sogenannte „Leichengesicht Napoleons“, das sein Profil wie bei Arcimboldo aus nackten Leibern bildet, gibt es in vielen Abwandlungen. Mehr als niedrigere dreistellige Summen muss man dafür nicht zahlen.
James Gillrays Bildsatire „Madame Talian and the Empress Josephine Dancing Naked before Barras in the Winter 1797“, die Napoleon besonders hasste, weil es unterstellte, der Directoire-Politiker Paul Barras habe ihm Joséphine, nachdem er ihrer überdrüssig war, mit Berechnung zugeführt, ist vierstellig zu zahlen. Und für Gillrays Karikatur über den britischen Premier William Pitt und Bonaparte, die sich den Globus wie einen Plumpudding aufteilen, mussten 15.000 und 21.000 Euro bezahlt werden.
In England entstand eine kaum überschaubare Zahl dieser Karikaturen, die ihn zum glücklosen „Little Boney“ schrumpfen ließen, nachdem seine Ambitionen, die Insel zu erobern, gescheitert waren. Also versuchte Napoleon 1804 in dem Vertrag von Amiens mit Großbritannien festzuschreiben, dass die Karikaturisten den Mördern und Fälschern gleichgestellt und auf Verlangen an Frankreich ausgeliefert würden. Auf dem Kontinent war man sich deshalb bewusst, wie riskant der Spott sein konnte. Johann Michael Voltz, Johann Gottfried Schadow, auch E. T. A. Hoffmann und die anderen wagten sich darum erst nach der Leipziger Völkerschlacht und Niederlage des Eroberers auf dieses Terrain.
Zuvor mangelte es nicht an Huldigungsblättern, die Napoleons Siege, seine Fürsorge für seine Soldaten oder die Krönungszeremonien unters Volk bringen sollten. Dem dienten auch die Prunkgemälde von Gros, David und Ingres. Und die vom Kaiser wiederbegründete Porzellanmanufaktur Sèvres entrichtete ebenfalls Tribut, indem sie in seinem Auftrag eine Vase, rotfigurig „im etruskischen Stil“, kreierte, auf der die antiken Götter Napoleon huldvoll begegnen. Eine ist in Schloss Fontainebleau zu sehen. Und die andere – 3200 Livres zahlte Napoleon 1808 für das Paar, das als Geschenk an Prinz Wilhelm von Preußen gedacht war – konnte Christie’s 2014 in London für 146.500 Pfund verkaufen.
Während Napoleon zu Lebzeiten jenseits der französischen Grenzen und der von ihm eroberten Gebiete als eine Art Menschenfresser galt, der ganz Europa zu verschlingen trachtete – ein Nachklang ist das merkwürdige Gemälde „Gewissensbisse des korsischen Ungeheuers“ von James Ensor, das, auf 400 000 bis 600 000 Euro geschätzt, im September bei Sotheby’s allerdings keinen Käufer fand –, änderte sich nach Napoleons Tod im Zuge der Restauration allmählich sein Bild, und er wurde zur Kontrastfigur gegenüber den nicht mehr zeitgemäßen absolutistischen Herrschern in Europa. Die Souvenirs verkörperten so die von den Realitäten unbeeinflussten Ideale der Revolution. Auch in Preußen waren Statuetten im Berliner Eisenguss genauso möglich wie Napoleons Sarg als Schreibzeug.
Napoleons postumer Ruhm hat die Künstler nicht ruhen lassen. Benjamin Haydon malte ihn 1843 von hinten als einsamen Soldaten, der von einem Felsen auf St. Helena über das Meer blickt. Londons National Portrait Gallery besitzt die Erstfassung, aber insgesamt sind 23 Versionen bekannt. Eine davon erzielte jetzt bei Bonhams 6400 Pfund. Napoleon auf dem Totenbett, mal karg und schmucklos, mal mit Uniform und Hut, wie er beerdigt wurde, entwickelte sich zu einem oft gemalten und immer wieder gestochenen Sujet. Und auch die Totenmaske, in Gips multipliziert und in Bronze gegossen – 176.000 Euro kostete im September bei Sotheby’s eine Version von Francesco Antommarchi –, gehört zu den Memorabilia, die zwar nur in wenigen Exemplaren authentisch sind, aber die als Nachguss vom Nachguss nicht selten Authentizität beanspruchen.
Da hat man es mit Gemälden einfacher. Horace Vernets Imagination von Napoleons Grab auf einem Felsvorsprung über dem Meer – 1821 entstanden, die eigenhändige Replik besitzt die Wallace Collection – verdreifachte seine Schätzung 2017 bei Sotheby’s in Paris auf 68.800 Euro brutto. Halb so teuer war Vernets Napoleon, der aus seinem Grab steigt, bei Pandolfini in Florenz. Ein Kopfstück von Ferdinand Jagemann nach David stieg 2018 bei Lempertz von 4000 auf 81.000 Euro. Von einigen Tausend bis zu den 1,4 Millionen Pfund für „Napoleon als Erster Konsul“ in Ganzfigur von Antoine-Jean Gros (erreicht 2005 bei Christie’s London) bewegen sich die Auktionspreise für die Gemälde – ein nicht unerheblicher Teil an Rückgängen eingeschlossen. Und zwei Millionen Dollar waren 2004 für „Napoleons Pferd“ zu zahlen, porträtiert von Théodore Géricault.
Denn es sind keineswegs nur weniger bedeutende Künstler, die zum Nachruhm beitrugen. William Turner setzte ihm mit „War. The Exile and the Rock Limpet“ ein eigenwilliges Denkmal. Da steht Napoleon aufrecht, sich in einem Teich spiegelnd und von einem britischen Soldaten im Hintergrund bewacht, in einer typischen Turner-Atmosphäre. Das bewahrt die Tate Gallery.
Eher zum Zug kommt man unter Malern wie Ernest Meissonier, Jean-Baptiste Édouard Detaille, Paul Delaroche und anderen, die auf die Bonaparte-Manie im zweiten Kaiserreich unter dem dritten Napoleon reagierten. Eine Option ist auch Toulouse-Lautrecs Farblithografie mit dem reitenden Feldherren von 1895, die hundertmal abgezogen wurde; sie war in den letzten Jahren für fünf- und niedrige sechsstellige Summen zu haben.
Und dann ist da noch der Blick zeitgenössischer Künstler auf Napoleon. Etwa Jonathan Meeses etwas überlebensgroße Bronzeskulptur, die sich eigentlich nur durch den Hut definiert. Oder César, dessen Plastik sich lediglich durch den Titel als „Napoléon“ zu erkennen gibt. Als „Two Napoleons Crossing the Alps“ travestiert Peter Saul den Ritt Napoleons samt Frau über den St. Bernhard. Und auch Dalí hat sich auf einer Radierung, die auf Auktionen zwischen 300 und 3000 Euro rangierte, den Reiter über den Alpenpass angeeignet – obwohl Napoleon tatsächlich auf einem Maultier frierend die Höhe überschritt, wie es Hippolyte Delaroche malte. Kehinde Wiley, nicht nur durch sein Obama-Porträt berühmt, schwingt sich selbst auf das Pferd – das große, poppig realistische Bild ist im Brooklyn Museum zu bestaunen.
So bildträchtig wie Napoleon selbst ist der mächtige Sarkophag im Invalidendom. Bei Jochen Stücke wurde daraus ironisch und ambivalent die Zeichnung „Napoleons letzte große Niederlage in der Schlacht gegen den Tourismus“, weil das Gewimmel der Besuchern am Sarkophag jegliche Würde wegspült. Die Napoleonika-Sammler mag das irritieren oder verärgern. Ihre Lust auf das, was von Napoleon übrig blieb, wird es kaum mindern. Für manche sind es faszinierende historische Zeugnisse, für andere sogar verehrte Reliquien. Oder wie im Fall des teuersten Hutes oder des Säbels prestigeträchtige Imponierstücke. Was immer der Antrieb auch ist, wer mit Leidenschaft, Ehrgeiz und zunehmendem historischen Wissen eine Napoleon-Sammlung aufbaut, wird sich – ungeachtet der Zweifel, die dem Dichter später kamen – an Heinrich Heine halten: „Napoleon war nicht von dem Holz, woraus man Könige macht – er war von jenem Marmor, woraus man Götter macht.“
Hier geht’s weiter zum Service des Sammlerseminars zu Napoleonika.