Kulturerbe im Ukraine-Krieg

„Plünderungen bereiten uns große Sorgen“

Die ALIPH Foundation finanziert ein Notfallprogramm zur Rettung des Kulturerbes der Ukraine. Ein Gespräch mit Sandra Bialystok über Materialbeschaffung, die konkreten Bedrohungen vor Ort und die Erfahrung von Beirut

Von Simone Sondermann
23.03.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 5/22

Frau Bialystok, die International Alliance for the Protection of Cultural Heritage in Conflict Areas, kurz ALIPH, hat jüngst 2 Millionen Dollar als Notfallhilfe zum Schutz des Kulturerbes in der Ukraine freigegeben. Zunächst einmal: Was ist die ALIPH Foundation, und welche Ziele verfolgt sie?

ALIPH ist eine internationale Stiftung im Sinne des Schweizer Rechts, also den gleichen Regeln unterworfen wie die UN-Organisationen hier in Genf. Wir sind sehr klein, es arbeiten nur zwölf Personen bei ALIPH. Wie sind auch noch sehr jung, uns gibt es seit 2017, seit 2018 arbeiten wir operativ. Wir wurden gegründet, um mit unserem Fonds das Kulturerbe in Konflikt- und Post-Konfliktgebieten zu schützen – vor dem Hintergrund der massiven kulturellen Zerstörungen durch Daesch, das heißt den Islamischen Staat, im Nahen Osten in den vergangenen zehn Jahren. Leider wird unsere Arbeit jetzt mehr und mehr auch in anderen Kriegs- und Konfliktgebieten gebraucht. Wir finanzieren mehr als 150 Projekte in 30 Ländern. Wir wollen konkret und möglichst schnell unterstützen. Es ist uns wichtig, auf aktuelle Situationen, wie jetzt etwa in der Ukraine, agil und zeitnah zu reagieren. Wir waren zum Beispiel eine der ersten Organisationen, die im Sommer 2020 nach der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut Unterstützung zum Schutz des Kulturerbes geleistet haben. Und im März 2020 haben wir gleich ein Programm zur Unterstützung von Kulturarbeiterinnen und -arbeitern aufgelegt, die von Covid betroffen sind.

Was sind Ihre wichtigsten Projekte?

Ich komme gerade aus Beirut zurück, deshalb sind mir die Projekte dort besonders präsent. In Beirut haben wir einen 5-Milliarden-Dollar-Notfallplan aufgelegt. Bislang haben wir den Wiederaufbau beziehungsweise die Sanierung und Stabilisierung von drei Museen finanziert, darunter das Sursock Museum, das massiv beschädigt war, weil es nur 800 Meter vom Hafen entfernt liegt. Aber auch den Wiederaufbau von zwei Schulen und 40 historischen Gebäuden. Im Moment planen wir dort weitere Projekte, nachdem die ersten nun abgeschlossen sind. Wir haben zudem eine Reihe von Projekten in Irak, ein großes ist das Mosul Museum …

… das im Jahr 2015 durch die Terrororganisation Islamischer Staat zu großen Teilen zerstört wurde, was weltweit für Empörung sorgte.

Das Mosul Museum unterstützen wir seit 2018, es war also eines unserer ersten Projekte. Wir arbeiten mit dem Louvre, der Smithsonian Institution, dem World Monuments Fund und natürlich irakischen Institutionen wie dem State Board of Antiquities and Heritage zusammen, um die Museen wiederherzustellen, nicht nur die Gebäude, sondern auch die Sammlungen. Das ist ein Multi-Millionen-Dollar-Projekt. Es ist immer schwierig, in Irak zu arbeiten, und Covid hat vieles noch erschwert, aber die Experten des Louvre und der Smithsonian haben einen sehr guten Job gemacht, um etwa die Museumsmitarbeiter auf virtuellen Wegen darin zu schulen, ihre Sammlungen zu restaurieren. Ein weiteres großes Projekt in Irak ist Hatra, eine Stadt des antiken Partherreichs, die durch den Islamischen Staat massiv zerstört wurde. Als damals in den sozialen Medien das Zerstörungswerk kursierte, war Hatra eine der kulturellen Stätten, die man dabei zu sehen bekam. Dort haben wir zum Beispiel ein Notfallprogramm initiiert, um die erhaltenen Statuen zu stabilisieren und vor der endgültigen Zerstörung zu bewahren. Daneben gibt es noch weitere Unternehmungen in Irak, darunter Stätten der Jesiden, die gefährdet sind. In Afghanistan hatten wir auch große Projekte, die jetzt erst mal on hold sind und langsam und vorsichtig wieder aufgenommen werden können. Wir arbeiten immer mit Partnern, kleinen und großen NGOs oder Museen und Forschungseinrichtungen.

ALIPH Foundation Sandra Bialystok
Sandra Bialystok ist Sprecherin der ALIPH Foundation, einer Organisation zum Schutz des Kulturerbes in Konfliktgebieten mit Sitz in Genf. © Nicolas Joly

Wie finanziert sich Ihre Organisation?

Wir haben Gebernationen und private Geldgeber. Gegründet wurde ALIPH von Frankreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Im Januar dieses Jahres gab es eine Konferenz, in der die Zuwendungen neu vereinbart wurden. Unsere Gebernationen heute sind Frankreich, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, außerdem unter anderem Luxemburg und Marokko. Unser Sitz ist in der Schweiz. Zu unseren privaten Mäzenen gehören der Amerikaner Dr. Thomas Kaplan, der auch unser Vorstandsvorsitzender ist, der Schweizer Jean Claude Gandur und die Andrew W. Mellon Foundation.

Nun zur Situation in der Ukraine: Wie helfen Sie mit Ihrem Geld dort vor Ort? Gibt es schon konkrete Projekte?

Ja, auf jeden Fall. Wir geben das Geld immer so schnell wie möglich frei, damit es gleich eingesetzt werden kann. Es gibt in der Ukraine bislang 30 Projekte, die wir finanzieren. Diese Projekte, das ist noch wichtig zu sagen, werden an uns von ukrainischen Kulturexperten herangetragen: Museumsdirektorinnen und -direktoren, Restauratoren, Wissenschaftlerinnen. Durch ein wissenschaftliches Netzwerk in Polen sind wir mit diesen Personen in Kontakt gekommen, ihre Anfragen gelangen über Polen zu uns. Es ist also ein sehr netzwerkbasiertes Arbeiten gerade, quasi underground. Dabei geht es bislang vor allem um den Schutz von Museumssammlungen. Wir haben bis dato 30 Museen im Westen und Süden der Ukraine unterstützt, vor allem indem wir den Erwerb von Schutzausrüstung finanziert haben: Boxen, Holzkisten, Feuerlöscher. Von den Leuten vor Ort hören wir, dass sie Kisten und Feuerlöscher am meisten brauchen. Also versuchen wir, das Material außerhalb der Ukraine zu beschaffen und dann ins Land bringen zu lassen. Außerdem feuerfeste Decken und Verpackungsmaterial, um die Kunstwerke sicher zu verpacken und unterzubringen. Wir unterstützen die Institutionen darüber hinaus bei der sicheren und sachgemäßen Lagerung der Werke. Ein Problem ist Feuchtigkeit, es bedarf ausreichend trockener Unterbringungsorte, damit Ikonen zum Beispiel, die sehr empfindlich sind, keinen Schaden nehmen.

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