Johann Moritz Rugendas’ Gemälde sind gefragter denn je. Im Gegensatz zu den malerisch reizvolleren Ölstudien sind vor allem ausgearbeitete Atelierbilder unter den am höchsten bewerteten Losen zu finden
Von
21.04.2022
/
Erschienen in
Kunst und Auktionen 7/22
Sind in den Arbeiten sogenannter „Reisekünstler“, die im Europa des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebten, wirklich Kunstäußerungen zu sehen? Oder haben ihre um Objektivität bemühten Studien zu Botanik, Landes- und Völkerkunde überwiegend dokumentarischen Wert, zumal sie häufig als Illustrationsmaterial für Reiseliteratur und wissenschaftliche Kompendien gedacht waren? Und trug ihr in beachtlichen Auflagen publizierter Blick auf indigene Bevölkerungsgruppen zum menschenverachtenden Rassismus des „weißen“ Europa bei, der jede Form der Ausbeutung legitimierte und in der Degradierung der angeblichen „Wilden“ in den berüchtigten Kolonialschauen einen weiteren beschämenden Höhepunkt fand? Auf die Antwort zur ersten Frage konnte man sich immerhin einigen: Wenigstens nach dem Verständnis ihrer Zeit widersprach künstlerischer Ausdruck dokumentarischem Anspruch zunächst nicht, zumal sich die betreffenden Künstler innerhalb akademischer Bildtraditionen bewegten und sich an zeitgenössischen wie auch historischen Vorbildern orientierten; inwieweit argloser Forscherdrang und romantisches Fernweh sie zu Handlangern des eurozentrischen Suprematismus machten, wäre indessen noch genauer zu ergründen.
Als Protegé des Universalgelehrten und Humanisten Alexander von Humboldt teilte der aus einer Augsburger Malerfamilie stammende Südamerika-Spezialist Johann Moritz Rugendas (Augsburg 1802–1858 Weilheim/Teck) dessen kritische Distanz zu den kolonialen Strukturen, denen er auf seinen ausgedehnten Reisen durch Mexiko und den südamerikanischen Kontinent begegnete. Wenn viele seiner Motive das europäische Interesse an exotischen Sujets bedienten, so hielt er doch nicht nur landschaftliche Sehenswürdigkeiten und das pittoreske Treiben in den überwiegend europäisch geprägten Städten fest, sondern setzte sich auch realistisch mit den harten Lebensbedingungen der schwarzen Sklaven sowie der zum Teil noch frei lebenden Indianer auseinander. Bei der Aufbereitung geschichtlicher Ereignisse machte er oft keinen Hehl daraus, dass er die Perspektive der eingewanderten Oberschicht nicht teilte. In einem kleinen Historienbild, das 1832 in Mexiko entstand, der ersten Station seines zweiten Amerika-Aufenthalts nach einer Brasilien-Reise 1822/25, zeigte er Flagge: Seine „Schlacht von Otumba“ bezieht sich auf einen entscheidenden Sieg des spanischen Konquistadoren Hernando Cortés über die Azteken, wobei Rugendas das Kampfgeschehen nicht aus Sicht des Siegers, sondern des Verlierers schilderte. Nachdem er 1834 auch noch in politische Unruhen verwickelt wurde, verwies ihn die mexikanische Obrigkeit unzeremoniell des Landes.
Rugendas verzog sich auf den südamerikanischen Kontinent und erkundete nacheinander Chile, Peru, Bolivien, Argentinien und Uruguay, bevor er nach einem weiteren Aufenthalt in Brasilien 1847 endgültig nach Deutschland zurückkehrte. Dort war unterdessen auch sein Mentor Humboldt nicht untätig geblieben: Auf seine Empfehlung hin erwarb Friedrich Wilhelm IV. rund 250 Ölskizzen, die dem Kupferstichkabinett in Berlin überlassen wurden und in die dortige Ausstellung von 2009 einflossen. 1848 sicherte ihm der Ankauf durch den Bayerischen Staat von über 3300 weiteren Ölskizzen und Zeichnungen überwiegend aus den südamerikanischen Jahren eine lebenslange Leibrente. Vier Jahre später gab Maximilian II. von Bayern zwar noch die monumentale Historie „Die Landung des Kolumbus in Amerika“ bei ihm in Auftrag, doch Rugendas’ Karriere hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Zenit längst überschritten. Das internationale Ansehen, das er nach seiner Publikation „Voyage Pittoresque dans le Brésil“ mit Zeichnungen von seiner ersten Brasilien-Reise genoss, war verblasst, und überhaupt hatte sich der Markt für seine Spezialisierung nicht annähernd so tragfähig gezeigt wie wenig später für die prunkende Orientmode der Gründerjahre. Vermutlich war der seit einem Reitunfall in Argentinien gesundheitlich angeschlagene Maler auch in seiner Schaffenskraft eingeschränkt. Er starb vergessen und wohl auch verarmt an einer Herzerkrankung.
Derzeit sind seine Impressionen aus Südamerika gefragter denn je. Das zeigt sich nicht nur an der knappen Offerte an Gemälden, die mit nur noch 34 Losen seit 2012 um fast ein Drittel geschrumpft ist. Angesichts der ausgedünnten Auswahl sank der Anteil der Rückgänge von gut 40 Prozent auf weniger als ein Viertel. Während sich das Warenaufgebot zuvor zu etwa gleichen Teilen auf Deutschland, Großbritannien und USA verteilt hatte, vertrauen die Einbringer in fröhlicher Erwartung besserer Resultate ihre Schätze nun lieber den Marktführern Sotheby’s und vor allem Christie’s an, die sie überwiegend über ihre Londoner Filialen auf den Markt lancieren – mit beeindruckendem Erfolg: Nachdem vor 2012 weniger als jede fünfte Transaktion im sechsstelligen Bereich abgeschlossen wurde, erzielt mittlerweile die gute Hälfte der vermittelten Lose Preise über 100.000 Euro; 2016 wurden erstmals sogar drei Zuschläge über einer halben Million erzielt. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den wegen ihrer Spontaneität geschätzten, meist auf Karton ausgeführten Ölstudien, die seit dem Mexiko-Aufenthalt des Malers zu seinem wohl wichtigsten Medium wurden, ferner den dezidierter ausgearbeiteten „komponierten Ölstudien“ sowie den meist auch größeren Gemäldefassungen auf Leinwand.