Ein Pinsel und etwas Farbe genügen – und schon ist die Vergangenheit vergangen. Das zeigte sich gerade im Jahr 1945, als die Retusche an Bildern der Retusche des Weltbilds voranhelfen sollte
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25.04.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 7/22
„Wir haben aus Stahlhelmen Töpfe gemacht. Und Kleider und Blusen aus Fahnen“, mag sich der eine oder andere noch erinnern. Dass manchen Fahnen dieses Schicksal erspart blieb, gemalten vor allem, weil mit einem Pinsel und ein wenig Farbe das Gestern leicht zu tilgen schien, ist eine der Geschichten, die die Geschichte gern übersieht.
Da halfen zum Beispiel ein paar Tropfen Rot, um die „Rheinlandschaft“ von Heinrich Hartung zu entnazifizieren – und schon hängt am Rathausturm eine fröhlich rote Fahne ohne weißen Kreis mit Hakenkreuz. Nicht anders erging es dem Fahnenschmuck auf dem „Weinpatenschaftsbild“ Fritz von Willes „Ahrweiler – Die 700jährige Rotweinstadt“: Da zieren das Ahrtor die rot-weiße Stadtfahne, den Kirchturm gelb-weiße Kirchenbanner. 1936, als das Gemälde atelierfrisch war, sah das noch ein wenig anders aus. Und wenn Werner Fischer-Defoy, als NSDAP-Mitglied zwölf Jahre lang als Frankfurter Medizinalrat in Rasse- und Euthanasie-Angelegenheiten involviert, versonnen aus dem Gemälde von Emil Dielmann schaut, hat ein wenig Blaugrau dafür gesorgt, dass sein Jackett nicht durch ein Parteiabzeichen verunziert wird.
Kunstfertigkeit war nicht vonnöten, wenn man sich auf diese Weise der allerjüngsten Vergangenheit zu entledigen bemühte. Und teuer war es auch nicht. Sechs Reichsmark erhielt der Malermeister August Wolber in Schiltach, um am Rathaus den beiden wackeren Arbeitsmännern unter der Uhr – dem „Arbeiter der Stirn“ und dem „Arbeiter der Faust“ – statt der Hakenkreuzfahne eine weiß-rote Stadtfahne in die Hand zu drücken – und das Hitler-Zitat zu ihren Füßen einfach zu übertünchen. Da sich aber im Laufe der Jahre die Farbe als wenig dauerhaft erwies, die alte Schrift durchzuscheinen begann, erhielt Eduard Trautwein 1959 den Auftrag, dort einen anderen kernigen Spruch anzubringen. Schließlich war er weiterhin, obwohl alter und eifriger Parteigenosse, als Heimatmaler und Fassadendekorateur im Schwarzwald geschätzt. Und mit dem Schiltacher Rathaus kannte er sich aus, denn 1942 hatte er die – 1945 „korrigierte“ – Schauseite entworfen und gemalt. Genauso wie 1935 die Rathausfassade im nur zwölf Kilometer entfernten Wolfach. Auch da ergab sich ein Jahrzehnt später „Änderungsbedarf“. Um „Die neue Zeit“ anschaulich zu machen, kniete auf der Rathausuhr ursprünglich ein SA-Mann mit einer Hakenkreuzfahne. Und weiter unten posierte ein Schmied mit einem wuchtigen Zahnrad, dessen Speichen ein Hakenkreuz bildeten. Das wurde 1945 flugs „entsymbolisiert“. Über der Uhr wachsen seitdem zwei Tannen mit einem Eichhörnchen und zwei Vögeln im Gezweig. Trautweins Lokalruhm hat das nicht beeinträchtigt. Die Stadt zeichnete ihn 1973 mit einem Ehrenteller aus. Und seit 1993 trägt auch eine Straße seinen Namen.
Die beiden Schwarzwaldstädte waren nicht die einzigen, die „aktualisieren mussten“, was sie erst kurz zuvor in Auftrag gegeben hatten. Im niederösterreichischen Waidhofen an der Ybbs betraf das den großen Sitzungssaal im Rathaus. 1944 hatte man ihn von dem Wiener Professor Reinhold Klaus mit einem 6 mal 3 Meter großen Stadtpanorama ausmalen lassen. Es zeigt die Stadt rund um den Adolf-Hitler-Platz im Festschmuck am 1. Mai, dem „Tag der nationalen Arbeit“. Da wimmelte es nur so von Fahnen und den Honoratioren der Stadt, viele in Uniform. Den sowjetischen Stadtkommandanten störte das nicht. Er sah das Wandgemälde als ein Kunstwerk an, das mit Leichtigkeit „der neuen Zeit anzupassen“ sei. Schließlich waren solche (Kunst-)Geschichtskorrekturen Sowjetbürgern, „säuberungsbedingt“, nicht fremd. Also bestellte er den Wiener Professor und Waidhofener Bürger Sergius Pauser ins Rathaus. Und die Folge? „Ich, der Lehrling,“ erzählte später seine Schülerin Hildegard Kaltenbrunner, „entnazifizierte die Hakenkreuzfahnen, sie flatterten dann lustig rotweißrot. Pauser verpasste den Politikern statt der ockerfarbenen SA-Uniform (Bgm. Zinner erkannte man sogar) unschuldige Steirergwandl. Der Reichsadler wurde einfach weggemalt. Als wir weg waren, sah sich der Stadtkommandant unsere Arbeit an und war sehr zufrieden.“ Und so schmückt das Gemälde noch heute den Rathaussaal. Denn, wie ein Besucher bemerkte, „beim Original im Rathaus … sind alle neunzehn Hakenkreuzfahnen österreichisch übertönt. Ordentlich.“ Allerdings musste die Malerin, „immer wenn der rotweißrote Patriotismus auf den Flaggen allzu augenscheinlich von den Hakenkreuzen durchdrungen zu werden drohte“, die Fahnen von Zeit zu Zeit auffrischen.