Atelierbesuch bei Miron Schmückle

Sag es durch die Blume

Durch das Berliner Atelier von Miron Schmückle weht der Geist der frühen Neuzeit. Der Schriftsteller Mathias Gatza hat den Maler besucht und sprach mit ihm über die Schönheit und das Geheimnis der Pflanzen

Von Mathias Gatza
09.05.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 197

„Ich ertrage nichts Unschönes um mich.“ An einer Wand hängt ein Malkarton mit seinem bisher größten Format. Daneben Konstruktionszeichnungen zu dem Bild und Farbtafeln mit Verdünnungsverläufen, eine Leiter, um die vegetabilen Kontinente zu erreichen. Der Künstlerforscher plant seine Weltreisen sehr genau. Woher kommt diese unbedingte Sucht nach Schönheit? Schmückle ist in Rumänien aufgewachsen. Anfang der Siebzigerjahre erkundet der Siebenjährige mit seinem Vater das Brukenthal-Museum im rumänischen Sibiu/Hermannstadt. Er sieht die Bilder des Universalgelehrten Joris Hoefnagel, allegorische Kabinettminiaturen von 1597, Vorformen von Stillleben. Der Junge ist sicher: So etwas malen zu können muss das größte Glück auf Erden sein. Eine frühe Prägung findet statt, die in Rumänien genauso ausfallen kann wie in Idaho, Helsinki oder Berlin. Naturbetrachtung ist eine zeit- und kulturenthobene Fähigkeit. Er spricht von einer Kindheit in der Natur. Spiele haben ihn wenig interessiert. Das Interesse an Naturbeobachtung empfindet er als angeboren. Wahrscheinlich stimmt es, denke ich, der Abstand des Geistes und der Sinne zur Natur macht den Unterschied zwischen den sehenden und den handelnden Menschen.

Erst zwanzig Jahre später sieht er die prägenden Bilder von Hoefnagel in Anita Albus’ Buch „Paradies und Paradox“ wieder. Da studiert er längst Kunst in Kiel. Mit Stilllebenmalerei hat das Studium wenig zu tun. Nach einem Versuch mit Keramik geht er zur Performance-Künstlerin Marina Abramović. Irgendwann wird er malen, das ahnt er, doch an den Hochschulen ist die Konzeptkunst dominant. Da Zeichnen an der Universität nicht gelehrt wird, will er es sich selbst beibringen. Es will nicht gelingen. Er hat das sonderbare Gefühl, das Zeichnen, das er von den Stillleben seiner Kindheit vor Augen hat, werde ihm erst mit den wertvollsten Materialien, die zu bekommen sind, gelingen. Über das Vorläufige, Optionale einer Skizze kommt er nicht in die Zeichenkunst. So kauft er die teuersten Papiere, Stifte und Farben für die Transformation von Material in die Idee und vice versa. Endlich gelingt dieser alchemistische Vorgang. Die Farbe ist der Lebenssaft, die Formen, sagt er einmal, saugen sich voll mit ihr. Die ersten Blätter, die er so malt, werden seine Abschlussarbeit. Er erhält einen Preis dafür, bekommt Wind in die Segel. Eine lebenslange Fahrt beginnt.

Wie im 17. Jahrhundert die Blumenstillleben eine Art Befreiung von der Symbolik waren, die Pflanzen nicht mehr allein von Jenseitigem erzählen, sondern von Fortpflanzung, Wachsen und Vergehen, befreien sie Schmückle vom Fluch des Konzepts. Nicht das Produkt, sondern schon die Herstellung, die Techne, das Machen sollen sinnlich sein. Schmückles ewige Kreisläufe der vegetabilen Sinnlichkeit und ihrer Wahrnehmung, die Konzerte drängender Blüten in der Luft des weißen Papiers sprechen polymorph von Sexualität. Schon Carl von Linnés Pflanzenbücher kamen auf den vatikanischen Index.

Noch Goethe schrieb über Linné: „Die ewigen Hochzeiten, die man nicht loswird, wobei die Monogamie, auf welche Sitte, Gesetz und Religion gegründet sind, ganz in vage Lüsternheit sich auflöst, bleibt dem reinen Menschensinn unerträglich.“ Wer vom Leben spricht, der spricht von Begehren, Fortpflanzung, von multiplen Geschlechtsorganen, der widerspricht dem Jüngsten Gericht, das ein Ende des Begehrens erhofft.

Miron Schmückle Maler Atelier
Für seine Bilder verwendet Miron Schmückle kostbare Pigmente. Manche bestehen einzig aus zerriebenen Edelsteinen. © Foto: Catherine Peter

Ob ihm die Stillleben je langweilig würden? Er sagt in seiner unverwechselbar bescheidenen Art, das sei sein geringstes Problem. Wenn ihm eine erste Sekunde langweilig wäre, dann würde er sich sofort mit tausend anderen interessanten Sachen beschäftigen. Als 2008 der Finanz- und damit auch der Kunstmarkt zusammenbrechen und die Aufträge ausbleiben, setzt er sich hin und schreibt eine Doktorarbeit. Er ist noch längst nicht am Ende mit seinen Erforschungen. Er sagt, da die Hand schneller sei als der Kopf, überrasche ihn jede Sekunde. Es gibt immer wieder Umbrüche in seinem Leben, Sicherheiten gehen wiederholt verloren, jetzt ist gerade wieder Krieg, er hat das Ende seines Geburtslandes erlebt.

Ob es richtig sei, Pflanzen zu malen, wenn die Welt verrücktspielt, fragt er sich manchmal – rhetorisch, denn ein Nein wäre die Aufgabe einer unerhörten Sensibilität. Er erinnert darin an einen anderen osteuropäischen Künstler: Vladimir Nabokov blieb über seine zahlreichen Exile ein leidenschaftlicher Lepidopterologe. Die Morphologie der Schmetterlinge waren seine erste Leidenschaft. Sie übertraf noch die für das Schreiben. Mir sind die bekannten psychologischen Erklärungen für diese Art der Naturmeditationen, wie sie Nabokov und Schmückle betreiben, nie schlüssig vorgekommen. Wie wissenschaftliche Versuche über Kreativität können sie nicht überzeugen. Die exakten Wissenschaften tappen im Dunkeln, wenn es um diese unendlichen Transformationen von Natur in Kunst geht. Was beruhigend ist. Denn es bedeutet, dass es irgendwo eine dritte Natur, ein drittes Wissen und ein drittes Erkennen gibt. Ich weiß nicht, wie ich das Geheimnis der Hochzeit von Natur und Kunst nennen soll. Doch Miron Schmückle nähert sich ihm mit seiner berührenden Weisheit.

Service

AUSSTELLUNG

„Miron Schmückle. Flesh for Fantasy“,

Städel Museum, Frankfurt am Main

1. Dezember bis 14. April 2024

staedelmuseum.de

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