Bis in die Neuzeit war die geistreiche Imitation keinesfalls verwerflich, und auch bei Picasso und Warhol wirkte der Rückgriff auf große Vorbilder schöpferisch. Eine Ausstellung in Münster widmet sich derzeit dem Phänomen der „Kunst nach Kunst“
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26.08.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 12/22
Das Phänomen ist uralt. Schon in der Antike griffen Künstler ein bewundertes Kunstwerk auf, um es sich gleichsam selbstbewusst anzuverwandeln. Um Kopien ging es ihnen auf keinen Fall, schon eher um Variationen, denn die geistreiche „imitatio“ war bis in die Neuzeit kein verwerflicher Vorgang. Vorrangig interessierte sie die im weitesten Sinne innewohnende Idee. Leider lässt sich diese künstlerische Aneignung nicht an griechischen Gemälden nachweisen, weil fast alle verloren sind. Aber man kann voraussetzen, dass die römischen Wandmalereien, die griechische Mythologie thematisieren, zumindest auf hellenistische „Vor-Bilder“ zurückgehen, ohne sie zu kopieren. In der Bildhauerkunst jedoch hat so ein Fall des eigenständigen Rückgriffs überdauert.
Gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. meißelte ein hellenistischer Bildhauer einen „Dornauszieher“ in Marmor – den sogenannten (als Kopie erhaltenen) Dornauszieher Castellani. Einem römischen Künstler muss das ehemals neue Genremotiv so sehr imponiert haben, dass auch er einen „Dornauszieher“ schuf – dies jedoch in Bronze und in gänzlich eigenem Stil, nämlich in einer Rückbesinnung auf den „Strengen Stil“ des frühen 5. Jahrhunderts. Diese Figur fand noch im Mittelalter Eingang in den Bericht De Mirabilibis urbis Romae des Magister Gregorius und – Ironie der Kunstgeschichte – erfuhr dann eine motivische Wirkungsgeschichte bis in die Neuzeit.
Meist aber findet sich die „Kunst nach Kunst“, wie das Picasso Museum Münster diesen Sonderfall der Rezeption nennt, in der Malerei und Grafik. Dabei kommt die Frage nach den Beweggründen auf, die Künstler zur schöpferischen Rückschau anregen. Peter Paul Rubens etwa wurde vom Ehrgeiz beflügelt, es dem allseits anerkannten Tizian gleichzutun, besser noch: ihn zu überbieten. Rubens’ Annäherung an den großen Venezianer gleicht bereits einem Wettbewerb, sozusagen der „aemulatio“ in der bildenden Kunst. Ein treffendes Beispiel dafür hat er mit seinem Gemälde „Venus und Adonis“ geliefert, das Tizians Version desselben Themas raffiniert variiert: Rubens vertauschte Rücken- und Frontfigur. So steigerte der Flame den Sinnenreiz des mythischen Paars, was dem Malerstar Tizian natürlich nichts anhaben kann.
Ohne Frage bot der weltläufige Rubens seinerseits viel Stoff für nachgeborene Maler, zumal er – ziemlich geschäftstüchtig – seinen Gemälden in Kupferstichen zu einigem Bekanntheitsgrad verhalf. Kein Geringerer als der große Rembrandt radierte „Jupiter und Antiope“ nach dem ebenso voyeuristischen Gemälde „Einsiedler und schlafende Angelica“ von Rubens, wobei sich die Spiegelung des Bildes durch den Druck der Radierung ergibt. Stehen sich hier zwei Giganten des flämischen und holländischen Barocks gegenüber, so versetzte Eugène Delacroix Rubens’ lichte Gestalt „Christus auf dem Stroh“ in eine düstere französische Romantik. Delacroix, der das Altargemälde in Antwerpen gesehen hatte, wird von dem in der Diagonale liegenden, kraftlosen Körper des Erlösers und der ihn stützenden Gestalt des Josef von Arimathäa bewegt gewesen sein. Er verwandelte Form und Gestalten in eine ergreifende Pietà. Und dann war es wieder diese Tiefe des Ausdrucks, nun bei Delacroix – und eben nicht bei Rubens –, die Vincent van Gogh zu seiner Pietà inspiriert hat. Ihm war Delacroix’ Bild auf einer Lithografie begegnet. In einem Brief an seine Schwester beschrieb er den „schlaffen Leichnam“ und die „große, verzweifelte Gebärde“ der Muttergottes bei Delacroix. Ob Rubens noch seinen Christus in van Goghs expressiver Ausdruckssprache wiedererkannt hätte? Hier hat sich einmal ein eindrucksvolles Exempel zu einer „Kunst nach Kunst nach Kunst“ formiert.
Noch einmal zu Rubens als Inspirator: Wer hätte gedacht, dass der junge Gustav Klimt sich dessen „Heilige Cäcilie“ vornehmen würde? In seiner Handschrift ist es ein ganz anderes Bild, das seine Herkunft impressionistisch kaschiert. Vermutlich wollte der 23-jährige Klimt seine Quelle geheim halten. Sonst aber legen die Maler keinen Wert darauf. Vielmehr bekennen sie sich zu ihrem Vor-Bild. Sie verstehen sich als ebenbürtig – und zumeist sind sie es auch.
Vielleicht kann man geteilter Meinung sein, ob Édouard Manet dem einzigartigen Francisco de Goya vollkommen ebenbürtig ist; hierzulande aber genießt er vergleichbaren Nachruhm. Wie auch immer: Manet hat die Tänzerin „Lola de Valence“ exakt so posieren lassen wie Goya seine „Herzogin von Alba“. Selbst mit dem Schatten hat er „gespielt“, den die Figur der Herzogin auf den Boden wirft. Manet hat seinen Goya also sehr genau studiert. Dennoch stellt „Lola de Valence“ eine ganz eigenständige Person dar. Goyas urspanisches Temperament, das sich nicht allein folkloristisch äußert, sondern tief in seiner Seele steckt, hat Manet fasziniert. Die Franzosen attestieren ihm „hispanisme“, der sich bereits in seinem Frühwerk zeigt und die Verehrung von Vélasquez einschließt.