Kunst nach Kunst

Hommage statt Kopie

Bis in die Neuzeit war die geistreiche Imitation keinesfalls verwerflich, und auch bei Picasso und Warhol wirkte der Rückgriff auf große Vorbilder schöpferisch. Eine Ausstellung in Münster widmet sich derzeit dem Phänomen der „Kunst nach Kunst“

Von Angelika Storm-Rusche
26.08.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 12/22

Eher spanisch als französisch ist auch Manets Vorliebe für Schwarz, die so gar nicht zum Impressionismus passt. Schwarz bringt die weißen Kleider im Gemälde „Der Balkon“ zum Leuchten. Hier hat wieder ein Bild Goyas, die „Majas auf dem Balkon“, Pate gestanden. Die Analogien sind offenkundig; von Plagiat kann auch hier keine Rede sein. In diesen Bildern zumindest begegnen sich die beiden Maler auf Augenhöhe.

 

Francisco de Goya Majas auf dem Balkon
Vorbild für Manets Gemälde „Der Balkon“ war Francisco de Goyas „Majas auf dem Balkon“. © Wikimedia Commons

Die von Goyas „Der dritte Mai 1808“ ausgelöste Erschütterung wirkte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nach – bis zu Pablo Picassos „Massaker in Korea“. Picasso konnte sich zunächst auf Manets „Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“ berufen. Denn schon der hatte die Darstellung einer grausamen Exekution bei Goya gesehen; er hat die vielfigurige „Choreografie“ sowie die Gloriole der Opfer mehr oder weniger in seine beiden Gemäldefassungen übertragen. Wer aber Goyas „Der dritte Mai 1808“ nicht kennt, muss Manets „Erschießungen“ für gänzlich autonome Bilder halten. Dennoch soll Auguste Renoir angesichts einer Version gesagt haben. „C’est un pur Goya.“ Er kannte ihn also. Picasso wird bei seinem „Massaker“ dann vor allem auf Goya geschaut haben. Auch in Picassos Gemälde stehen die Opfer den Tätern unentrinnbar gegenüber. Die Wiedererkennbarkeit liegt einerseits im Formalen, andererseits in der Intensität des Ausdrucks.

Edouard Manet Balkon
Edouard Manets „Der Balkon“ entstand 1868/69. © Wikimedia Commons

Warum hat ausgerechnet Pablo Picasso, Meister der überbordenden Ideen, so oft in der Kunstgeschichte „gewildert“? Er selbst gab die Antwort, indem er sagte, er male sich diejenigen Bilder selber, die ihm bei anderen gefielen – und stellte fest: „Dann wird es etwas anderes.“ Eben darauf kommt es an: „etwas anderes“, letztlich etwas Neues, also keine Kopie und schon gar kein Plagiat. So schuf er sein „Musée imaginaire“. Und welche Kunstwerke fanden Eingang in dieses Museum seiner Vorstellung? Mit seiner eigenen Auswahl bewies Picasso seine umfassende Kenntnis der Bildhauerkunst, auch der antiken, so gut wie der Malerei und der Grafik.

In der Skulptur zum Beispiel hatten es ihm die pralle „Venus von Willendorf“ und die schlanke „Aphrodite von Knidos“ angetan, auch der vor Männlichkeit strotzende „Torso vom Belvedere“. Picasso, der Sinnenmensch. Während er sich die schwellenden Formen der „Venus“ und die schönlinige Gestalt der „Aphrodite“ zu eigen machte, verblieb der Torso im Stadium einer Akademie-Studie, dies jedoch derart gekonnt, dass sie hier ausnahmsweise Erwähnung verdient. Jetzt kommt einem auch Paul Cézanne in den Sinn, der sich – man glaubt es kaum – in seiner Jugend mit der Malerei überaus schwertat. Er ging in den Louvre, um nach Antiken und Alten Meistern zu zeichnen. „Der Louvre ist das Buch, in dem wir lesen lernen“, sagte er. Wer von seinen Zeichnungen nichts weiß, wird sie niemals in seinen reifen Gemälden entdecken, wo sie den Figuren zu ihrer Statik verhelfen. Dies war seine Methode der „Kunst nach Kunst“. Picasso dagegen nutzte die Werke der Alten Meister für sein imaginäres Museum. Diego Velásquez‘ „Infantin aus Las Meninas“ trägt nun ein kubistisches Gewand; aus El Grecos „Apokalypse“ entstanden „Drei Grazien“; und Rembrandts „Jupiter und Antiope“ erlebten ihre Metamorphose zu „Faun, eine Schlafende enthüllend“, womit Rubens’ „Einsiedler und schlafende Angelica“ noch einmal als Paraphrase aufleben.

Picasso Faun, eine Schlafende enthüllend
Rembrandts „Jupiter und Antiope“ erlebten ihre Metamorphose zu Picassos „Faun, eine Schlafende enthüllend“ (1936). © Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster

Lukas Cranach d. Ä. taucht überraschend oft in Picassos imaginärem Museum auf. Offensichtlich waren es die zarten, anmutigen Frauen, die ihm gefielen. Mindestens drei Mal wurden „Venus und Amor“ lithografisch einem Stilwandel unterzogen. Im Titel „nach Cranach“ bekennen sie sich zu ihrer Inspirationsquelle ebenso wie das „Junge Mädchen nach Cranach“. Dieses Mädchen mit dem fragenden Blick trägt filigranen Brautschmuck im Haar wie Cranachs Bildnis „Prinzessin Sybille von Cleve als Braut“.

Dass Lucas Cranach etwas überspitzt „Andy Warhol seiner Epoche“ genannt wurde, liegt zunächst an seiner gleichfalls fabrikartigen Bildproduktion. Warhol hatte aber auch einen Blick für die schönen Frauen aus Cranachs „Fabrik“. Wohl darum überführte er dessen „Porträt einer Dame“ in seine plakative Bildsprache, als sei das Modell ein moderner Superstar wie „Marilyn“ oder „Liz“; und wie Stars verließen auch „Goethe“ nach Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und „Beethoven“ nach Joseph Karl Stieler seine „Factory“. Warhol machte auch vor Raffaels „Sixtinischer Madonna“ nicht halt.

In all diesen Bildern begegnen sich große, oft kongeniale Maler und beweisen schöpferisch und virtuos ihre Souveränität im Umgang mit der Kunstgeschichte. Nicht selten ist so eine „Kunst nach Kunst“ eine Hommage an den verehrten Malerahnen. 

Service

Ausstellung

„Kunst nach Kunst – Picassos Variationen nach Alten Meistern“,

bis 18. September,

Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster,

kunstmuseum-picasso-muenster.de

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