Jenseits der Baumgrenze gibt es weit mehr als Gletscher und Geröll. Vom Theaterturm auf dem Julierpass über Doug Aitkens eisiges Spiegelkabinett bei Gstaad bis zum Kirchner Museum Davos: Wir stellen die schönsten Kunstorte in den Schweizer Alpen vor
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22.09.2022
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WELTKUNST Spezial 01/2020
Wanderer zwischen Schönried und Gstaad trauten ihren Augen nicht: Bis März 2021 erhob sich am Wegesrand ein rundum verspiegeltes Haus, das die Landschaft irritierend verdoppelte. Geschaffen hat es der Amerikaner Doug Aitken als Teil des Festivals Elevation 1049, das zeitgenössische Kunst im Berner Oberland präsentiert. In diesem Jahr verzauberte Alicja Kwade mit einem Spiegelobjekt die Landschaft, 2023 soll das Programm des Festivals noch erweitert werden.
Bis zu seinem Freitod 1938 lebte Ernst Ludwig Kirchner in den Graubündner Alpen. Dort, wo viele seiner bekanntesten Bilder entstanden, erinnert heute das Kirchner Museum Davos an ihn: Die weltweit größte Sammlung seiner Werke zeigt nicht nur die Faszination des Expressionisten für die Berge und die Bewohner von Davos, sie umfasst Arbeiten aller Schaffensperioden, etwa auch der „Brücke“-Zeit.
Was aussieht wie eine Fotomontage, ist wohl das höchstgelegene Theater Europas. In 2300 Metern Höhe wurde es 2018 auf dem Julierpass im Kanton Graubünden errichtet. Der Julierturm wird ganzjährig bespielt und bietet 270 Zuschauern Platz. Bauherr war das Origen-Theaterfestival, das für Darbietungen an ungewöhnlichen Orten bekannt ist. Der 30 Meter hohe Turm ist aus Holz und trotzt aufgrund seiner raffinierten Konstruktion Eis und Wind. Das Vergnügen ist nur temporär – im Jahr 2023 wird der Theaterdonner in dünner Luft verhallen.
Im 11. Jahrhundert wurde das Wahrzeichen des Unterengadins erbaut, seit 2016 gehört Schloss Tarasp dem Schweizer Künstler Not Vital. Neben den angestammten Attraktionen wie einer markerschütternden Orgel mit 3000 Pfeifen, flämischen Gobelins sowie Rittersälen gibt es seitdem auch Ausstellungen antiker, moderner und zeitgenössischer Kunst. Besuchern steht die Trutzburg in Führungen offen.
Ein Hort der rätoromanischen Kultur ist das Patrizierhaus in Samedan nahe dem Nobelort St. Moritz. Seine Bibliothek bewahrt das erste Druckwerk der ladinischen Literatur, Giachem Bifruns „Nouv Testamaint“ von 1560. In die barocken Prachträume der Chesa Planta zieht jährlich im Februar die kleine, aber feine Messe Nomad. Gegenwartskunst und heutiges Collectible Design trifft dann auf die aristokratische Wohnkultur von einst.
Sieben Sommer verbrachte Friedrich Nietzsche in Sils Maria, es war seine produktivste Zeit. Heute bietet das dortige Nietzsche-Haus nicht nur Einblicke in sein wahnumwölktes Leben und Denken, es finden hier auch immer wieder Wechselausstellungen statt. Und draußen warten die Engadiner Wanderwege. Denn der Rat des Philosophen war: „So wenig als möglich sitzen“.