Documenta Fifteen

Die Glorreichen

Der ugandische Regisseur Isaac Nabwana hat für die Documenta einen bluttriefenden Actionfilm gedreht. In der Hauptrolle: ein deutscher Fußballer. Wir waren bei den Dreharbeiten in Kampala

Von Simone Schlindwein
07.09.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 201

Wakaliga Uganda ist der Geburtsort des ugandischen Action-Kinos. In diesem engen, verwinkelten Haus, in welchem Nabwana geboren wurde, hat er in den vergangenen 14 Jahren über 50 Filme gedreht, geschnitten, vertont und finalisiert. Schon als Kind, so erzählt er, habe er gern gezeichnet. Als Jugendlicher hörte er fasziniert seinem älteren Bruder zu, wenn dieser aus dem Kinosaal zurückkam und über die Hollywoodfilme sprach, die dort liefen. „Ich konnte mir jede Szene in meiner Fantasie genau vorstellen.“ So wurde in ihm der Traum geweckt, selbst Actionfilme zu drehen. „Ich wollte unser eigenes Hollywood in Uganda aufmachen.“

Nach der Schule, die er früh abbrach, wurde er Maurer, formte Ziegelsteine aus Lehm, um Häuser zu bauen. Mit den ersten Ersparnissen kaufte er sich Kamera und Laptop, um seinen Traum zu verwirklichen. „Ich habe mir als junger Mann das Schneiden des Films an meinem ersten Computer selbst beigebracht“, erinnert sich Nabwana. Damals war gerade seine erste Tochter geboren: „Ich lag mit dem Baby und dem Laptop im Bett.“

Ugandas kleine, aber aufsteigende Filmindustrie steckt quasi noch in den Kinderschuhen. Sie hat in den vergangenen Jahren durch Wakaliga Uganda einen gewaltigen Aufschwung erfahren. Die meisten der rund 40 Millionen Ugander können sich keinen Fernseher zu Hause leisten. In den zahlreichen Armenvierteln der Hauptstadt oder in den Dörfern auf dem Land, wo es noch immer kaum Strom gibt, schauen die Menschen Filme und Fußballspiele in den sogenannten Kinosälen, die ein paar Cent Eintritt kosten: windschiefe, aus Holzlatten gezimmerte Hallen voller Sitzbänke, in welchen zwei Fernseher an der Wand verschraubt sind. Auf dem einen läuft ein Fußballmatch, auf dem anderen ein Film. Dazwischen steht ein Moderator und kommentiert beides.

Wakaliga Uganda Documenta
Gedreht wurde im Hof des Studios. © Foto: Isaac Kasamani

Als Nabwana jung war, so erzählt er, liefen in diesen Kinohallen meist amerikanische Actionfilme, damals noch in Schwarz-Weiß: „Rambo“ oder „King Kong“. Daneben: die Spiele vom FC Bayern München. Ugandas Jugendliche träumten von Schauspielerkarrieren in Hollywood oder Fußballkarrieren wie die von Rummenigge, so Nabwana. Heute laufen in den meisten Kinosälen Ugandas die heimischen Streifen aus seiner Produktion. Der Bekannteste: „Wer hat Captain Alex getötet?“ – eine Art ugandisches Bruce-Lee-Heldenepos, das 2010 herauskam und die Idee von „Wakaliwood“ urplötzlich landesweit berühmt machte. Seither klopfen fast täglich Kinder und Jugendliche an Nabwanas Studiotür, weil sie mitmachen wollen. Für viele ist Wakaliga Uganda ein Hoffnungstor aus der Armutsfalle.

Während der Regisseur sein Team anweist, wie die Szene nachgedreht werden soll, kommt Harriet Nakasujja angelaufen – mit fünf Handys in der Hand, zwei davon klingeln gerade. Nabwanas Ehefrau kümmert sich um das Management und um die Nachwuchsförderung. Die fröhliche 32-Jährige drückt ihrem Mann die Telefone in die Hand und hastet zurück ins Haus. Die Postproduktion des Films müsse nun vorankommen, sagt sie.

In einem weiteren engen und vollgestellten Raum hinter dem Familienwohnzimmer hockt Nabwanas Sohn vor einem Computer. Mit flinken Fingern probiert der 14-jährige Isaac Newton einige Spezialeffekte aus. Mutter Nakasujja guckt ihm über die Schulter. „Er schneidet den Film und hilft uns mit den Effekten“, sagt sie stolz und tippt ihrem Jungen auf die bunte Mütze. Isaac Newton führt seiner Mutter die neueste Szene vor: Die Kugel aus einem Maschinengewehr trifft den Kopf eines Gangsters. Dieser explodiert, Blut spritzt in alle Richtungen. Nakasujja nickt begeistert. „Seitdem er diese Spezialeffekte am Computer kann, sparen wir viel Geld, weil wir weniger Kunstblut einsetzen müssen“, sagt sie. Die acht- und elfjährigen Töchter Rachel und Margaret kümmern sich um die Soundeffekte, sie seien musikalisch begabt, sagt die Mutter stolz.

Wakaliga Uganda Documenta
Die Managerin von Wakaliwood Ramon Films Production, Frau Harriet Nakasujja, führt Kinder in ihren Studios in Kampala durch einige Computerschulungen. © Foto: Isaac Kasamani

„Wir wollen die nächste Generation von Filmproduzenten hier ausbilden“, erklärt Nakasujja. Insgesamt zwölf Kinder und Jugendliche aus der Verwandt- und Nachbarschaft leben mit im Haus, um das Filmgeschäft zu lernen. Sie gehen vormittags zur Schule und helfen nachmittags am Set. „Wakaliga Uganda war von Beginn an ein Familienunternehmen“, schmunzelt sie. „Als ich und mein Mann aufgewachsen sind, kannten wir nur Hollywoodkino aus Amerika, das war ein entfernter Traum“, erzählt Nakasujja. „Die nächste Generation aber glaubt nun an die eigenen, ugandischen Filme.“ Sohn Isaac Newton nickt zustimmend vor seinem Computer. Die Aussicht auf einen zukünftigen Beruf in einem Land mit einer der höchsten Geburtenraten weltweit und einer enormen Jugendarbeitslosigkeit ist für die Kinder wie ein Sechser im Lotto.

Die Beteiligung an der Documenta in Kassel macht Nakasujja Hoffnung, sagt sie. Hoffnung, dass sie bald ihre Visionen realisieren können: ein größeres Stück Land, wo sie ein größeres Studio und einen großen Schlafsaal für den Nachwuchs einrichten können. „Täglich kommen zu uns Eltern aus allen Teilen des Landes und wollen ihre Kinder bei uns zum Training abgeben.“ Doch dafür reiche derzeit einfach der Platz nicht.

Wakaliga Uganda Documenta
In der kuriosen Story um die ugandische Hochzeit des Fußballers Karl-Heinz Rummenigge spielt Max Winkler, Student aus Kassel, mit Enthusiasmus die Hauptrolle. © Foto: Isaac Kasamani

„Eins, zwei, drei – Action!“, ruft draußen im Hof Nabwana. Plötzlich wird es still am Set. Dann stürmen drei Männer mit Sturmgewehren herbei, knien sich im Hof in den Staub und ballern wild um sich. Dann ein metallisches Kratzen und ein Fluchen: Eines der gebastelten Gewehre klemmt mal wieder. Mit einem Handzeichen bricht Nabwana den Dreh ab. Schauspieler Earnest Sserunnya überreicht das kaputte Spielzeuggewehr an Mechaniker Bisaso. Dieser hastet in seinen kleinen Raum, um das Gewehr zu ölen. Sserunnya zieht unterdessen seinen Cowboyhut vom Kopf und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er ist Nabwanas jüngerer Bruder und seit 2008 regelmäßig Schauspieler in dessen Filmen. Zudem macht er die Stunts und reale Spezialeffekte: „Ich bin derjenige, der die Autos in die Luft jagt“, lacht er etwas schüchtern.

Der gelernte Gärtner hat mittlerweile seine eigene Produktionsfirma sowie eine Trainingsakademie gegründet. Dort bildet er seit 2013 Studenten aus: in Schauspiel, Regie, Schnitt, Ton, Produktion und Vertrieb – und natürlich in Spezialeffekten. „Ich bringe ihnen bei, wie sie Schwarzpulver herstellen“, so Sserunnya. Bislang fehlt es in Uganda an einer Schauspielschule und anderen Bildungseinrichtungen, wo man Regie studiert. Weitere Herausforderungen: „Uns fehlen für große Explosionen und Stunts die Zünder“, klagt er. „Und für die Postproduktion brauchen wir Computer mit viel Rechenleistung, die die Filme rendern können.“ Doch immerhin, ein Ziel habe die Familie aus armen Verhältnissen erreicht: „Ugandas Jugend schaut heute nicht mehr sehnsüchtig nach Hollywood, wenn sie von einer Zukunft als Filmheld träumt“, sagt er stolz. Und zeigt auf das Logo an der Wand: „Sie schaut auf Wakaliga Uganda!“

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