Mit subtiler Malerei und dem Blick auf queere Intimität erobert sich Anouk Lamm Anouk gerade ihren/seinen Platz in der Kunstwelt. Ein Gespräch über Schubladendenken, Lektüre im Flugzeug und die Nähe von Jazz und Begehren
Share„No Age No Gender No Origin“ heißt es in Anouk Lamm Anouks Instagram-Bio. Es ist ihr/sein künstlerisches Manifest, ein Mantra, das „in wenigen Worten viel sagt“. Ein bewusstes Abstreifen von Labels und Kategorien, die als identitätsstiftend angesehen werden. „Menschen denken stark in Schubladen; sie werden so erzogen, dass sie alles einordnen möchten“, sagt Anouk Lamm Anouk zu Beginn unseres Gesprächs, das an einem Freitagnachmittag stattfindet. „Je weniger man dieses Bestreben hat, umso eher kann man einander wirklich begegnen – unabhängig davon, wo man herkommt, wie alt man ist, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt.“
Wir treffen uns für dieses Gespräch über Zoom, die Verbindung ist ein wenig holprig. Anouk Lamm Anouk sitzt auf einem waldgrünen Sofa in einem der Salons ihrer/seiner Wiener Wohnung, den Yorkshire-Terrier Sirius Grace Anouk auf dem Schoß. Es erscheint nur natürlich, das Thema der Gendersensibilität und Pronomen vorweg anzusprechen – Anouk Lamm Anouk identifiziert sich als non-binär. Sie/Er bevorzugt die Bezeichnung „Painter/Poet“ und verwendet im Englischen die genderneutralen Pronomen „they/them“.
Fotografie war in den jungen Jahren der/des 1992 geborenen Painter/Poet ein Schwerpunkt ihrer/seiner künstlerischen Praxis. Scrollt man sich durch die Webseite Anouk Lamm Anouks, finden sich zahlreiche Selbstporträts, Spiegel-Selfies und Nahaufnahmen ihres/seines Gesichts, die aus den Jahren 2010 bis 2014 stammen und sie/ihn mal mit langen, mal mit kurzen Haaren zeigen, immer aber mit ernstem, fast schon weltentrücktem Gesichtsausdruck. Diese Aufnahmen waren in jungen Jahren ein Werkzeug zur Auseinandersetzung mit ihrer/seiner Identität und der als falsch empfundenen Körperlichkeit. Ein Hilfsmittel, als ihr/ihm niemand sonst damit half. „Damals gab es noch keine Unterstützung für nicht-binäre transidente Kinder und Jugendliche“, sagt Anouk Lamm Anouk heute. Sie/er beschäftigt sich schon lange mit den Themen Queerness und Lesbischsein, bereits bevor diese im öffentlichen Bewusstsein und in der öffentlichen Diskussion so präsent waren wie heute.
Das Portfolio, mit dem Anouk Lamm Anouk 2011 an der Universität der Künste in Berlin aufgenommen wurde, bestand aus Fotografien, Zeichnungen und Lyrik. Nach zwei Jahren an der Universität der Künste in Berlin wechselte sie/er an die Akademie der bildenden Künste in Wien, ihre/seine Abschlussarbeiten präsentierte sie/er 2021 im Marmorsaal des Wiener Luxus-Hotels Sacher. Die frühen Werke muten recht unschuldig an – auf den monochromen Arbeiten auf Papier zeichnen sich Umrisse von Lämmern, Katzen und Teddybären ab.
Auch skulpturale Objekte gehören zu Anouk Lamm Anouks künstlerischer Praxis: Für ihre/seine Ausstellung „Grace and Grave are only one Letter Apart“ schuf Anouk Lamm Anouk ein lebensgroßes Pferd aus Leinen und eine Skulptur aus Stoff, halb Mensch, halb Bär. Mittlerweile liegt der Fokus auf der Malerei, aber in ihrer/seiner Schreibtischschublade liege ein unveröffentlichtes Romanmanuskript, das sie/er im Alter von neunzehn, zwanzig geschrieben habe. Auch Lyrik schreibe sie/er noch immer regelmäßig. Die Arbeiten auf Leinwand sind ein Zeugnis davon – immer wieder fließt Schrift in die Malerei mit ein. So auch in die „Lesbian Jazz“-Serie, die bis zum 14. Oktober in der Galerie Patricia Low in Gstaad zu sehen war. In den monochromen Szenen lesbischen Begehrens, die ineinander verschlungene weibliche Formen wiedergeben, treffen Wort und Bild aufeinander. Zu lesen ist der Titel der Werkserie, aber auch Auszüge aus poetischen Texten: „You above me“ („Du über mir“), „Skin to Skin“ („Haut an Haut“). Es sind spezifische Szenen, die Anouk Lamm Anouk hier darstellt, die weiblichen Körper jedoch bleiben schemenhaft und gesichtslos. Alltägliches queeres Leben und Begehren trifft auf die Kunst der Improvisation. „Ich wollte Jazz in abstrakte Malerei übertragen und mit lesbischer Sichtbarkeit kombinieren“, sagt Anouk Lamm Anouk. „Lesbische Sichtbarkeit ist sowohl gesellschaftlich als auch in der Kunst stark unterrepräsentiert. Sichtbarkeit ist ein ganz wichtiges Element zur Normalisierung.“
Die „Lesbian Jazz“-Serie beginnt mit dem Körper – von hier aus wolle sie/er sich „Stück für Stück in verschiedene Richtungen und Facetten lesbischen Lebens vormalen“. Die Arbeiten sind Zeugnis ihres/seines frei fließenden, jazzigen Strichs und der subtilen Behandlung von Intimität – gleichzeitig gleichen diese zwischenmenschlichen Begegnungen in ihrer Unvorhersehbarkeit dem Jazz, ähnlich einer spontanen Erfindung melodischer Séancen.
Unter dem Titel „Lesbian Jazz: Meditating in the Alps“ zeigte die Schweizer Galerie Werke aus zwei charakteristischen Serien Anouk Lamm Anouks, die beide im Jahr 2019 entstanden sind: neben den figurative Szenen der 30 Werke umfassenden „Lesbian Jazz“-Serie auch abstrakten Werke aus der vom Zen-Buddhismus abgeleiteten „post/pre“-Reihe. Kennzeichnend für beide Werkserien ist das ungrundierte belgische Leinen, auf dem Anouk Lamm Anouk mit Acryl arbeitet. Auf gewisse Weise verstärkt die Wahl dieses Materials den Eindruck der Unfertigkeit. „Wenn ich auf der ungrundierten Seite der Leinwand arbeite, findet eine Berührung und Verschmelzung zwischen Farbe und Leinen statt“, sagt Anouk Lamm Anouk. „Es ist ein viel intimerer Prozess und entspricht meiner Arbeit viel mehr – und führt auch visuell zu ganz anderen Ergebnissen.“