Gabriele Stötzer

„Die Härte, die macht was mit einem“

Ein neuer Film widmet sich den Underground-Künstlerinnen in der DDR. Wir sprachen mit der Erfurter Fotografin Gabriele Stötzer über gemeinsames Arbeiten, exzessives Weben und ihr Buch über die Stasi

Von Catherine Peter
08.11.2022

Und so kamen Sie zur Fotografie?

Es gab in Erfurt eine Privatgalerie, die sogenannte Galerie im Flur, die ich von dem Gründer Peter Peinzger, als dieser zurück nach Berlin wollte, auf seinen Vorschlag hin übernommen hatte. Zu der Zeit habe ich mir eine Exa 1b Kamera gekauft und damit Werbung für die Galerie gemacht. Ich habe dann die Künstler und deren Werke fotografiert. Die Filme habe ich selber entwickelt und mit Dokumentenpapier die Einladungen gemacht. Die Künstler waren alle Männer. Die Galerie wurde dann von der Stasi liquidiert. Auf einmal hatte ich nichts mehr. Und da wurde mir klar: Du willst doch mit Frauen arbeiten.

Da begann also Ihre serielle Arbeit mit den anderen Frauen und den Selbstinszenierungen?

Wir hatten da ein Pleinair. Erst habe ich mich fotografieren lassen, mit breiten Beinen auf der Erde. Ich wollte, dass die Erde in mich reingeht, ich wollte Auflösung. Dabei waren noch zwei Frauen, Cornelia Schleime und eine andere. Da entstanden dann die drei Grazien. So hat das angefangen. Aus der unmittelbaren Realität. Wenn du dir Ruhe und Raum gibst, dann kommen die Bilder, die in dir sind. Plötzlich entstanden sie ständig. Es kam alles auf mich zu, wie Luftballons, ich brauchte nur zu greifen und hatte dann was. Ich fand auch immer Frauen, die sich ausgezogen haben, die das testen wollten, wie es ist, sich ganz nah zu sein. Ich hatte die Leute, den Raum, selber nichts, und dieses Nichts ist ein Raum, wo ganz viel entstand. Wir wollten als Künstlerinnen leben. Dann sind wir aufgetreten und haben Performance gemacht. Das wurde unseres.

Gabriele Stötzer
Gabriele Stötzer in Berlin, November 2022. © Catherine Peter

Wo haben Sie denn als Künstlerin gearbeitet? Zu Hause? Oder hatten Sie ein Atelier?

Mit den Leuten, mit denen wir Galerie im Flur gemacht haben, haben wir zwei Häuser besetzt. Erfurt ist ja nah bei Weimar. Wir fühlten uns der Bauhaus-Tradition verbunden. Das war unsere Grundhaltung. Wir hatten Werkstätte: eine Fotowerkstatt, eine Siebdruckwerkstatt, eine Webwerkstatt. Wir haben das auch so genannt, haben uns theoretisch weitergebildet, oder sind nach Dessau gefahren. Damals habe ich alles gemacht: performt, fotografiert, gefilmt, gestrickt, gewebt und gezeichnet. Die Wolle zum Weben habe ich mir vom Schäfer geholt, gewaschen, mit Blättern gefärbt. Der intensive Umgang mit Materialien war mir immer wichtig. Spinnen und Weben, das sind ja uralte Frauentechniken. Gewebt habe ich bis zum Exzess, Tage und Nächte lang.

Wie konnten Sie damals Ihre Werke zeigen?

Im privaten Rahmen war alles möglich. In den besetzten Häusern haben wir Ausstellungen organisiert und unsere Sachen ausgestellt. Bei meiner Schwester habe ich Lesungen gemacht. In den Kirchen ging das auch. Es gab eben keine Öffentlichkeit, außer der, die wir selber kreiert haben. In Berlin gab es natürlich die sogenannte Prenzlauer-Berg-Szene, die Zeitschriften und Bücher gemacht haben. Und in Dresden gab es Underground-Filmfestivals, da sind wir dann alle hingefahren. Aus Fotoserien habe ich Leporellos gemacht, die steckten in meiner Jackentasche. Bei einer Fete in einem Keller, nahm ich die Leporellos aus der Tasche und hängte sie an die Wand. Nach der Fete kamen sie dann wieder zurück in die Tasche. Ich wollte immer Bücher machen, das ging ganz gut mit den Fotos.  

Es ist auffällig, dass zu dieser Zeit Künstlerinnen weltweit mit ihrem eigenen Körper gearbeitet haben. War Ihnen damals bewusst, dass Sie sich einer Art universeller Sprache bedienen?

Ich denke schon, dass wir uns deshalb ausgezogen haben. Ohne Kleidung bist du außerhalb der Mode, und so der Zeit. Mit dem Körper kannst du dich dem Wesen deines eigenes Seins, was in der Form natürlich weibliches Sein ist, nähern. In den sechziger Jahren haben Frauen das ja schon in Performances gemacht. Ohne dass wir es wussten, hatten wir die gleiche Härte wie die. Was Valie Export gemacht hat, Kleider zerschneiden zum Beispiel, das haben wir auch gemacht! Aber wir kannten die nicht. Ich wollte immer archetypische Frauenbilder machen. Wo die DDR dann zusammenfiel, wurde uns gesagt, dass wir zu spät seien, die dritte feministische Phase wäre schon vorbei. Jetzt haben Kunstwissenschaftlerinnen gesagt, dass wir auch dazu gehören. Was wir damals gemacht haben, war genauso authentisch. Es kam aus einer inneren Notwendigkeit heraus und das kann uns keiner wegnehmen.

Gabriele Stötzer Buch
Eine Doppelseite aus Gabriele Stötzers neuestem Buch „Der Lange Arm der Stasi“, erschienen bei Spector Books, 2022. © Spector Books/ VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Mussten Sie sich für Ihre Anerkennung als Künstlerin einsetzen?

Ob mir das von Männern abgesprochen wurde, war mir egal. Ich bin auch ziemlich zäh und kann auch warten. Nach der Wende wollte niemand etwas von der DDR wissen. Nach zwanzig Jahren kam die erste Ausstellung, Re.Act Feminism, kuratiert von Beatrice Stammer. Da war ich plötzlich neben Yoko Ono ausgestellt. Und auf einmal, durch die anderen, existierte ich als Künstlerin. Das verstehe ich unter Solidarität, dass wir uns gemeinsam nach außen zu etwas Größerem entwickeln können.

Gerade haben Sie ein Buch bei Spector Books „Der lange Arm der Stasi“ veröffentlicht, eine Art Gesamtporträt der damaligen Erfurter Kunstszene, von Ihnen zusammengetragen. Wie kam es dazu?

An dem Buch habe ich zehn Jahre lang gearbeitet. Nach einer Ausstellung in Erfurt über die Untergrundszene in Erfurt habe ich einen Forschungsauftrag der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR bekommen. Da hatte ich auf einmal nicht nur meine, sondern 33 Akten durchzugehen. Das war unglaublich schwer zu lesen. Spector hatte dann den Mut, das Buch zu machen. Es ist ein junger Verlag, und die Generation, die sich jetzt mit der DDR auseinandersetzt, weil die Eltern nicht reden, beschönigen oder verschweigen. Es war Anne Königs Idee, die Geschichte über die Menschen zu erzählen. Eine fantastische Idee. Das Buch ist rein dokumentarisch. Es soll aufklären.

Sehen Sie einen Widerspruch darin, dass es so schön geworden ist?

Nein, warum sollte man die Dinge zusätzlich mit Dreck beschmutzen? Das Buch musste schön sein. Wir hatten alle ein schweres Leben und trotzdem entsteht daraus Schönheit.

Und 2023 veröffentlichen Sie schon das nächste Buch bei Walther König.

Ja. Die Fotobücher, die ich in der Einsamkeit gemacht habe, werden jetzt als Buch erscheinen. Kaspar König hat mich damals in Angelika Richters Doktorarbeit über Künstlerinnen der DDR entdeckt und fand meine Arbeit toll. Er wollte mich fördern und hat mich mit seinem Bruder bekannt gemacht. Nächstes Jahr werde ich nämlich 70. Und alles kommt zusammen. Der Film, die Bücher. Es ist ein Glückszustand. Ich bin sehr froh. Was mich persönlich interessiert ist natürlich, wie weit ich mit meiner Kunst komme. Aber worum ich kämpfe, ist gegen das Verschwinden, gegen das Verleumden und gegen das Vergessen.

Service

Film und Buch

Ausgewählte Werke von Gabriele Stötzer werden vom 10. bis 13. November bei der Paris Photo auf dem Stand der Galerie Loock zu sehen seien.

Das Buch „Der Lange Arm der Stasi“ von Gabriele Stötzer, ist in diesem Jahr im Spector Books Verlag erschienen.

Der Film „Rebellinnen – Fotografie. Underground. DDR“ von Pamela Meyer-Arndt mit Gabriele Stötzer, Tina Bara und Cornelia Schleime läuft aktuell im Kino.

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