Tischkultur

Tischlein, deck dich!

Im Barock waren opulente Tafeln ein Zeichen guten Geschmacks. Aber auch Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart wissen, wie man eindrucksvoll eindeckt, und beleben die Tischkultur mit experimentellen Entwürfen

Von Laura Storfner
23.12.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 204

Geschirr hat auch die Vorreiterin der feministischen Kunst, Judy Chicago, gemeinsam mit der New Yorker Kunstboutique Prospect auf den Markt gebracht: Ihre Teller beziehen sich auf ihr berühmtestes Werk „The Dinner Party“ und stellen eine Hommage an die Frauen der Welt und Chicagos Werdegang dar. In Marseille bestickt die junge Künstlerin Sarah Espeute Vintage-Tischdecken von Hand mit klassischen Szenerien, die an Illustrationen von Jean Cocteau erinnern. Inspirieren lässt sie sich aber auch von Gemälden wie Botticellis „Primavera“. Und der Brite David Shrigley richtete gleich ein ganzes Restaurant ein – vom Zuckerstreuer bis zu den Zeichnungen an den Wänden. Auch wenn seine Interpretation des Londoner Edellokals Sketch einer neuen Künstlervision weichen musste, ist sein Geschirr noch immer begehrt. Shrigleys unverwechselbare Handschrift findet sich auf Kännchen und Tellern, die um keinen Spruch verlegen sind: „Forget about it“, wird man vom Boden einer Teetasse ermahnt, „It’s ok“, beruhigt einen die Zuckerdose. Als Shrigley das Tischgedeck 2014 gemeinsam mit der britischen Traditionsmarke Caverswall umsetzte, sagte er in seiner typisch verschmitzten Art: „Das sind die ersten Kunstwerke, die ich geschaffen habe, die man in die Spülmaschine stecken kann.“

Sarah Espeute
Die junge Künstlerin Sarah Espeute bestickt Vintage-Tischdecken. © Maxime Verret/Sarah Espeute

Mit Text arbeitet auch der Künstler Monty Richthofen, der unter dem Pseudonym Maison Hefner auftritt. Bekannt wurde der gebürtige Münchner für seine Aktionen, bei denen er Menschen Sprüche auf den Körper tätowierte, ohne dass diese wussten, welche Botschaft ihnen bleiben würde. Mal cool, mal poetisch lesen sich seine handschriftlichen Kurzbotschaften, die mittlerweile auch in Galerien angekommen sind. In einer Kooperation mit KPM Berlin arbeitete er kürzlich zum ersten Mal mit Keramik. „Ich war neugierig, wie meine Arbeit auf einem Porzellanträger wirkt“, sagt Richthofen. „Ich glaube, beide Seiten sind bei der Produktion ein Stück weit aus ihrer Komfortzone herausgetreten.“ Entstanden ist eine Schale, die analog zum exklusiven Drop eines limitierten Sneakers nur 24 Stunden lang erhältlich und sofort ausverkauft war. „Illegal Possessions“ steht im weißen Porzellan, aber auch „Secret Possessions“ und „Valuable Possessions“.

Während Richthofen kunsthistorische Referenzen ablehnt, ist der niederländische Künstler Bouke de Vries tief in der Geschichte verhaftet. „Es fasziniert mich, wie Tischdekoration zu einem Ausdruck von Reichtum, Macht und Angeberei wurde“, erklärt er. Fünfzehn Jahre gehörte de Vries zu den führenden Restaurateuren für Porzellan: Von überall kamen Kunsthändler und Sammlerinnen in seine Werkstatt in London, um ihre Schätze reparieren zu lassen. Heute setzt er Vasen und Tafelgeschirr nicht mehr zusammen, sondern schafft aus Scherben von chinesischem Porzellan und Delfter Blau eigenständige Kunstwerke. Manche Skulpturen erinnern an Stillleben des Goldenen Zeitalters, die er in seiner Heimatstadt Utrecht als Junge bewundern konnte. Andere wirken, als wären sie in Raum und Zeit eingefroren, genau in dem Moment, in dem sie zu Bruch gingen. Auch wenn de Vries als Ausgangsmaterial Alltägliches wie Teekannen, Tassen oder Milchkännchen verwendet, betrachtet er seine Werke primär als Kunst. Am Ende überwiegt in seinen zeitgenössische Memento-mori-Installationen das Spiel mit der Geschichte – aber auch mit Nachhaltigkeit als Gegenwartstrend. Denn Bouke de Vries bezieht sich auf die japanische Technik des Kintsugi, bei der zerbrochenes Porzellan mit Lack und Goldpulver repariert und die Bruchstelle betont wird. Kintsugi führt vor, dass Beschädigtes nicht entsorgt werden muss, sondern in der Akzeptanz von Fehlern wahre Erfüllung liegen kann. Seinen Ursprung hat Kintsugi als Teil des ästhetischen Prinzips des Wabi Sabi, das auf den japanischen Teemeister und Zenmönch Sen no Rikyū zurückgeht und Schönheit im Unvollkommenen sucht.

Bouke de Vries
Der niederländische Künstler Bouke de Vries arbeitet mit Scherben von chinesischem Porzellan und Delfter Blau. Seine Werke verweisen auf die japanische Kintsugi-Technik, die das Unvollkommene feiert. © Bouke de Vries

Mit der Geschichte der Teezeremonie setzte sich wiederum Olaf Nicolai auseinander, als er 2010 mit Nymphenburg zusammenarbeitete. Die bayerische Manufaktur war damals auf der Suche nach zeitgenössischen Künstlern, um das Traditionshandwerk des Hauses mit experimentellen Ansätzen zu verbinden. Nicolai, bekannt für seine konzeptionelle Ausrichtung, reizte die Anfrage: Er hatte noch nie zuvor mit Porzellan gearbeitet. „Was mich interessierte, war, ein Objekt zu entwerfen, das man im Alltag nutzen kann und das auch zum Nachdenken anregt“, erinnert er sich. So entstand sein „Cula Set“ als Teeservice für eine Person, bestehend aus einer Kanne, einer Schale und einem Tablett aus schwarzem Biskuitporzellan. Der Name bezieht sich, wie Nicolai erklärt, auf das Kula-Ritual, ein Tauschsystem mit Korallen und Muschelschalen auf den pazifischen Trobriand-Inseln. „Ich wurde aber auch noch von etwas anderem inspiriert, von dem ich gar nicht wusste, dass es überhaupt existiert“, sagt er. „Ein Sammler beglückwünschte mich, dass ich das sogenannte service égoïste wieder aufleben lasse, das es im Ancien Régime gab.“ Nicolai war im Entstehungsprozess jedoch weniger am Einzelritual als vielmehr an der Idee der Kollaboration interessiert. Um die aufwendige kristalline Oberfläche des Services zu gestalten, arbeitete er mit Programmierern zusammen, die die Formen mit einem medizinischen Softwareprogramm kreierten. Teil des Services ist ein Buch, verfasst von einem Autorenkollektiv, das sich mit der Kula-Kultur auseinandersetzt. Der Clou? Die Geschichte ist so angelegt, dass man sie komplett vorlesen kann, während das Gegenüber die Kanne Tee leer trinkt. So wird das Einzelservice zu einem Objekt, das Zwischenmenschliches betont – ein Sinnbild für Gastfreundschaft. Mit dieser Haltung kann Nicolai auch persönlich viel anfangen: „Wenn mich jemand fragt, was ich am liebsten mache, dann gehört dazu ganz sicher ein Essen mit Freunden.“

Zur Startseite