Interview mit Marion Ackermann

„Ich will eine starke Weiblichkeit zeigen“

Für Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sind Künstlerinnen in deutschen Museen noch immer zu wenig sichtbar. Ein Gespräch über Quoten, gläserne Decken, die Veränderung des Kanons – und die wiedergewonnenen Juwelen von Dresden

Von Sarah Alberti
17.01.2023
/ Erschienen in Kunstplaner 2023

Auf der Biennale in Venedig im vergangenen Jahr zeigte die Kuratorin Cecilia Alemani in ihrer Hauptausstellung zahlreiche Künstlerinnen, und die Präsenz von Frauen im internationalen Ausstellungsgeschehen nimmt zu. Dennoch sind Künstlerinnen in der Museums- und Ausstellungslandschaft noch immer unterrepräsentiert. Welchen Beitrag können Museen zur Sichtbarkeit von Künstlerinnen leisten? Sind Gruppenausstellungen ein sinnvoller Weg? Und wie können mehr Frauen in Führungspositionen gelangen?

Frau Ackermann, bevor wir über die Präsenz von Künstlerinnen sprechen, kommen wir zu einem aktuellen Thema: Kurz vor Weihnachten 2022 konnte ein Teil des 2019 beim Einbruch in das Historische Grüne Gewölbe entwendeten Diebesgutes sichergestellt werden. Wie hat Sie diese Nachricht erreicht und was hat sie bei Ihnen ausgelöst?

Als mich die Nachricht am Samstag vor dem 4. Advent erreichte, habe ich mich natürlich sehr gefreut. Uns allen fiel eine gewaltige Last von den Schultern. Statistisch gesehen führten nur etwa zehn Prozent aller Kunstdiebstähle zur Rückgewinnung der Werke, insofern haben wir großes Glück gehabt.

Wie ist der Zustand der Stücke?

Wie eine Restauratorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden am Dienstag, den 10. Januar 2023 in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, weisen die Objekte unterschiedliche Erhaltungszustände auf, wobei die Bandbreite der äußeren Einwirkungen von mechanischen Beschädigungen bis hin zu eingedrungener Feuchtigkeit reicht. Diese Schäden können jedoch nahezu vollständig restauriert werden. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden werden eine Expertenkommission einberufen, um den Zustand der Objekte und die Restaurierungsmaßnahmen zu diskutieren.

Wann werden die Stücke wieder im Schloss zu sehen sein?

Wir werden die Schmuckstücke baldmöglichst nach Prozessende ausstellen.

Nun zu unserem eigentlichen Thema: Wie steht es derzeit um die Sichtbarkeit von Künstlerinnen in Deutschland?

In den letzten 20 Jahren hat sich viel verbessert. Viele Künstlerinnen sind inzwischen einfach oder mehrfach ausgestellt worden. Allerdings heißt das nicht, dass sie auch in den kunsthistorischen Kanon eingegangen sind. Die SCHIRN in Frankfurt hat beispielsweise 2015 eine Ausstellung zu 18 Künstlerinnen der Avantgarde gemacht, die bei der legendären STURM-Galerie in Berlin vertreten und international aktiv waren. Die Positionen waren auch mir vollkommen neu. Einem breiteren Publikum sind sie weiterhin nicht bekannt.

Vor vier Jahren gab es in Dresden unter Ihrer Ägide gleich zwei Ausstellungen, die ausschließlich weibliche Positionen zeigten. Sind Ausstellungen, deren kuratorischer Ansatz ein soziologischer ist, ein sinnvoller Weg, um Künstlerinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen?

Als es in den 1980er-Jahren mit Ausstellungen von und über Künstlerinnen losging, haben sich viele geweigert, daran teilzunehmen, weil sie eben nicht nur in ihrer Rolle als Frau dargestellt werden wollten. Das ist nach wie vor problematisch. Ich bezweifle, dass es so etwas wie einen weiblichen oder männlichen Blick gibt. Feministische Kunstgeschichte hat mich nie interessiert. Für mich waren solche Ausstellungen allerdings oft mit einem enormen Erkenntnisgewinn verbunden.

Inwiefern?

Mit Susanne Meyer-Büser habe ich 2011 in der Ausstellung „Die andere Seite des Mondes“ acht Künstlerinnen präsentiert, die die ästhetischen Neuerungen im Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgeprägt haben: Claude Cahun, Sonia Delaunay, Germaine Dulac, Florence Henri, Hannah Höch, Katarzyna Kobro, Dora Maar und Sophie Taeuber-Arp. Auffällig war, dass sie vor allem mit ephemeren und leichten Materialien gearbeitet haben, die für den einfachen Transport in einen kleinen Koffer passten. Ihre Lebensumstände haben die Kunst beeinflusst. Viele Künstlerinnen hatten Ausfallzeiten, in denen sie sich um ihre Kinder gekümmert haben. Oder ihr Werk wurde einfach nicht überliefert. Von Kobro, deren Atelier im Krieg ausgebombt wurde, sind heute nur noch 19 Arbeiten bekannt.

Rosalba Carriera Rokoko
Rosalba Carriera (1673-1757) war mit ihrer Pastellmalerei ein Superstar des Rokoko, hier ihr Porträt einer höfischen Dame, genannt „Eine Dame in blauem Mantel über hellem Kleid“. © SKD

Gibt es neben Ausstellungen andere Möglichkeiten, Künstlerinnen nachträglich in den Kanon einzuschreiben?

Wichtiger als Ausstellungen finde ich Ankäufe. Über sie können wir Werke und Namen quasi für die Ewigkeit im spezifischen Kanon eines Museums verankern und hoffen, dass künftige Generationen sie entdecken werden. So ist es mir gegangen, als ich in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen auf Lee Bontecou traf. Ich war fasziniert von ihrem Werk, das über eine Schenkung ans Haus gekommen war. Mein Vorgänger Werner Schmalenbach hatte in 30 Jahren Amtszeit nur zwei Werke von Künstlerinnen in die Sammlung aufgenommen. Als ich in Düsseldorf anfing, waren in der Sammlung neun Prozent Künstlerinnen vertreten. Als ich gegangen bin, waren wir bei etwa 25 Prozent.

Im Bestand der Neuen Nationalgalerie in Berlin sind derzeit neun Prozent der Kunstwerke von Künstlerinnen. Wie ist die Quote in Dresden?

Das lässt sich für unseren Verbund aus 15 Museen mit 1,5 Million Objekten kaum pauschal greifen: In der Sammlungspräsentation im Albertinum sind derzeit knapp über 200 Künstler und 31 Künstlerinnen vertreten. Im Bestand der Gemäldegalerie Alter Meister sind rund 3800 Werke verzeichnet, knapp 100 Werke, also ca. drei Prozent, stammen von Künstlerinnen.

Manche Museen haben begonnen, ausschließlich Werke von Künstlerinnen anzukaufen. Gibt es an den Kunstsammlungen eine Frauenquote für Ankäufe?

Zahlen helfen bei der Bewusstseinsbildung und sind interessant, um Fortschritte zu bemessen. Ich würde aber nie nach Quote sammeln. Das Albertinum schaut seit Jahren gezielt nach weiblichen Positionen, die zu wenig gezeigt worden sind. Nach der Ausstellung „Medea muckt auf. Radikale Künstlerinnen jenseits des Eisernen Vorhangs“ haben wir gesagt: Diese Künstlerinnen müssen stärker in unsere Sammlung. Das gilt insgesamt für Kunst aus der Zeit der DDR. Von unserem Freundeskreis haben wir zusätzliches Geld für Ankäufe bekommen und konnten so wichtige Werke, etwa von Else Gabriel oder Annemirl Bauer, erwerben. Als ich 2016 nach Dresden kam, waren mir viele künstlerische Positionen aus der DDR nicht bekannt. Für mich begann eine große Entdeckungsreise, verbunden mit einem großen Staunen. Ich kannte etwa auch Gabriele Stötzer oder Ruth Wolf-Rehfeldt nicht, der das Albertinum 2018 eine große Einzelausstellung gewidmet hat.

Ruth Wolf-Rehfeldt Wo Stehen Sie
Zu DDR-Zeiten stand Ruth Wolf-Rehfeldt im Schatten ihres Künstlermannes. Nun ist sie berühmt. Ihr Werk „Wo Stehen Sie?“ entstand in den späten 1970er Jahren. © Privatsammlung, Berlin

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