Interview mit Marion Ackermann

„Ich will eine starke Weiblichkeit zeigen“

Für Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sind Künstlerinnen in deutschen Museen noch immer zu wenig sichtbar. Ein Gespräch über Quoten, gläserne Decken, die Veränderung des Kanons – und die wiedergewonnenen Juwelen von Dresden

Von Sarah Alberti
17.01.2023
/ Erschienen in Kunstplaner 2023

Sind Einzelausstellungen von Künstlerinnen für eine Korrektur des Kanons wirkungsvoller als Gruppenpräsentationen?

Meines Erachtens ist es für ein Museum wirklich nur sehr schwer möglich, den Kanon zu korrigieren. Jemanden nachträglich berühmt zu machen, das geht nur über eine konzertierte Aktion von internationalen Museen. Zu Agnes Martin haben wir 2015 eine Mega-Ausstellung in der Kunstsammlung NRW gemacht, davor war sie in der Tate Modern zu sehen, danach im Los Angeles County Museum of Art und im Guggenheim Museum in New York. Aber eine wirkliche Veränderung des Kanons gelingt wohl nur über den Kunstmarkt. In Paris kann man das sehr gut beobachten: Große Galerien starten Kampagnen, um jemanden auszugraben und publik zu machen. Und Marken wie Louis Vuitton gehen Kooperationen mit Künstlerinnen und Künstlern ein.

Es braucht neben dem guten Willen immer auch finanzielle Mittel. Sind potenzielle Geldgeber zurückhaltender, wenn es um Künstlerinnen geht?

Bei öffentlichen Förderungen, wie etwa von der Bundeskulturstiftung, ist das kein Thema. Für Unternehmens- oder privates Sponsoring gilt: Je größer die Namen sind, umso mehr Geld ziehen sie an. Das sind oft männliche Positionen und auch oft Werke, die jeder Bankvorstand gern hätte. Das ist bei unbekannteren Künstlerinnen und auch Künstlern sehr viel schwieriger.

Wann ist Ihnen die Ungleichbehandlung von Frauen in der Kunstwelt bewusst geworden?

Ich bin durch meine Mutter im Erkennen von Ungleichgewichten sehr geschult. Sie war an der Universität in Ankara tätig und hat sich immer für die Rechte der Frauen eingesetzt. Als ganz schlimm erinnere ich 1997 die Angriffe auf Catherine David.

Die erste Documenta-Direktorin, deren Äußeres mit Schneewittchen verglichen wurde.

Jede Zeitungskritik begann damals mit einer ausführlichen Beschreibung ihrer körperlichen Merkmale. Es wurde minutiös Protokoll darüber geführt, wie viel Kilo sie abnahm. Das war sehr abschreckend. Der persönliche Austausch und die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen, etwa Katharina Grosse und Rebecca Horn, waren für mich sehr wichtig. Eine meiner ersten großen Ausstellungen habe ich mit Rosemarie Trockel gemacht. Manche Frauen dieser Generation waren sehr traurig darüber, keine Kinder bekommen zu haben, weil es ihnen unmöglich war, Familie und Beruf zu vereinbaren. Rebecca Horn hat ja spät noch einen erwachsenen Sohn adoptiert.

Else Gabriel ONE WAY
„One Way - Schwarzschild - Kalte Anschläge“ aus dem Jahr 1986 der Video-und Performance-Künstlerin Else Gabriel. © SKD/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Wann lag die Frage nach der Präsenz von Künstlerinnen zuletzt auf Ihrem Schreibtisch?

Bei der Planung des nächsten Jahres. Die Gemäldegalerie Alte Meister wird Rosalba Carriera anlässlich ihres 350. Geburtstages eine Einzelausstellung widmen. Ich sage es jetzt extra geschlechtsneutral: Sie war für die Zeitgenossen der wichtigste Künstler! Und trotzdem ist Watteau heute bekannter. Parallel richtet eine kleine Kabinett-Ausstellung den Blick auf weitere Künstlerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts, die bislang eher ein Schattendasein neben den großen Namen der Kunstgeschichte führten, obwohl sie sich in einem damals von Männern dominierten Berufsfeld behaupten konnten. Wir müssen die Wahrheiten der früheren Jahrhunderte erzählen, auch im Sinne einer differenzierten Geschichtsvermittlung.

Die Kunstsammlungen vereinen über 3000 Jahre globale Kunst- und Kulturgeschichte. Welche kuratorischen Strategien können die Perspektive erweitern?

Im Residenzschloss vermitteln wir auf Medienstationen zum Beispiel die Geschichte von Anna von Sachsen. Sie war eine unglaublich starke Persönlichkeit, hatte 13 Kinder und spielte gesellschaftlich eine ganz wichtige Rolle. Das sind keine aus heutiger Sensibilität nachträglich größer gemachten Geschichten. Das Gegenteil ist der Fall: Diese Frauen sind irgendwann durch das Raster der Wahrnehmung gefallen. Es geht daher um eine überfällige Korrektur.

In der Führung der Kunstsammlungen ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Ziehen Frauen in Führungspositionen mehr Frauen nach sich?

Das ist sicher ein wichtiger Baustein. Auch Netzwerke, insbesondere von Frauen, die sich gegenseitig unterstützen, finde ich sehr sinnvoll. Ich bin selbst Teil eines europaweiten Frauennetzwerks von Künstlerinnen, Gestalterinnen, Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen und Sammlerinnen. Wir haben schon vor 20 Jahren darauf geachtet, ob Frauen auf Besetzungslisten standen. Wenn dem nicht so war, haben wir Vorschläge geschickt und dazu beigetragen, dass Frauen in entscheidende Positionen kamen. Oft habe ich in Berufungskommissionen erlebt, dass meine männlichen Kollegen gar keine Frauen kannten. Dann perpetuiert sich das Muster. Gerade gibt es einen Rückschritt: Im Leipziger Kreis, einem Zusammenschluss von Museumsdirektoren aus ganz Deutschland, sind wir 16 Männer und vier Frauen. In Berlin gibt es seit den letzten Berufungen fast nur noch männliche Direktoren. Die Frage, wie es Frauen gelingen kann, die gläserne Decke zu durchbrechen, ist hochaktuell!

Marion Ackermann Dresden
Marion Ackermann ist seit 2016 Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. © SKD/Oliver Killig

Wie ist es Ihnen gelungen?

Der Sprung an das Kunstmuseum Stuttgart war für mich damals ein Sprung ins kalte Wasser ohne Führungserfahrung. Helmut Friedel, mein damaliger Chef in München, hat mich darin unterstützt. Für die Leitung der Kunstsammlung NRW hatte man mich offensiv angeworben. Ich wäre gern in Stuttgart geblieben, habe aber auch aus einem feministischen Impuls heraus zugesagt. Aber ich habe diese gläserne Decke nicht ohne Schwierigkeiten durchstoßen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für uns?

Als ich in Düsseldorf angefangen habe, war ich im siebten Monat schwanger. Da habe ich einige merkwürdige Dinge erlebt: Eine Frau sagte: „Sie sehen einfach gar nicht aus wie ein Direktor!“ Ich hatte einen dicken Bauch und lange Haare. Es gab ja lange die starke Tendenz, dass Frauen sich über die Kleidung der Männerwelt angepasst oder neutralisiert haben. Ich wollte immer eine starke Weiblichkeit zeigen, weil ich nicht einsehe, dass ich die verdrängen muss.

Viele Künstlerinnen und auch Künstler beklagen, dass das Kunstsystem familienunfreundlich ist. Was können Museen leisten, um Künstlerinnen und Eltern zu unterstützen?

Wenn wir in Dresden Stipendien oder Residenzprogramme einrichten oder Menschen für Vorträge und Workshops einladen, fordern wir explizit dazu auf, Kinder mitzubringen und bieten Unterstützung an. Das Bewusstsein dafür verändert schon ganz viel. Ich habe meine beiden Kinder nie versteckt, auch wenn es auf Abendveranstaltungen manchmal kritische Blicke gab. Es braucht Vorbilder. So manche meiner Künstlerfreunde und Kolleginnen konnte ich in diesem Sinne inspirieren …

Service

Hinweis zur Transparenz

Die Interviewerin ist auch als freie Mitarbeiterin für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden tätig.

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