Ein neuer Skulpturenweg soll Chemnitz und fast vierzig Gemeinden verbinden. Alexander Ochs, Kurator des Purple Path, über die Landschaft, den Bergbau und die verbindende Kraft der Kunst
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06.07.2023
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 215
Alexander Ochs stammt aus dem Fränkischen, wie man seinem rollenden R noch anhört. Viele Jahre hat er in Peking und in Berlin gelebt, im vergangenen Jahr ist er nach Chemnitz gezogen. Mit seiner Erfahrung im Kunsthandel, seinen Verbindungen zu Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart und seinem bürgerschaftlichen Engagement ist er die treibende Kraft hinter dem Purple Path, der in der Region rund um Chemnitz mit zeitgenössischer Kunst auf vielen Ebenen neue Impulse setzt.
Wie würden Sie das Projekt des Purple Path in wenigen Worten beschreiben?
Es ist ein Pfad, der gemeinsam begangen wird. Er entsteht prozesshaft. Am Ende wird es vermutlich der umfangreichste, nachhaltigste Skulpturenpark in Europa, denn das Projekt soll noch mindestens zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre weitergehen. Die europäische Kulturhauptstadt Chemnitz 2025, die mich gebeten hat, das Projekt zu entwickeln, ist meines Wissens die erste Stadt, die Kunst – in diesem Fall Skulptur und Räume – ankauft und das Geld eben nicht für Museen oder die Renovierung von Gebäuden ausgibt, sondern sagt: „Ja, wir stellen die Kunst ins Zentrum einer kulturellen Aussage, in einem Transformationsprozess, den diese Region braucht.“
Hat die Farbe Lila eine besondere Bedeutung?
Die liturgische Farbe Lila ist sowohl die Farbe der Passion, also der Empathie und des Mitleidens, als auch die Farbe im Advent, das heißt des Aufbruchs.
Wenn man sich die Landkarte anschaut, dann geht der Purple Path im Zickzack von Chemnitz aus in alle Richtungen, Mittweida im Norden, Freiberg und Seiffen als westlichste Punkte, Annaberg-Buchholz und Schwarzenberg im Süden und Zwickau im Westen. Wie viele Kilometer lang ist dieser Parcours?
Das sind rund 250 Kilometer, alles in allem, wobei wir nicht davon ausgehen, dass wir die in einem Tag abfahren!
Auf der Website des Purple Path ist eine Landkarte mit vielen Sternen zu sehen, die unterschiedliche Ziele markieren. In dieser Sternenkonstellation gibt es unter anderem die Kategorien „ausgezeichnete Macher“, Museen, Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Wie haben Sie all diese unterschiedlichen Adressen, Gemeinden und Institutionen für ein gemeinsames Projekt gewonnen?
Im Verlauf der vergangenen Jahre habe ich viele Ausstellungen in Kirchen und in Diözesanmuseen kuratiert. In der Bewerbungsphase zur Kulturhauptstadt 2025 ging man wohl davon aus, „wenn der Kirchen kann, dann muss er auch Erzgebirge können“. Tatsächlich ist es so, dass dieses Erzgebirge den Sozialismus überdauernd kulturell christlich fundiert geblieben ist. Das Narrativ haben wir in langen Diskussionen gefunden. Es heißt: „Alles kommt vom Berg her.“ Der Bergbau ist die Klammer und auch der Schlüssel im Verständnis unseres Unterfangens. Aus dem Berg sind Silber, Erze, Zinn, Kaolin, Kobalt, Uran und andere Mineralien gewonnen worden, aus denen die Kunst besteht, die wir ausgewählt haben. Dazu kommt mit James Turrell zum Beispiel die Lichtmetapher, die Sehnsucht der Bergleute nach Licht. Oder das Holz, ausgehend von dem sächsischen Bergrat von Carlowitz, dem Schöpfer des forstlichen Nachhaltigkeitbegriffs in der Zeit um 1700. Der Purple Path ist Geschichtenerzähler. Mit den Materialien geht es zurück in die Geschichte des Bergbaus, in die Industrialisierung.
Die Region hat eine unglaublich vielfältige und wechselvolle Geschichte, von den Silberfunden im 12. Jahrhundert bis zu den KZs des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls auf der Karte des Purple Path eingezeichnet sind.
In der Regel sprechen wir nicht von KZs, es handelt sich um Außenlager des KZs Flossenbürg. Und ja, wir lassen eben kein Thema aus. In Oederan zum Beispiel wurde 1943 der Künstler Igor Mitoraj gezeugt, geboren als Sohn eines französischen Kriegsgefangenen und einer polnischen Fremdarbeiterin, die sich dort getroffen haben. So landet auf meiner Künstlerliste plötzlich ein Igor Mitoraj. Ich werde gefragt: »Warum er?« Das ist genau der Grund, wir thematisieren die Geschichte der Unterdrückung im Dritten Reich. Gedenkstätten werden wir neu markieren, zusammen mit dem Münchner Künstler Rainer Viertlböck, der im Auftrag der Flossenbürger den Heute-Zustand fotografiert hat. Wir helfen so, auch diesen düsteren Teil der Geschichte aufzuarbeiten. Ein Thema ist auch die Ausbeutung Sachsens und Thüringens durch die sogenannte Wismut AG: Die Sowjetunion hat 60 Prozent ihres gesamten Uranbedarfs für Atomwaffen und Atomkraftwerke inklusive Tschernobyl von dort geholt. Die Friedhöfe liegen voll mit Lungenerkrankten, sie starben an der Schneeberger Krankheit. Es kommen so viele Geschichten zusammen! Was wir am Ende erzählen, ist ein großes neues Sittengemälde der gesamten Region.
Wie kommt dabei die Kunst ins Spiel?
Die Kunst gibt uns die Möglichkeit – ohne dass wir sie instrumentalisieren –, Hinweise auf historische Ereignisse zu geben. Diese Methode tragen alle 39 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit. Die Form des Purple Path entstand vor drei Jahren aus der sogenannten Chemnitzer Spinne, den im Nahverkehrssystem mit der Stadt assoziierten Gemeinden. Als ich mir das angeguckt habe … man fährt immer hinein nach Chemnitz und hinaus, „nei“ und „naus“. Man landet aber im Nowhere-Land, das heißt man fährt im Zug nach Hainichen, und es ist Schluss, oder nach Mittweida, Schluss. Da haben wir gesagt: „Wir schaffen das alles zusammen.“ Vielleicht entsteht eine neue kulturelle Identität.
Wie bringen Sie die Künstlerinnen und Künstler mit den Orten zusammen?
Wir haben immer wieder in vielen Bürgermeisterkonferenzen abstrakt über die Kunst gesprochen, und Arbeiten gezeigt ohne sie zuzuordnen. Wir bekommen von dem berühmten irisch-amerikanischen Künstler Sean Scully die Skulptur „Coin Stacks“. Sein Großvater war übrigens Bergarbeiter – und es gibt noch eine Verbindung von ihm zur Region: Der in Chemnitz geborene Expressionist Karl Schmidt-Rottluff war für ihn ein wichtiger Einfluss.
Ach ja? Wussten Sie, dass Schmidt-Rottluffs wichtigste Förderin Rosa Schapire WELTKUNST-Korrespondentin war? Aber ich will nicht ablenken.
Wusste ich nicht, nehme ich aber gleich in unsere Geschichte auf. Scullys Skulptur hat die Form gestapelter Münzen. Wir bauen sie in Schneeberg zwischen der St. Wolfgangskirche mit dem wunderbaren Cranach-Altar und dem Rathaus auf. Im 16. Jahrhundert gab es hier den ersten Bergarbeiterstreik in Deutschland überhaupt. Nürnberger Kaufleute kauften sich in den Bergbau ein – heute würde man sagen Heuschrecken. Sie taten, was Kapitalisten immer tun, und kürzten den Arbeitern erst einmal den Lohn. Die Arbeiter haben sich durchgesetzt. Noch heute wird hier jedes Jahr der Bergstreittag gefeiert. Wir geben ihm jetzt Substanz zurück. Wenn aus ganz Europa Besuch kommen wird, um die Skulptur von Scully an dieser Stelle zu sehen, dann erfahren wir so diese Geschichte.
Künstler wie Sean Scully sind längst weltberühmt, aber es finden sich auch jüngere auf dem Purple Path?
Ja, selbstverständlich, und einige gänzlich unbekannte.
Nevin Aladağ, Professorin an der Kunstakademie Dresden, hat ein Werk beigesteuert, das sich auch mit einem speziellen Industriezweig in Verbindung bringen lässt.
Ja, ich habe schon erwähnt, wie wichtig das Licht ist. Zwönitz, wo es übrigens heute noch einen Nachtwächter mit Laterne gibt, der an Maria Lichtmess den Winter abbläst, war ein Zentrum der Strumpfindustrie. Ein großes Strumpfunternehmen produziert noch heute dort. Die Künstlerin hat schon vor Jahren Strumpfhosen dieses Betriebs über Leuchtkörper gespannt. Wir haben ihr Werk „Color Floating“ mit bedeutendem Engagement des dortigen Bürgermeisters und seines Teams im Austelpark über einem wunderbar wild zugewachsenen Teich installiert. Dort leuchtet Nevin Aladağs Arbeit als Anspielung auf die Strumpfindustrie und spiegelt die Sehnsucht der Bergleute nach Licht, denn vor der Industrialisierung gab es ja den Bergbau.