Unweit von Zürich lädt der bekannteste Landschaftsarchitekt der Schweiz in sein Baummuseum. Hier kombiniert Enzo Enea die heimische Flora mit zeitgenössischer Kunst – und lehrt wie nebenbei den Umgang mit der Natur
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21.07.2023
Eine Nonne mit violettem Kleid. Eigentlich sieht sie mehr aus wie ein lila gefärbter, roh behauener Stein, und auch der blaue Kopf verlangt einiges an Fantasie, um jene „Nun“ zu erkennen, die Ugo Rondinone bei der Gestaltung seiner Skulptur vorschwebte. Der Schweizer Künstler hat eine Menge überlebensgroßer Nonnen aus Bronze geschaffen. Ihre Zahl übertrifft in jedem Fall die Mitglieder des Ordens, der schon seit Jahrhunderten am Obersee im Kanton St. Gallen wirkt. Rondinones „Nun“ grüßt vom Areal gegenüber.
Früher wurde es ebenfalls von den Zisterzienserinnen bewirtschaftet, doch der kleinen Nonnenschar ist es längst zu viel geworden. Die Schwestern haben das fast elf Fußballfelder große Grundstück in Rapperswil-Jona an Enzo Enea verpachtet, und wer den ehemaligen Klostergarten betritt, der wähnt sich in einem Paradies mit uralten Bäumen, dichtgrünen Hecken und einer von bunten Blüten durchsetzten Bienenwiese, aus der es hörbar summt. Ein Stück wohlbehütete Natur, in die der prominenteste Landschaftsarchitekt der Schweiz nun seine Kunst von Rondinone, Sylvie Fleury oder Kerim Seiler stellt.
Nichts da, sagt Enea. Als er den Boden 2002 übernahm, war der öde und matschig. Ein halber Sumpf, gespeist aus dem nahen See, vollkommen untauglich für einen herkömmlichen Park. Aber das wäre ohnehin nichts für den 59-Jährigen, der weltweit unterwegs ist, um privates Grün für eine vermögende Klientel zu gestalten. Enea denkt anders – wofür nicht zuletzt ein Baum verantwortlich ist, den er an den Obersee verpflanzt hat. Er stammt aus dem Garten des Großvaters und stellt die Basis all dessen dar, was man Eneas Lebenswerk nennen kann. Dennoch sucht man die Zwetschge in Eneas einzigartigem Baummuseum vergeblich. Sie hat ihr Höchstalter erreicht, wird wohl bald absterben. Enea nimmt das Golfcart, umfährt die imposanten Pflanztöpfe seiner Baumschule, die das Museum von allen Seiten umgibt, und steuert zielsicher auf eine Wiese zu, wo das eher unscheinbare, knorrige Exemplar steht.
In seiner Kindheit trug der Baum Früchte. Saftig, frisch und aromatisch. Der Großvater überraschte Enzo Enea als Sieben- oder Achtjährigen mit einer selbst gepflückten Zwetschge. „Das hat meine Liebe zu den Bäumen geweckt“, erinnert er sich. Es war ein heißer August, das Obst stillte seinen Hunger und Durst – und schürte gleichzeitig eine immerwährende Sehnsucht. Sie hat Enea zum Sammler gemacht: Er besitzt, neben zeitgenössischen Kunstwerken, zahllose Bäume. Begonnen hat er damit vor mehr als einem Vierteljahrhundert. Wer sich Enea nun aber als einen vom Arbor Besessenen vorstellt, der durch die Welt jettet, um in Italien alte Olivenbäume auszugraben oder sich in Japan einen roten Schlitzahorn zu sichern, liegt erneut falsch. Die Bäume kommen zu ihm, quasi als Nebenprodukt seiner Arbeit mit der Landschaft.
„Wir haben ja keine Bäume in ein Museum gepackt, sondern Bäume gerettet, die sonst gefällt worden wären“, erklärt er. Ein Teil der prächtigen Umsiedler, manche davon über ein Jahrhundert alt, stammen aus privaten Gärten, in denen sie nicht länger erwünscht waren. Enea sollte sie vor der Umgestaltung beseitigen. Andere standen Gebäuden oder Straßen im Weg, die Kettensäge wäre ihr Ende gewesen. Eine Zumutung für jemanden, der Bäume liebt. Enea entschied sich zur Mitnahme. Was nicht ganz einfach ist. Alte Bäume zu verpflanzen, gilt als riskant, oft wachsen sie nicht wieder an. Ausgerechnet sein Karatelehrer, ein passionierter Bonsai-Züchter, brachte ihn dank des japanischen Wurzelschnitts auf die Idee, wie solche Umzüge zu bewerkstelligen sind. Die traditionelle Technik hat es ihm ebenso angetan wie das ästhetische Ergebnis: Bonsai-Bäume wachsen perfekt. Bloß sie mithilfe von Draht in Form zu bringen, empfindet Enea als „zu streng“. Er hat ein differenzierteres Verhältnis zur Natur: „Die Bäume schneide ich so in Form, dass sie sich wieder leichter entfalten können.“
Dies tun sie seit über einem Jahrzehnt in seinem Baummuseum. Über 50 Exemplare aus gemäßigten Klimazonen verteilen sich über den Park, ein sorgsam abgezirkelter Bereich auf dem Gelände seines Unternehmens. Das Pleinair-Museum hat die Form eines Ovals, die Inspiration dazu lieferte die olympische Laufstrecke. Bei Enea muss jedoch niemand rennen. Stattdessen soll der gestresste Städter eine halbe Fahrstunde von Zürich entfernt entschleunigen; soll über die sanft geschwungenen Buchsbaumhecken, die die Bewegung der Landschaft nachahmen, ins Weite schauen, das sanfte Plätschern von Wasser genießen und nicht zuletzt die räumlichen Qualitäten der Anlage entdecken. Der Begriff Museum ist tatsächlich nicht dem Alter der Bäume geschuldet, sondern bezieht sich auf die sanfte Inszenierung aller landschaftlichen Elemente.
Ein Gestalter wie Enea überlässt nichts dem Zufall. Den See, der an das Baummuseum grenzt, ließ er mit dunklem Lavastein auslegen. Die roten Kois im Wasser leuchten vor der Schwärze. Am Ufer schimmern metallisch die „Mushrooms“ von Sylvie Fleury in den Nagellackfarben einer vergangenen Saison. Und über dem See erhebt sich mit „Spira“ von Richard Erdman eine tonnenschwere Plastik, die zu schweben scheint. Drei Meter misst auch „Animello“, ein Mischwesen aus Seele und Tier. Für Sergio Tappa bietet die Bronze die Möglichkeit zur poetischen Reflexion über das Vermittelnde zwischen den Welten. Enea, der immer wieder mit der Art Basel kooperiert und in den vergangenen zwei Jahren dort „Treetopia“ als Ausstellung von Bäumen installierte, sammelt „ausschließlich Kunst, die die Natur verstärkt“. Wenn sich Stella Hambergs „Berserker II“, ein monströser Riese mit Knüppel, auf dem Rasen erhebt, erinnert die Skulptur an unseren destruktiven Umgang mit den Ressourcen. Der „Bear“ von Olaf Breuning wirkt dagegen wie paralysiert – eine Kreatur auf dem Rückzug, weil ihr der Wald und damit der Lebensraum genommen wird.