Skulpturen im öffentlichen Raum findet man in London viele. Nicht alle sind von hoher Qualität, aber es gibt auch wahre Meisterwerke. Wir sind offenen Auges durch die Stadt gelaufen und haben viel Sehenswertes entdeckt
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08.08.2023
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 12/23
Ein aufregender ästhetisch-intellektueller Mix des 17., 19. und 20. Jahrhunderts ist eine Bronze im Vorhof der British Library in London. Gemeint ist Eduardo Paolozzis gigantischer „Newton“, der nach einem kolorierten Druck von William Blake entstand – Englische Aufklärung und naturwissenschaftliche Revolution treffen hier auf Mystizismus und romantische Schwärmerei, auf Pop-Art und Moderne. Paolozzi gehört wie Anthony Caro, Lynn Chadwick und Elizabeth Frink zu jener Nachfolgegeneration von Moore und Hepworth, die ab der Mitte des 20. Jahrhunderts mit neuen Ausdrucksformen kokettierte, die semiabstrakt, humorvoll, genreübergreifend und spielerisch Konzepte, Techniken und Materialien austestete. Paolozzis Arbeiten sind in London allgegenwärtig: Da gibt es etwa den U-Bahn-Ventilationsschaft in Pimlico oder seinen „Kopf der Erfindung“ vor dem Design Museum. Und nicht zu vergessen: seine farbenfrohen Mosaiken aus der alten Tottenham-Court-Station, die in den neuen, nach jahrelanger Bauzeit nun endlich in Betrieb genommenen Bahnhof integriert wurden.
In der zeitgenössischen Plastik verwischen sich zunehmend die Grenzen zu anderen Disziplinen. Mal spielt die Wissenschaft hinein, mal die Mystik. Wem das zu verkopft klingt, der sehe sich einmal die Schöpfungen von David Nash, Peter Randall-Page, Rachel Whiteread, Emily Young, Anish Kapoor oder dem Künstlereremiten Steve Dillworth von der Isle of Skye an. Ihre Werke sind häufig – und im besten Sinne – rätselhaft, herausfordernd. Sie leben von ihrer Spannung aus handwerklicher, ästhetischer und narrativer Brillanz. Ein Paradebeispiel dafür – theatralisch, spektakulär und zugleich ein Klassiker der zeitgenössischen Plastik – ist Cornelia Parkers „Cold Dark Matter“. Dieses minutiöse Standbild einer explodierenden Scheune – endlos interpretiert – ist heute mehr denn je Sinnbild einer sich scheinbar (?) auflösenden Gegenwart.
Eine Besonderheit im Bereich der öffentlichen Plastik sind Arbeiten, die sich aus den natürlichen Materialien ihrer Umgebung speisen. Etwa von Andy Goldsworthy und Richard Long, die ihrerseits inspiriert sind von amerikanischen Kollegen wie James Turrell, Robert Smithson und Michael Heizer. Busreisende Richtung Stansted Airport sollten kurz vor der Ausfahrt 6 auf der M 11 (Theydon Bois) einmal kurz aus dem Fenster schauen: Zu sehen ist dort nämlich linker Hand ein Hang mit – leider unvollendeten – spiralförmigen Strukturen, die über die Jahre mehr und mehr mit der Landschaft verwachsen sind: die Arbeit „Earthworks“ von Richard Harris. Solche Werke reichen als Kunstform bis in die Siebzigerjahre zurück, haben aber erst in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt Eingang ins allgemeine Bewusstsein gefunden.
Skulpturenparks liegen derzeit voll im Trend – etwa der Yorkshire Sculpture Park, der Forest of Dean Sculpture Trail, Sheepfolds, Anthony Gormleys „Another Place“ oder auch Lough MacNean Sculpture Trail. Mittlerweile verarbeiten selbst Organisationen wie English Heritage, der National Trust oder Historic Scotland in ihren Präsentationen historischer Stätten gezielt skulpturale Elemente – beispielsweise in Hove Park, Tintagel, Newhailes House, Belsay, Scarborough Castle oder Witley Court. Die Faszination solcher Orte liegt im Wechselspiel aus Kunst, Natur, Geografie und Geologie – im sich stetig wandelnden Erlebnis, abhängig von der Tages- und Jahreszeit, von Wetter und Licht.
Last, but not least ist Harlow – eine typische Kleinstadt auf halbem Weg zwischen London und Stansted – ein Hotspot für Kunst im öffentlichen Raum. Das Zentrum ist recht lieblos zusammengeschustert – nicht untypisch für diese Region. Das heißt: brauner Klinker und Beton, Einkaufszeilen mit Billigläden, viele davon – Zeichen der Zeit – verbarrikadiert, bis auf Weiteres geschlossen, pleitegegangen. Sozialer Wohnungsbau aus der Nachkriegszeit, „Council Estates“, in die Jahre gekommen und schäbig geworden. Durchzogen wird das Ganze von einem kleinen Fluss, dem Stort, an dessen Ufer man dann ganz unverhofft auf plastische Arbeiten stößt – auch auf überraschende Arrangements, etwa einen Brunnen mit einer fantastischen Fratze. Daneben finden sich Grünanlagen und alte Häuser – historische Überbleibsel, die Harlow dann doch wieder ein Stück weit erträglich machen.