Buchtipps

Die schönsten Kunstbücher

Ob zu Hause auf der Couch oder als Weihnachtsgeschenk – Bücher gehören zum Winter. Wir haben die passende Lektüre für die gemütliche Jahreszeit: von Florian Illies über Caspar David Friedrich bis zur Kunstgeschichte ohne Männer

Von WELTKUNST REDAKTION
22.11.2023

GEDANKEN UND MOTIVE AUS DER QUARANTÄNE

Die Künstlerin Ana PrvaČki, deren Ausstellung im Berliner Gropius-Bau noch bis 28. August läuft, hat während der Pandemie Aquarelle von Dingen und Tieren gemalt – Hausschuhe, Heizung, Hasenohren –, die nun in einem poetischen Buch vereint sind. Die Coronazeit, schreibt darin (auf Englisch) die Schriftstellerin Zadie Smith, habe sich so unwirklich angefühlt, als würde man fallen, wie Alice im Wunderland, die in den Kaninchenbau stürzt. Gerade wenn man denke, man könne unmöglich weiter fallen, gehe es doch noch tiefer: „Und wenn man ist wie Alice – oder wie Ana PrvaČki – beginnt nach einer Weile, während des Fallens, eine neue Wahrnehmung, man bemerkt den eigenen Körper, die Dinge um einen herum, Worte und ihre Bedeutung.“ So kann auch ein Multifunktionstaschenmesser als Selbstporträt erscheinen, oder eine Tigerorchidee, die nur unter Stress aufblüht.

Ana Prvački, „Flowering Under Stress“, Sternberg Press, 160 S., 22 Euro

Ana Prvački, „Flowering Under Stress“
Ana Prvački, „Flowering Under Stress“, Sternberg Press, 160 S., 22 Euro © Sternberg Press

MIT MEISSENER PORZELLAN DURCHS LEBEN

Wenn Sammler ihr Thema so sehr lieben, dass sie große Kennerschaft erlangen und vor lauter Begeisterung die wissenschaftliche Erforschung ihrer Stücke fördern, dann kann etwas Außergewöhnliches entstehen. So wie dieses Buch. Der kanadische Unternehmer Alan Shimmerman sammelt seit 1988 Figuren aus der Meissener Blütezeit zwischen 1735 und 1750. Vanessa Sigalas, unterstützt von anderen Expertinnen und Autoren, hat die 250 Porzellanskulpturen nicht nur katalogisiert, sondern führt auf höchst anschauliche Weise vor, wie sie das reale Leben ihrer Zeit widerspiegeln. So lernt man hier ebenso viel über die Meissener Manufaktur wie über den Alltag von damals,  eine „Kirschverkäuferin“ von 1750/55. Nebenbei erschließen sich dabei aktuelle Methoden der Porzellanforschung. So macht Kunstgeschichte Spaß.

Vanessa Sigalas/Meredith Chilton (Hrsg.), „All Walks of Life. A Journey with The Alan Shimmerman Collection“, Arnoldsche, 672 S., 68 Euro

Vanessa Sigalas/Meredith Chilton (Hrsg.)
Vanessa Sigalas/Meredith Chilton (Hrsg.), „All Walks of Life. A Journey with The Alan Shimmerman Collection“, Arnoldsche, 672 S., 68 Euro © Arnoldsche

BILDER EINER STADT

Was bleibt von einer Ausstellung, ist sie einmal vorbei? Der Katalog natürlich! Barbara Klemm, die berühmte Redaktionsfotografin der FAZ, war am Anfang skeptisch ob sie genug interessante Bilder der Mainmetropole aus ihrem Bestand zusammenbringen könne. Doch dann stürzte sie sich in die Arbeit, verbrachte Wochen in ihrem Archiv, sichtete Negative und Negative. Die ausgewählten 250 Fotografien, die sie nun im Historischen Museum Frankfurt zum Teil zum ersten Mal zeigt, sind ein Querschnitt durch die Geschichte Frankfurts der vergangenen 60 Jahren. Politik, Gesellschaft, Kultur, Arbeitswelt, Strassen und Stadtbilder, Kultur, Mode – es ist alles vertreten. Anlässlich der Ausstellung ist ein Katalog bei dem Verlag Steidl erschienen. Schon länger wollte Gerhard Steidl ein Buch mit der Fotografin machen – als er den Zuschlag für das Buch-Projekt erhielt, freute sich auch Barbara Klemm. Der Verleger ist selbst Teil ihrer Frankfurter Chronik: 1994 dokumentierte Barbara Klemm wie Günther Grass rauchend, mit einem Besucher sprechend im Stand seines Verlegers Steidl auf der Frankfurter Buchmesse sitzt. 

Barbara Klemm, Frankfurt Bilder, Steidl-Verlag, 264 Seiten, 40 Euro

Steidl-Verlag
Barbara Klemm, Frankfurt Bilder, Steidl-Verlag, 264 Seiten, 40 Euro © Steidl-Verlag

VERSPONNENE GESCHICHTEN

Zu den verschwundenen Zauberreichen der alternativen DDR-Kunstszene zählt eine Wohnung in der Berliner Tucholskystraße. Besucher wie der Regisseur und Bühnenbildner Klaus Noack berichten in diesem Buch vom „Kosmos Bethke“ als freigeistigem Intellektuellentreffpunkt und vor allem als kreativem Gegenentwurf zur Norm. Denn der Gestaltungsdrang des Malers Heinrich Bethke erstreckte sich auf sein gesamtes Umfeld – Wohnung inklusive. Bemerkenswert sind seine Teppichkunstwerke, die er ohne Karton oder Vorzeichnung auf einem selbst gebauten Webstuhl schuf: improvisiert und regellos scheinende textile Kraftfelder. Die Figuren im Teppich „Die Überfahrt über den Styx“ (1972/1973) etwa, in den sich der Künstler im Foto links hüllte, sind konturlos zerrissen, sodass sie tatsächlich wie Seelen von Verstorbenen wirken. Noack zitiert im Buch einen Satz Bethkes: „Male eine Beule – aus der Beule kommt die Idee.“ Ein genialer Kopf, zweifellos.

Rahel Melis (Hg.), „Kosmos Bethke“, Bierke, 80 S., 28 Euro

Rahel Melis (Hg.), „Kosmos Bethke“
Rahel Melis (Hg.), „Kosmos Bethke“, Bierke, 80 S., 28 Euro © Bierke

STILKUNDE XXL

Ein Alphabet von A wie Alabaster bis Z wie Zunderdosen: Knud Schöber, Direktor des Messing Museums in Krefeld, hat rund siebzig der beliebten Stilkunden unserer Herausgeberin Gloria Ehret  und eine Handvoll eigener Texte in einem Kompendium gebündelt, das wie ein Füllhorn die ganze Vielfalt kunsthandwerklicher Objekte und Geschichten ausbreitet. Die Kunsthistorikerin stellt die originellsten Sammelgebiete fachkundig vor: Mal legt sie den Fokus auf Hochzeitsschüsseln, mal auf Iznik-Keramik, Duellpistolen oder Prunkschlitten. Die Bandbreite reicht zeitlich von antiken Kykladenidolen und Mumienporträts bis zu Designerstühlen, zu den Materialien zählen einfache Buntpapiere und Kokosnüsse ebenso wie Bergkristall oder Lapislazuli. Band zwei ist in Arbeit!

Gloria Ehret, „Stilkunde. Ausgewählte Sammelgebiete der angewandten Kunst“, Hg. Knud Schöber, Deutsches Messing Museum, Krefeld 2023

Gloria Ehret
Gloria Ehret, „Stilkunde. Ausgewählte Sammelgebiete der angewandten Kunst“, Hg. Knud Schöber, Deutsches Messing Museum, Krefeld 2023 © Knud Schöber, Deutsches Messing Museum, Krefeld 2023

PERFEKTE HOLZSCHNITTE

Er hat selbst keine umstürzend neue Strömung begründet, aber er war eine angesehene Figur der vibrierenden Kunstszenen der Zeit um 1900 und der 1920er-Jahre. Emil Orlik (1870–1932) hat sich vor allem mit seinen Druckgrafiken eingeprägt. Hier war er ein echter Meister, weil er sich mit allen Techniken vom Holzschnitt über die Radierung bis zur Lithografie intensiv beschäftigte, bis er sie perfekt beherrschte. Vor allem blieb er immer lernbegierig. So faszinierten ihn die japanischen Farbholzschnitte so sehr, dass er im Frühjahr 1900 für ein Jahr nach Nippon reiste und dort bei Holzschneidern und Druckern  in die Lehre ging. Er sog das Leben und die Kunst des Landes begierig auf und stellte es in seinen Holzschnitten dar. Nicht wenige der Blätter sehen so aus, als stammten sie von einem japanischer Künstler.

Peter Voss-Andreae, selbst ein passionierter Orlik-Sammler, unternahm – unterstützt von Birgit Ahrens – die Mammutaufgabe, das druckgrafische Werk des Künstlers in einem Werkverzeichnis aufzuarbeiten. Jetzt ist es in vier wunderschön gestalteten Bänden erschienen. Blatt für Blatt, kritisch gesichtet und nach Techniken geordnet, lässt sich hier ein ganzes Künstlerleben durchblättern. Nach künstlerlischen Stationen in München, Prag (seiner Geburtsstadt) und Wien zog Orlik 1905 nach Berlin, wo er ein beliebter Professor an der Kunstgewerbeschule wurde. Besonders ausdrucksstark sind seine zahlreichen Kün tlerporträts. Dadurch wurde er ein Chronist des Berliner Kulturlebens der Zwanzigerjahre – dass jetzt in dem Werkverzeichnis höchst eindrucksvoll an uns vorbeizieht.

Emil Orlik. Das druckgraphische Werk, hrsg. von Peter Voss-Andreae, Deutscher Kunstverlag, 4 Bde., 1200 S., 1280 Abb., 198 Euro

Emil Orlik
Emil Orlik. Das druckgraphische Werk, hrsg. von Peter Voss-Andreae, Deutscher Kunstverlag, 4 Bde., 1200 S., 1280 Abb., 198 Euro © Grisebach / Deutscher Kunstverlag

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