Die Sammlung von Francesca und Massimo Valsecchi ist ein geistvolles Miteinander von alter und neuer Kunst. Im Palazzo Butera in Palermo hat das Ehepaar seine Werke auf faszinierende Weise erlebbar gemacht
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27.03.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 222
Ercole Michele Branciforte e Gravina hatte im ersten Drittel des 18. Jahrhundert von seinem Schwiegervater den Fürstentitel der Butera geerbt und zwei bestehende Gebäude zum heutigen Baukörper erweitert. Die Innenausstattung wurde nach einem Brand erst 1759 spätbarock vollendet. Der Palast war ein gesellschaftlicher Treffpunkt und beherbergte illustre Kulturtouristen wie Goethe oder den französischen Museumspionier Dominique-Vivant Denon.
Nach dem Aussterben der letzten Namensträgerin ging es bergab. Seit 1950 nicht mehr bewohnt, beherbergte das Gebäude öffentliche Einrichtungen wie das kommunale Tourismus-Büro, während die 27 Erbinnen und Erben die ruinöse Immobilie jahrzehntelang erfolglos zum Verkauf ausgeschrieben hatten. Die Rettung kam in Gestalt des Ehepaars Francesca und Massimo Valsecchi, die über 40 Jahre hinweg im Verborgenen und meist gegen jede Marktmode Kunst erworben hatten und nun ein neues Heim suchten für die Tausende von Objekten.
Kennengelernt hatte sich das Paar in London, wo Massimo für ein Versicherungs- unternehmen arbeitete. Im Unterschied zu ihrem Ehemann stammt Francesca aus einer Sammlerfamilie. Ihr Großvater Carlo Frua de Angeli war einer der bedeutendsten Kunstliebhaber seiner Zeit, seine Kollektion umfasste mehr als 100 Werke von Pablo Picasso, aber auch Braque, Matisse oder de Chirico waren prominent vertreten. Aus wirtschaftlichen Gründen konnten die Nachfahren die Sammlung nicht halten, aber die Valsecchis knüpften nach ihrer Heirat an die familiäre Tradition an, als sie 1973 in Mailand einen alternativen Art Space eröffneten und später eine kommerzielle Galerie betrieben.
Sie konnten es sich leisten, unverkaufte Werke zu behalten. So bilden die in den Siebzigern angeschafften Bilder von Andy Warhol, Gerhard Richter oder Gilbert & George bis heute wichtige Akzente. Auch Arbeiten von Tom Phillips, Richard Hamilton, Hamish Fulton oder Terry Winters gelangten früh in die Sammlung. Diese befand sich jahrzehntelang im Haus der Valsecchis am Londoner Cadogan Square, was ihre internationale Ausrichtung und den britischen Schwerpunkt erklären mag. Palermo kam erst spät in das Blickfeld der Valsecchis; 2016 erwarben sie den Palazzo Butera und begannen mit der aufwendigen Instandsetzung. Europa könne von Sizilien viel über Toleranz und Offenheit lernen, fanden sie, und so beschlossen sie, hier einen Ort der Kunst und des Austauschs zu schaffen: ein Projekt der Aufklärung.
Dem Umzug gingen 2016 zwei institutionelle Auftritte voraus, die mit größeren Werk- und Objektgruppen erstmals einen Einblick in das Universum der Sammlung erlaubten. Dass hierfür die Universitätsmuseen Fitzwilliam in Cambridge und Ashmolean in Oxford ausgewählt wurden, zeigt die Stringenz, mit der das Konzept von Lernen und Forschen von und mit der Kunst auf allen Ebenen verfolgt wird. Bei der Wiedervereinigung der Werke seit 2018 und der seit 2021 öffentlich zugänglichen musealen Präsentation konnten die Valsecchis auf professionelle Unterstützung ihres Kurators Claudio Gulli zurückgreifen. Trotz aller Ernsthaftigkeit wirkt die Einrichtung der Sammlung leicht, beinahe spielerisch. Es geht hier nicht nur um die einzelnen Objekte, sondern genauso um ihr Zusammenspiel, um die Kulturen und Ideenwelten, aus denen sie stammen.
Die Erwerbshistorie ist bezeichnend für das Geschick der Sammler wie für die allgemeine Marktentwicklung. Viele Werke zeitgenössischer Kunstschaffender wurden gekauft, als sie noch günstig waren und die Landschaft der Preise gleichmäßiger. Die zunehmende Kommerzialisierung und die Entwicklung der Szene zum „Kunstzirkus“ beendete diese Phase. Seither konzentrierten sich die Valsecchis auf Künstlerinnen und Künstler, die sich dieser Entwicklung verweigerten. Die Poiriers und David Tremlett sind die sichtbarsten Beispiele, hatten sie doch schon für das Londoner Haus Arbeiten vor Ort geschaffen. Gleichzeitig blieb die Wertentwicklung der angewandten Kunst sowie der alten Meister hinter den rasant steigenden Preisen der Gegenwartskunst zurück: Bedeutende historische Werke wurden erschwinglich. Umgekehrt konnten Francesca und Massimo Valsecchi 2019 durch den gezielten Verkauf von Gerhard Richters frühem Gemälde „Versammlung“ 20 Millionen Dollar für die Sanierung des Palazzo Butera einspielen.
Der Palast ist nicht nur ein verführerischer Ort der Augenlust, sondern auch ein Studienzentrum mit einer Sammlung von geistes- und kunstwissenschaftlichen Referenzobjekten. Bei einem so stringenten Konzept kann es eigentlich kein offizielles Lieblingsstück geben. Vielleicht wäre es sonst Stanley Spencers Aktporträt seiner zweiten Frau Patricia Preece von 1937. Massimo Valsecchi hatte immer vermutet, dass der Künstler für seine „Chapel of Love“ ein Gegenstück zum bekannten Männerakt gemalt hatte. Als er das Bild im Kunsthandel entdeckte, nahm er es mit, ohne nach dem Preis zu fragen. Er wolle sich niemals davon trennen, sagt Valsecchi. Eine englische pièce de résistance auf Sizilien.
PALAZZO BUTERA
Vom Stadtzentrum lässt es sich durch malerische Gassen gut zum Palazzo Butera laufen. In der Via Butera 18 ist der Eingang. Geöffnet Di–So, 10–20 Uhr. Alle Infos unter palazzobutera.it
OSTERIA MERCEDE
Das kleine Ristorante in der Via Sammartino mitten im Stadtzentrum ist ein charmantes Understatement. Denn das Traditionslokal serviert Fisch und anderes Seegetier in bester Qualität.
BELLE-ÉPOQUE-VILLA
Die Villa Chiaramonte Bordonaro des späten 19. Jahrhunderts blieb im Familienbesitz. In prachtvollen Sälen finden sich erstaunliche Altmeistergemälde, Skulpturen, Möbel und Porzellane.