Zeitgenössische Kunst hat es zwischen Dresdens historischen Schätzen nicht immer leicht. Doch die junge Szene ist lebendig. Zu ihr gehört die Bildhauerin und Malerin Stefanie Hollerbach, die mit ihrem vielschichtigen Werk auf sich aufmerksam macht
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27.05.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 226
Die Kunstakademie schummelt. Draußen dominieren Renaissance und Barock, doch diese Epochen sind reine Fassade: Tatsächlich entstand das imposante Gebäude Ende des 19. Jahrhunderts im Stil des Historismus, der es passend für das Architektur-Ensemble der Brühlschen Terrasse machte. Und egal wie schön man sich das Studium in musealer Atmosphäre vorstellt – das Althergebrachte braucht ein Gegengewicht. Hinter den Mauern entsteht die Kunst von morgen. Ein anderes, zeitgenössisches Dresden.
Stefanie Hollerbach hat es in der Johannstadt gefunden. Touristinnen und Touristen sieht man wenige, die renovierten Plattenbauten aus DDR-Zeiten, die hier emporwachsen, sind nicht unbedingt ihr Ziel. Die Studierenden der Bildhauerklassen von Alicja Kwade, Carl Emanuel Wolff oder Wilhelm Mundt aber zieht es in die lichten Ateliers der Pfotenhauerstraße. Wer einmal dort war, versteht, warum auch Hollerbach das historische Zentrum nach einigen Jahren verlassen hat. 1911 entstanden auf dem Johannstädter Gelände sechs Atelierhäuser für Bildhauerei. Und obwohl sie im Februar 1945 großenteils von Bomben zerstört und erst Jahre später wiederaufgebaut wurden, atmen die schlichten Gebäude mit ihren hohen Fenstern immer noch die Großzügigkeit jener Zeit.
Wilde Wiesen säumen das Areal, im Skulpturengarten stehen moosbewachsene Figuren aus Stein. In den Ateliers fängt sich das Tageslicht, ein schlichtes Regal schirmt Hollerbachs Atelier von dem ihres Nachbarn ab. Trennwände gibt es so gut wie keine, die Studierenden von Alicja Kwade teilen sich den Riesenraum. Die Sitzfläche eines knallroten Sofas weist in die Richtung von Stefanie Hollerbachs Nische – wenn die anderen dort sitzen, schauen sie ihr bei der Arbeit zu. Die Künstlerin scheint es nicht zu stören.
Hochkonzentriert und zurückhaltend, zugewandt, super vernetzt und zunehmend erfolgreich. All diese Attribute passen hervorragend auf die 24-Jährige. Seit 2019 studiert sie in Dresden, davor absolvierte die in Füssen Geborene in Oberammergau eine Ausbildung zur Holzbildhauerin. Gerade hat sie ein Jahr Erasmus hinter sich, war in Prag an der Umprum – Akademie für Kunst, Architektur und Design. Hier habe sie „viel über ihre Arbeit nachgedacht, mit Keramik gearbeitet und Grafiken gemacht“, erzählt die Künstlerin. Eine Konzentration aufs kleine, verdichtete Format, weil ihr statt eines Ateliers nur ein Schreibtisch zur Verfügung stand. „Nebenbei liefen einige Ausstellungsprojekte in Dresden und anderen Städten, weshalb ich zeitweise gependelt bin.“ Das ist reinstes Understatement: Während der Prager Monate realisierte sie unter anderem ihre erste große Soloschau in der Dresdner Galerie Gebr. Lehmann. So überzeugend und souverän, dass die beiden Galeristen sie anschließend ins Programm aufgenommen haben.
„Es war ziemlich spontan und das erste Mal, dass ich so viele Skulpturen und Malerei überhaupt in einem Raum zusammengebracht habe“, sagt Hollerbach. Ideen waren reichlich vorhanden, einige Entwürfe formte sie gedanklich noch einmal um, andere Arbeiten gab es bereits. So „Same Same“ aus dem Jahr 2022: ein Diptychon, auf dem eine elliptisch geformte Linie über einem Farbfeld schwebt. Das Ölgemälde „M. B. S35 L“ (2023) unterlegt die Umrisse eines Rechtecks mit hellgrauem Schatten. Wieder steht die Linie im Zentrum, diesmal jedoch wirkt sie voluminös und wie ein Rohr gebogen. Diese Form wiederholt sich in der Galerie skulptural, schaukelt als „a bit of gravity“ (2023) am Nagel, markiert den Griff einer Falltür („Schacht“) oder gleich einer ganzen Wand („Handle“). Eine Strategie der Täuschung und Transformation: Was auf den ersten Blick nach Metall aussieht, entpuppt sich als dunkel eingefärbte Keramik. Jede Funktionalität dieser Skulpturen ist Illusion, das Imperfekte ein wichtiger Faktor. Viele ihrer Tonarbeiten sind von Hand gerollt und an den Oberflächen deshalb leicht unregelmäßig.
Das Werk „Handle“, sagt Stefanie Hollerbach, habe sie „mit Absicht dort platziert, weil diese Wand imaginär verschoben werden könnte“. Sie trägt nichts, sondern wurde nachträglich eingebaut. Ihren Dialog mit den eigensinnigen Räumen der Galerie in einer Ladenfront aus den Siebzigerjahren führte die Künstlerin mit teils abstrakten, teils organischen Formen fort. Manche tauchten als Malerei auf, andere lehnten als Objekt wie ein monumentaler, dunkler Farbfleck an der Wand. „Ich arbeite viel mit Masse oder mit Material“, sagt Hollerbach und deutet auf das große, dunkel graue Objekt im Atelier. „Es soll aussehen wie ein natürliches, zähflüssiges Element oder eine Masse, die sich verformt hat, aber aus Holz künstlich erzeugt wurde.“
Für die Ausstellung konstruierte sie mehr davon, hängte ein Objekt wie schlaff über einen Bock oder verspannte weiße, dreidimensionale Körper in fragile Gerüste aus Metall. Sie bilden nichts ab, sondern stehen für sich, setzen jedoch vielfältige Assoziationen frei. „Aberrational Occasions“, so der Titel ihrer Schau, lässt sich frei als „abweichende Möglichkeiten“ übersetzen; als Eindrücke knapp neben der Wirklichkeit. „Für mich ist es wichtig“, sagt Hollerbach, „dass ich in der Malerei bildhauerisch oder dreidimensional etwas erzeuge, das eher unkonkret ist und meist auch nicht aufgeht – was die Logik des Lichteinfalls, der Plastizität oder Gravitation anbelangt.“
Dieses Liquide, aus präzisen Überlegungen resultierende Undefinierte macht ihre bisherige Arbeit besonders. Eigenständig, aber doch mit Anschluss an die Diskurse der Moderne, die Kunst mit dem Alltäglichen verzahnt. Von den „Aberrational Occasions“ hat sich nach Frank und Ralf Lehmann auch Gisbert Porstmann überzeugen lassen. Der Direktor der Städtischen Galerie Dresden erwarb in der Ausstellung nicht nur das zweiteilige Bild „Same Same“, sondern lud Stefanie Hollerbach auch für ein künftiges Projekt in die hochkarätige Sammlung des Museums ein. Hier hat sie Carte blanche zwischen den malenden und bildhauenden Stars des 19. und 20. Jahrhunderts. Bis in den Herbst darf Hollerbach Platz schaffen, umstellen und ihre eigenen Werke zwischen die von A. R. Penck, Otto Dix oder Angela Hampel hängen. Ein paar gewohnte Attraktionen müssen bleiben, meint Porstmann. Im Übrigen verlässt er sich auf Hollerbachs kuratorisches Potenzial.