Sammlung Reinhard Ernst

Im Rausch der Farben

Die Sammlung von Reinhard Ernst überwältigt mit abstrakter Kunst auf allerhöchstem Niveau. Sie schlägt dabei einen Bogen von Amerika über Europa bis nach Ostasien

Von Volker Corsten
19.06.2024

„Malerei hoch drei“ steht etwa an einem der Räume, der wegen seiner sakralen Anmutung intern auch „Kathedrale“ genannt wird. Geschossübergreifend erreicht er eine Höhe von vierzehn Metern und ist mit einem kleinen Balkon in der zweiten Etage versehen. In ihm geht es um das Verhältnis von Bild und Raum, zu sehen sind u.a. Gemälde von Helen Frankenthaler, Morris Louis und Sam Francis. Im Raum „From Zero to Action“ begegnen sich Werke der Zero- und der Gutai-Künstler:innen, in „The Beat Goes On“ treffen Legenden der Abstraktion wie die US-Amerikanerin Lee Krasner auf Gegenwartskünstler wie Tal R oder Thomas Scheibitz.

Leuchtende Farben in scharf voneinander abgegrenzten Flächen und klaren Formen bestimmen Lee Krasners Bilder, wie „Peacock“ aus dem Jahr 1973.
Leuchtende Farben in scharf voneinander abgegrenzten Flächen und klaren Formen bestimmen Lee Krasners Bilder, wie „Peacock“ aus dem Jahr 1973. © Martin Url/Pollock-Krasner Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Das Motto „Gegen den Strich“, das für den größten Raum mit Imaïs wandumspannenden 20-Meter-Bild gewählt wurde, soll veranschaulichen, dass die Nachkriegsavantgarde kein reiner Exportartikel des Westens war, sondern ebenso wichtige Impulse aus dem ostasiatischen Raum aufnahm. Den Austausch muss man sich damals als rege in beide Richtungen vorstellen. Neben dem Imaï-Werk etwa hängt ein Bild des französischen Malers Georges Mathieu, einem der Hauptvertreter des Tachismus, mit dem Imaï zusammen Performances organisierte. Und natürlich, der Titel des Raumes sagt es, wird der Strich als solches thematisiert – in einem Werk etwa der japanischen Künstlerin Tōkō Shinoda, bei deren 100. Geburtstag Reinhard Ernst 2014 zu Gast war. Shinoda hatte als Kalligrafin begonnen, lernte in den USA Jackson Pollock und Robert Motherwell kennen und begann dann, abstrakt und zugleich sehr kontrolliert zu malen.

Noch wichtiger als Shinoda ist für den Sammler jedoch die 2011 verstorbene amerikanische Malerin Helen Frankenthaler, die viele Jahre mit Robert Motherwell verheiratet war. Reinhard Ernst bewundert ihr Spiel mit der Farbe und ihre atmosphärischen Referenzen an Natur und Landschaft. „Es ist erstaunlich, welche Farben sie nutzte, wie sie sie nutzte, welche Farbtöne sie überhaupt erst erschaffen hat.“ Mehr als 45 Gemälde besitzt er von Helen Frankenthaler und nennt sie „meine Lieblingskünstlerin“.

„Palazzo Ducale 11“ ein Spätwerk des japanischen Gutai Künstlers Shōzō Shimamoto, das 2008 performativ in Genua entstand.
„Palazzo Ducale 11“ ein Spätwerk des japanischen Gutai Künstlers Shōzō Shimamoto, das 2008 performativ in Genua entstand. © Martin Url, Frankfurt/shimamotoLAB Inc.

Die Sammlung Ernst enthält viele Werke von enormen Dimensionen, manche wurden eigens für das neue Museum geschaffen. Beispielsweise die Bronzeskulptur „Pair“ von Tony Cragg, ein Paar biomorph geformter Stelen, das seinen Platz im ersten Stockwerk gefunden hat. Über sechs Meter schrauben sie sich in die Höhe und sind insgesamt drei Tonnen schwer. Dennoch wirken sie nahezu filigran und scheinen organisch aus den Eichendielen zu wachsen. Ein Eindruck, der nur möglich wurde, weil das Werk bereits während des Rohbaus im Gebäude verankert wurde.

Ebenfalls eine Auftragsarbeit für das mre ist die 64 Quadratmeter große Wand im Erdgeschoss, die das Foyer vom Raum für digitale Kunstvermittlung abgrenzt. Es ist die erste Glasarbeit der deutschen Künstlerin Katharina Grosse, die für ihre großflächigen Arbeiten an Wänden oder auf Böden und Fassaden international bekannt ist. Ihre Arbeit mit dem Titel „Ein Glas Wasser, bitte“ entfacht ein regelrechtes Farbgewitter, das im Sonnenlicht das Foyer in blaue und rote Töne taucht. Gefertigt wurde das hochkomplexe Werk aus verschiedenen Glassorten in der Glasmanufaktur Derix in Traunstein.

„Was ich mir von diesem Haus erhoffe“, sagt Reinhard Ernst zum Abschied, „ist, dass es der abstrakten Kunst ein gutes Entree gibt. Ich wünsche mir viele Menschen, von Kindern bis zu Menschen in meinem Alter, die sich auf die Bilder, auf die Farben einlassen und Lust auf abstrakte Kunst bekommen.“

Service

MUSEUM

Das Museum Reinhard Ernst eröffnet am 23. Juni. Mehr Infos finden Sie hier.

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