Moderne-Auktion bei Ketterer

Wiederentdeckter Jawlensky

Ketterer trumpft in seinem Evening Sale mit marktfrischen Hauptwerken der Moderne auf – Highlight ist ein Frauenporträt Alexej von Jawlenskys, das ein Jahrhundert lang in Privatbesitz war

Von Michael Lassmann
29.11.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 19

Wer ihr rehäugiges Porträt von Joseph Karl Stieler kennt, würde es nicht für möglich halten: Dank ihrer Schönheit gelang es der Irin Elizabeth Rosanna Gilbert wenigstens in ihrer Glanzzeit (bei ansonsten eher zweifelhaften Talenten), das vornehme Europa durch eine Serie beispielloser Skandale tüchtig aufzumischen. Zu diesem Zweck hatte sie sich eigens ganz neu erfunden: Gut 30 Jahre vor der Uraufführung von Bizets „Carmen“ wurde sie als spanische Tänzerin Lola Montez – natürlich aus Sevilla – immer wieder der Hochstapelei überführt, um danach nur umso höher zu steigen. Ein junger Redakteur ließ sich in Paris ihretwegen im Duell verzückt eine Kugel vor den Kopf schießen, der etwas reifere Ludwig I. von Bayern begnügte sich damit, die überführte Bigamistin in den Adelsstand zu erheben. Mit ihren verwegenen Eskapaden löste die frisch gebackene Gräfin gar Studentenunruhen aus, woraufhin der verliebte Monarch in München für das Restsemester den Universitätsbetrieb schloss und gleichmütig sein empörtes Kabinett ziehen ließ, um letztlich selbst abzudanken. Das trug seiner Nemesis nicht nur einen verdienten Eintrag in Meyers Konversationslexikon ein, sondern verhalf sogar der Kippe einer von ihr gerauchten Zigarette zu Museumswürden.

Dass die Montez auch Kunstgeschichte schreiben würde, hätte aber wohl selbst sie überrascht. Nicht nur, dass seriöse Porträtmaler der Zeit bald auch mit Darstellungen von tambourin- und kastagnettenschwingenden „Spanierinnen“ brillierten – ihr schillerndes Leben beflügelte auch moderne Künstler.

Auktion Ketterer
Zu den Highlights bei Ketterer zählt „Frauenkopf mit Blumen im Haar“, ein auf 2,5 Millionen Euro geschätztes Hauptwerk Alexej von Jawlenskys aus dem Jahr 1913, das sich in die Werkgruppe seiner Köpfe von Spanierinnen einreiht. © Kettererkunst, München

Zu den Highlights des „Evening Sale“ am 10. Dezember bei Ketterer, München, zählt ein Hauptwerk Alexej von Jawlenskys aus dem Jahr 1913, das sich in die Werkgruppe seiner Köpfe von Spanierinnen einreiht, die etwa 1911 einsetzte. Damals, rund 50 Jahre nach ihrem Tod, fand die mittlerweile stark romantisierte Hasardeurin erneut das Interesse der Medien. Befeuert wurde es wohl auch durch den Erfolg eines biografischen Romans von Joseph August Lux, der sich wie Jawlensky in der Schwabinger Boheme bewegte und diesem darum vermutlich bekannt war. Wie in den anderen Beispielen der Reihe zeigte sich der Maler auch beim vorliegenden „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ nicht an individualisierender Annäherung an sein Gegenüber interessiert, sondern suchte stattdessen das überpersönliche Destillat eines bestimmten Frauentyps herauszuarbeiten: Nach anderen Exotinnen repetierte er hier das der vitalen, leichtlebigen Südländerin. Pikanterweise nutzte er bevorzugt ein männliches Modell als Projektionsfläche für die spezifisch nordeuropäische Konzeption beunruhigender Weiblichkeit; sehr wahrscheinlich saß der ukrainische Tänzer Alexander Sacharow auch für diesen Kopf. Als Frau geschminkt und kostümiert, neutralisierte er so allzu blühende Männerfantasien durch das künstlerische Mittel der Travestie.

Dieser „Frauenkopf“ steht mit den anderen Vorkriegs-„Porträts“ folglich am Anfang einer Entwicklung, die den Künstler zu seinen „wahrhaft modernen Heiligenbildern“ führen sollte, wie Karl Schmidt-Rottluff die abstrakten „Meditationen“ Jawlenskys einmal bezeichnete. Ein ähnlich frommer Kritiker hatte 1921 im Cicerone empfohlen, Jawlenskys Bilder zu verhüllen „und nur in Feierstunden sich dem Eindruck auszusetzen.“ Unsichtbar war der seltene „Frauenkopf“ bei Ketterer nun aber wohl lange genug. Ein ganzes Jahrhundert lang befand er sich in Familienbesitz, weshalb auch die Bestätigung durch das Alexander-von-Jawlensky-Archiv erst 2017 erfolgte. Bedeutung und Marktfrische des annähernd quadratischen Kartons haben ihren Preis: Erwartet werden 2,5 Millionen Euro.

Mit einer Viertelmillion deutlich günstiger veranschlagt ist ein „Stillleben“ von 1910, in dem gelbe und rote Äpfel und ein Henkelkrug mit gemusterter Glasur vor einem eigenen Gemälde im Hintergrund arrangiert sind. Als „Bild im Bild“ wählte Jawlensky sein Motiv „Murnau – Landschaft mit orangener Wolke“ aus, das erst im Vorjahr entstanden war und für den Künstler damals offenbar besondere Bedeutung hatte, obwohl er selbst eine Intention hinter der Auswahl der Objekte ausdrücklich negierte: „Ich suchte in diesem Stielleben (sic!) nicht den stofflichen Gegenstand, sondern wollte durch Farbe und Form das ausdrücken, was in mir vibrierte“.

Ernst Ludwig Kirchners 1913 begonnene und nach 1920 überarbeitete Figurenszene „Im Bordell“ streift das zeittypische Motiv der immer gleichen Absturz-Milieus moderner Großstädte – Ketterer offeriert das Werk in Öl auf Karton bei 400.000 Euro. © Kettererkunst, München
Ernst Ludwig Kirchners 1913 begonnene und nach 1920 überarbeitete Figurenszene „Im Bordell“ streift das zeittypische Motiv der immer gleichen Absturz-Milieus moderner Großstädte – Ketterer offeriert das Werk in Öl auf Karton bei 400.000 Euro. © Kettererkunst, München

Schwingungen der eher unguten Art setzten zu dieser Zeit zweifellos den Malern der Brücke zu, die 1910 letztlich zum Bruch mit der Berliner Secession führten. Emil Nolde, aufgrund seiner oppositionellen Haltung gegenüber dem Vorstand ohnehin durch Ausschluss bedroht, schloss sich ihnen zunächst an, ging jedoch bald darauf seinen eigenen Weg. Immerhin fand er durch die kurze Zusammenarbeit zu der ungebrochenen Farbigkeit, die für seine späteren Arbeiten charakteristisch blieb. Unter den Millionen-Objekten der Offerte befindet sich sein üppig blühender „Buchsbaumgarten“, der mit der Datierung 1909 im Jahr vor dem großen Showdown innerhalb der Secession entstand, in der leuchtenden Palette aber bereits deutlich den Einfluss seiner „Brücke“-Kollegen verrät.

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