Ernst Wilhelm Nay

Scheibchenweise nach oben

Lange interessierten sich Sammlerinnen und Sammler vor allem für die „Scheibenbilder“ von Ernst Wilhelm Nay. Das ändert sich nun – und Museen zeigen große Retrospektiven

Von Christiane Meixner
17.01.2022

Karin Schick, die Kuratorin dieser ersten großen Retrospektive seit gut dreißig Jahren, erkennt „ein organisches Ganzes, in dem Motive, Themen und Gedanken immer wieder auftauchen“. Schließlich wolle sie die Besucher umfassend mit Nay vertraut machen. Der Maler, der 1902 in Berlin geboren wurde, bei Karl Hofer studierte und von den Nationalsozialisten verfemt wurde, mag für Zeitgenossen fest im Kanon der Nachkriegskunst verankert sein; unvergesslich seine erneute Teilnahme an der Documenta 1964, wo er drei monumentale „Augenbilder“ direkt an der Decke befestigte und dafür viel Kritik erntete. Eine jüngere Generationen aber muss das Werk neu für sich entdecken. Etwa „Nays Gespür für Fläche, Komposition und Struktur“, wie es Schick in der Malerei nur selten begegnet.

Um das zu belegen, kann die Hamburger Kunsthalle auf den eigenen reichen Bestand an Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen zurückgreifen. Leihgaben anderer Institutionen wie das Museum Ludwig in Köln, dessen Nay-Sammlung zu den größten überhaupt gehört, ergänzen die Auswahl von gut 120 Werken. Hinzu kommt einiges aus privater Hand. Karin Schick sieht „bedeutende Werke in Familienbesitz“, der Blick auf die Auktionsofferten des vergangenen Jahres bestätigt den Eindruck: Bilder von Nay wurden in hoher Qualität eingeliefert.

Der Markt konzentriere sich auf den deutschsprachigen Raum, sagt Robert Ketterer. Ernst Wilhelm Nay hält er für „einen der wichtigsten Künstler der Fünfziger- und Sechzigerjahre mit einem extrem vielschichtigen Werk“. Beeindruckt sei er vom „klaren Weg“, den der Künstler eingeschlagen habe: „Wann immer er etwas beherrschte, hat er es abgeschlossen und etwas Neues begonnen, statt sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben“, erinnert sich Ketterer. Daraus resultierten Spitzenwerke in jeder Phase. Im Auktionshaus Ketterer kam Ende 2021 während des Evening Sale unter anderem „Die Uhr (Krapplack, Blau und Grün)“ zum Aufruf. Das späte, figürliche Gemälde von 1965 wechselte für 475 000 Euro (inkl. Aufgeld) den Besitzer. In Berlin gelangte die abstrakte Komposition „Metagrün“ aus dem Jahr 1963 ins Auktionshaus Grisebach und erreichte dort bei geschätzten 300 000 bis 400 000 Euro schließlich 525 000 Euro brutto. Für 275 000 Euro (inkl. Aufgeld) erwarb ein Interessent bei Lempertz in Köln ein frühes Gemälde, in dem sich ebenfalls schon 1953 die „Scheiben- und Augenbilder“ abzeichnen.

„Qualität und Originalität stehen nach wie vor im Vordergrund“, stellt Aurel Scheibler zu den Kriterien am Markt fest. Die Preise für Nay seien keinesfalls spekulativ und hätten, wie man sehe, Luft nach oben. „Wobei langsam deutlich wird, dass Nay eben nicht nur ein sogenannter Nachkriegskünstler ist, sondern schon ab Anfang der 1930er-Jahre mit einem eigenständigen Werk in den Kanon der Kunstgeschichte eintritt.“ Mit Blick auf solche Entwicklungen prophezeit er deutlich höhere Preise bei Arbeiten auch aus jener Zeit. Bislang spielten weder der amerikanische noch der asiatische Markt eine große Rolle. „Dort sehe ich das Interesse eher bei den Kuratoren und Museen“, so Scheibler. „Doch die Sammler werden nachziehen.“

Service

AUSSTELLUNG

„Ernst Wilhelm Nay: Retrospektive“,

Hamburger Kunsthalle,

25. März bis 7. August 2022

hamburger-kunsthalle.de

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