Horst Janssen bei Stahl

Exzentriker und Erzähler

Horst Janssen war nicht nur ein Bad Boy, sondern auch ein Ladies’ Man mit Beziehungen am Fließband. Das Hamburger Auktionshaus Stahl ruft zahlreiche Werke des großen Zeichners auf – und den Briefwechsel mit seiner Geliebten Viola Rackow

Von Michael Lassmann
14.02.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 2

Dem Gegenstand blieb der Hamburger Maler, Zeichner und Grafiker Horst Janssen zeitlebens treu, doch stets unterwarf er ihn seinem ihm ganz eigenen, radikal subjektiven Blick auf die Welt der Dinge. Der Markt für seine Papierarbeiten hat sich in den letzten fünf Jahren ein wenig beruhigt, doch unverändert zählt man ihn zu den bedeutendsten deutschen Zeichnern des 20. Jahrhunderts.

Dem Mainstream der Kunstströmungen seiner Zeit ist die Bildsprache des Einzelgängers kaum zuzuordnen. Sicher könnte man als mögliche Vorbilder Goya, Ensor, Rops oder Beardsley bemühen, und auch mit dem allgemeinen Verweis auf Einflüsse des Barock, Jugendstil oder Surrealismus wird man sich schwerlich blamieren. Was seine Zeichnungen, Grafiken und Plakate vor allem vom Output seiner Zeitgenossen unterschied, war aber wohl dies: Als die selbstreferenzielle Betonung der Künstlerhandschrift längst desavouiert schien, leistete sich der Traditionalist Janssen weiterhin unbeeindruckt das anachronistische Bekenntnis zu individualistischem Formausdruck. Auch der durchschnittliche Kunstkonsument musste darum nicht zuvor unsicher auf die Signatur schielen, um seine Autorschaft zweifelsfrei zu identifizieren.

Dieses Alleinstellungsmerkmal mag zum Erfolg seines Brands beigetragen haben, vermutlich sorgte es aber auch dafür, dass sein Ansatz kaum Nachfolger fand, die daran hätten anknüpfen mögen. So blieb der vor allem als grafischer Künstler wahrgenommene Janssen in seiner Zeit eine singuläre Erscheinung. Wirklich Neues formulierte er indessen nicht – weder in der Wahl seines Gegenstands noch in der spätestens seit den Dadaisten geläufigen Synthese von Form- und Schriftmitteilung. Letztere konnte titelgebend das behandelte Sujet erläutern oder sich ohne jeden inhaltlichen Bezug auf Notizen und Gedanken beschränken, wie man sie etwa seinem Tagebuch anvertrauen würde.

Auktion Stahl, Hamburg, Horst Janssen
Horst Janssens Brief „Dies, Vriederich, werde ich dir noch mal technisch genauer aufzeichnen“, versehen mit einer aquarellierten Zeichnung, ist bei Stahl auf 3500 Euro taxiert. © Stahl, Hamburg; VG Bild-Kunst, Bonn 2022

In diesem Sinn zielten auch seine Porträts – wenn es denn welche sind – nicht auf objektive Distanz, sondern auf die erfühlte Gemütsverfassung seines Gegenübers. Oft rekrutierte er seine Modelle aus dem Kreis der Frauen, die vorübergehend sein Leben begleiteten, häufiger noch widmete er seine Aufmerksamkeit sich selbst. Wie kaum ein anderer Künstler vor oder nach ihm übte sich der Exzentriker bei der umfangreichen Werkgruppe seiner Selbstporträts in der kontinuierlichen Erforschung seines Spiegelbildes, und in seiner Selbstwahrnehmung erlaubte er sich keine Beschönigung. Unerbittlich notierte er Doppelkinn, schwankende Stimmungslagen oder die Spuren einer durchzechten Nacht in den gedunsenen Zügen. Sogar auf seine sonst so dekorative, vom Gegenstand weitgehend verselbstständigte Linienführung verzichtete er hier meist. Neben den gefälligen Blumenstücken sind es vor allem diese Zeugnisse seiner beständigen Nabelschau, die bis heute am höchsten gehandelt werden, aber auch Bildnisse von Personen aus seinem privaten Umkreis sind für Sammler von Interesse.

Nächste Seite