Ein Raubkunst-Krimi, ein neuer Weltrekord für eine Marmorskulptur und Bietgefechte um Kunstwerke abseits der gängigen Pfade – der Markt für Antiken hatte in den vergangenen Monate einiges zu bieten
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14.03.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 3/22
Zum Jahresende platzte die Bombe: Sein halbes Leben lang hatte der US-Milliardär Michael Steinhardt ein Vermögen für antike Kunstwerke ausgegeben und damit eine der größten privaten Antikensammlungen der Welt aufgebaut. Doch am 6. Dezember hatte der Nikolaus für den 81-jährigen Hedgefonds-Pionier kein weiteres Kunstwerk im Gepäck, sondern ließ Knecht Ruprecht die Rute auspacken. Nach vier Jahren Ermittlungen kam die Staatsanwaltschaft von New York zu dem Schluss, dass zahlreiche Stücke in Steinhardts Sammlung unrechtmäßig ausgeführt worden sind. Cyrus Vance, der zuständige New Yorker Staatsanwalt, wurde in seiner Pressemitteilung überdeutlich: Jahrzehntelang habe Steinhardt „einen räuberischen Appetit auf geplünderte Artefakte gezeigt, ohne sich um die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen, die Legitimität der von ihm gekauften und verkauften Stücke oder den schweren kulturellen Schaden zu kümmern, den er auf der ganzen Welt angerichtet hat.“ Die Untersuchung von Steinhardts Rolle beim Erwerb, Besitz und Verkauf von mehr als 1000 antiken Objekten hatte ergeben, dass nachweislich 180 davon aus den Ländern, in denen sie gefunden worden waren, gestohlen wurden. Darunter befindet sich zum Beispiel ein Fresko aus Herculaneum, das Steinhardt 1995 für 650.000 Dollar von dem später wegen illegalen Antikenhandels verurteilten Kunsthändler Robert E. Hecht erworben hatte, sowie ein silbernes Hirschkopf-Rhyton aus Milas in der Türkei, das ihm die New Yorker Merrin Gallery 1991 für 2,6 Millionen Dollar verkauft hatte und das er an das Metropolitan Museum of Art ausgeliehen hatte.
In den Knast wandert der Geschäftsmann und Mäzen für seine illegalen Machenschaften jedoch nicht, einer Schuld ist er sich sowieso nicht bewusst, denn er sei selber getäuscht worden und habe die Stücke auf Grundlage falscher Angaben gekauft. Dennoch musste er sich verpflichten, die 180 gestohlenen Objekte im Gesamtwert von rund 70 Millionen Dollar an ihre Herkunftsländer zurückzugeben. Die Millionen sind für den Milliardär gewissermaßen Peanuts, schwerer dürfte für ihn neben dem Imageschaden das lebenslange Verbot wiegen, antike Kunstwerke zu kaufen. Durch die Akzeptanz dieses Banns entgeht Steinhardt einer Anklage, das Verfahren wurde eingestellt. Dadurch ist es möglich, die gestohlenen Artefakte so schnell wie möglich an ihre Eigentümer zurückzugeben, statt sie jahrelang als Beweismittel unter Verschluss zu halten. Man könnte also fast von einem Happy End sprechen, wäre das Thema nicht so ernst. Denn der Fall bestätigt wieder einmal sämtliche Vorurteile und Klischees, mit denen der Markt für antike Kunst tagein tagaus zu kämpfen hat.
Einen Tag nach der Pressemitteilung der New Yorker Staatsanwaltschaft gab es schon den nächsten Antiken-Paukenschlag. Dieses Mal aber ausschließlich im positiven Sinne. In einem Single-Lot-Sale kam am 7. Dezember bei Sotheby’s in London für 2 Millionen Pfund die sogenannte Hamilton Aphrodite zum Aufruf. Die mit 1,87 Metern leicht überlebensgroße römische Marmorskulptur der Liebesgöttin war, nachdem sie 1949 in New York versteigert worden war, über 70 Jahre von der Bildfläche verschwunden gewesen. Seit 1776 hatte sie sich für 144 Jahre in Schottland befunden und schmückte dort den Hamilton Palace, den Sitz der Herzöge von Hamilton. Die römische Kopie des 1./2. Jahrhunderts nach der berühmten Aphrodite von Knidos des Praxiteles aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. – von der die Kapitolinische Venus die bekannteste römische Kopie ist – gehört zu den besten römischen Skulpturen in Privatbesitz. Und so verwundert es nicht, dass sich fünf Bieter für 20 Minuten ein Bietgefecht lieferten, das erst bei 16 Millionen Pfund beendet war. Den längsten Atem bewies ein asiatischer Privatsammler, der sich nun nicht nur rühmen kann, eine der schönsten Skulpturen der Göttin der Liebe zu besitzen, sondern auch den weltweit höchsten Preis für eine antike Marmorplastik auf einer Auktion bezahlt zu haben.
Dekorative römische, griechische oder ägyptische Kunstwerke sind immer gefragt. Und natürlich sind es solche hochattraktiven Stücke mit bester Provenienz, die Höchstpreise erzielen. In den letzten zwölf Monaten war aber auch zu beobachten, dass Kunstwerke weniger bekannter Kulturen verstärkt in den Fokus der Sammler rücken. In einigen Auktionen fanden sich seltene und ungewöhnliche Objekte, die zum Großteil heiß umkämpft waren. Sotheby’s offerierte am 7. Dezember in London eine Gruppe altsüdarabischer Skulpturen aus der Sammlung von Antonin and Christiane Besse. Unter den 24 marktfrischen Losen, die alle deutlich über Taxe zugeschlagen wurden, befanden sich beeindruckende Stücke wie der Alabasterkopf einer Frau, die mit ihrem Schwanenhals, der schmalen, langen Nase und den mandelförmigen Augen unter bogenförmigen Brauen sofort Assoziationen an Modigliani hervorruft. Das zwischen dem 3. Jahrhundert v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. im antiken Königreich Qataban im nördlichen Jemen entstandene Kunstwerk stieg von 30.000 auf 220.000 Pfund. Eine ungefähr zeitgleich gefertigte, knapp einen halben Meter große Alabasterfigur einer Frau wurde sogar von 18.000 auf 400.000 Pfund gehoben.