Wenn es ums Wasser ging, waren die Künstlerinnen und Künstler des Jugendstils in ihrem Element. Eine Ausstellung in Wiesbaden widmet sich jetzt ihrer Suche nach der perfekten Welle
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08.07.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 200
Wasser hatte es den Jugendstilkünstlern angetan. Wie alles, was sich windet, schlängelt, verdreht, die Kurve liebt und das zielstrebig Gerade verachtet, was perlt und Wellen schlägt. Dazu gehörte auch eine Vorliebe für Wasservögel, den Schwan, den Kranich, den Reiher oder Flamingo, deren biegsamen Hälse immer wieder dargestellt wurden. Unter den Fischen war der Karpfen – mit deutlichen Anleihen bei den japanischen Holzschnitten – ein häufiges Motiv, aber auch Aale und Rochen erfreuten sich der Gestaltergunst. Mit unübersehbar erotischer Konnotation setzten die Künstler der Zeit um 1900 den Kraken ins Bild, wobei auch Japan, speziell Hokusais berühmter Holzschnitt der „Ama mit dem Oktopus“ als Pate nicht zu verkennen ist. Nur auf der Messingvase von Evald Nielsen muss sich der Kopffüßler mit sich selbst begnügen.
Endlos variiert wurden damals die mädchenhaften Frauen am und im Wasser: vielfach gemalt oder in Porzellan geformt, nicht selten als silberne Tischzier eine Schale haltend, die einem Teich gleicht, manchmal in Wellen versunken – oder im Bach ertrunken wie Ophelia, wie sie etwa Fritz Erler und Paul Quinsac in lieblicher Jugend überhöhten. Fasziniert gaben sich die Künstler des Jugendstils der beständigen Unbeständigkeit des Wassers hin, griffen sein Fließen oder aufgestaute Seen auf, die ruhige Oberfläche, auf der sich die Regentropfen wie die Spuren der Wasserläufer abzeichnen und schnell wieder verschwinden, die Stille des Elements ebenso wie seine stürmische Aufgeregtheit.
Die Linie der Wellen als ein Moment der Bewegung entsprach der Idee der Natürlichkeit als Gegenpol zu allem Künstlichen, Konstruierten, Berechenbaren. Das Gemälde „Die Rosse des Neptun“ des englischen Malers Walter Crane, eine Kavalkade von Hippocampi, gelenkt vom Wassergott und als Brandungswelle auf den Strand zustürmend, vereinen paradigmatisch diesen Zusammenklang von Aufbruch und Ausklingen, indem sie zugleich Erzählung und Ornament sind.
Das Museum Wiesbaden widmet sich dem Thema jetzt in einer anregenden Ausstellung: „Wasser im Jugendstil. Heilsbringer und Todesschlund“. Anlass ist das „Jahr des Wassers“, das die Landeshauptstadt 2022 ausgerufen hat und damit auch an seine Geschichte als Bäderstadt erinnert. Ein halbes Hundert Gemälde und Grafiken sowie rund 150 Skulpturen und kunsthandwerkliche Objekte versammelt die Schau. Der materialreiche Katalog geht weit darüber hinaus, bietet nicht nur biografische Kapitel zu den Künstlern, deren Gemälde, Gläser, Skulpturen gezeigt werden, oder über die Bestecke und Fliesen, deren Entwerfer man nicht kennt. Dort werden ebenso das Opelbad in Wiesbaden mit den neusachlichen Fotos von Paul Wolff oder der Sprudelhof in Bad Nauheim vorgestellt, die im Museum als Slideshow auf kleinen Medienstationen zu betrachten sind. Dasselbe gilt für den auf eine Digitalpräsentation beschränkten Abstecher zu dem erwachenden naturwissenschaftlichen Interesse an der Flora und Fauna des Wassers, das dank der öffentlichen Wirksamkeit des zeichnenden Ernst Haeckel und seinem Buch über die „Kunstformen der Natur“ den Elfenbeinturm verließ. Immerhin kann man mehr als ein Dutzend von Haeckels Originalseiten im Obergeschoss des Museums in der naturkundlichen Abteilung betrachten. Dagegen müssen sich das Müller’sche Volksbad in München, das Centre Thermal des Dômes in Vichy und die berühmten Wassergemälde von Böcklin, Vogeler, Bracht, Leistikow, Hodler, Munch oder Gallen-Kallela mit der Katalogpräsenz begnügen. Aber das trübt nicht den Genuss der Ausstellung.
Die Auswahl der Objekte stützt sich – obwohl neben mehreren speziellen Privatsammlungen auch Museen in Berlin, München oder Hamburg hilfreich waren – vor allem auf die Schenkung von Ferdinand Wolfgang Neess, der 2019 dem Wiesbadener Museum mehr als 500 Jugendstilobjekte übereignete, sodass es jetzt eines der wichtigen Ausstellungshäuser dieser Epoche ist. Man sollte sich deshalb nicht mit der Schau im Erdgeschoss begnügen, sondern zwei Etagen höher die Jugendstilabteilung einbeziehen, weil auch dort – wie beispielsweise in dem Schlafzimmer mit Gemälden von Ludwig von Hofmann und Émile-René Ménard oder den Tischlampen aus Meeresschnecken von Gustav Gurschner – dem Wasser symbolträchtig gehuldigt wird.
Das Fischservice, das Hermann Gradl 1899/1900 für die Porzellanmanufaktur Nymphenburg entwarf, ist dort genauso gegenwärtig wie der Schwanenteppich von Otto Eckmann, damals so berühmt, dass er mehrfach parodiert wurde, etwa durch Bulldoggen à la Simplicissimus, die durch den Wald laufen. Aber das heitere Genre, gar Karikaturen über das Linienwirrwarr sind weder in der Jugendstilabteilung noch in der Wasser-Ausstellung ein Thema. Lediglich mit der Gouache „Eine Exekution“ von Thomas Theodor Heine, auf der eine Frau mit Schwert den verzagten, mit Rosen gefesselten Mann auf einem Steg über einen See mit dicht gedrängten schwarzen Schwänen führt, deutet ein wenig des seinerzeit populären Unernsts an.
Wie heute war „jung“ auch vor mehr als einem Jahrhundert das Zauberwort, wenn es um Kunst ging, die sich zukunftsgewiss gab, die das Bisherige hinter sich lassen und zu neuen Horizonten aufbrechen, dabei alles Akademische, alle Konventionen und Traditionen entgegentreten wollte. Jugend nannten Georg Hirth und Fritz von Ostini deshalb programmatisch die „Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“, die sie 1898 gründeten und die mit ihrer grafischen Gestaltung bald zum Inbegriff einer neuen Kunst, des „Jugendstils“, wurde.