In seiner Kolumne „Was mich berührt“ stellt der Bestseller-Autor Daniel Schreiber jeden Monat Künstlerinnen und Künstler vor, die sein Leben begleiten. Folge 2: die Malerin Helen Frankenthaler und ihre Farben
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Es gibt ein Foto, das Frankenthaler und Greenberg 1951 mit Pollock und Krasner am Strand von Long Island zeigt. Es entstand bei einem Besuch beim später so berühmten Paar, bei dem Frankenthaler auch Pollocks Atelier in Augenschein nahm. Auf der einen Seite sitzen die beiden glatzköpfigen, etwas griesgrämig wirkenden Männer, auf der anderen Seite die glamouröse Freundin des einen und die ebenso glamouröse Ehefrau des anderen. Höchstwahrscheinlich hatten sie diese Strandpartie organisiert und für Verpflegung und Badeutensilien gesorgt. Ihre malerischen und intellektuellen Innovationen standen denen der beiden Herren in nichts nach, trotzdem galten sie als deren Begleitung. Auch die Malerinnen untereinander unterstützten sich, bis auf Krasner und Frankenthaler, eher selten. Joan Mitchell etwa brachte das Werk Frankenthalers durch gehässige Kommentare immer wieder in Verbindung mit Menstruationsblut und Körperflüssigkeiten. Auch wenn diese Ebene in den Werke der Malerin tatsächlich eine Rolle spielte, war das abwertend gemeint. Am Tisch der Größen der Gegenwartskunst gab es allenfalls einen halben Platz für Malerinnen. Umso erbitterter musste um diesen Platz gekämpft werden.
Frankenthaler stellte sich der Herausforderung – wie übrigens auch Mitchell, Krasner, Hartigan und de Kooning –, indem sie zu völlig anderen Ufern aufbrach. Pollocks Drip-Technik hatte sie bei ihrem Besuch auf Long Island nachhaltig beeindruckt. Als sie 1952 nach einem Aufenthalt in Nova Scotia nach New York zurückkehrte, fand sie einen Weg, seine performancebasierte und körperbetonte Malerei auf eine neue, ungeahnte Ebene zu heben. Sie drapierte eine etwa zwei mal drei Meter große, rohe Leinwand auf dem Boden ihres Ateliers und mischte stark mit Terpentin verdünnte Ölfarbe in Eimern und Kaffeedosen an. Mit Kohle zeichnete sie einige große intuitive Linien auf den Maluntergrund und kippte dann in großen Gesten die Farben daraus aus. Auf dem Boden knieend bearbeitete sie die Farbpfützen mit Händen, Besen, Lappen und anderen Werkzeugen und beobachtete, wie sie ineinanderflossen, welche Formen und Übergänge sich ergaben. Dabei versuchte sie, wie sie sich später erinnern sollte, „auszublenden“, dass sie „nicht wusste, was dabei herauskommen würde“. Die Weißflächen der rohen Leinwand erhob sie dabei zu einem kompositorischen Prinzip, die wenigen klar definierten Kohlelinien rhythmisierten die Ebbe und Flut schwereloser pfirsichfarbener, türkis- und englischblauer Farbozeane.
„Mountains and Sea“, das Bild, das so entstand, sollte eines der einschneidenden Ereignisse der Kunstgeschichte der Nachkriegszeit darstellen, die Gründungsszene der Farbfeldmalerei. Seine schwebenden Formen schienen nichts zu bedeuten und doch so viel auszudrücken und mit so vielen Gefühlen gesättigt zu sein. Wie der Titel der Arbeit andeutete, handelte es sich um eine neue Art von Landschaftsbild. Frankenthaler spürte, dass sie die Landschaft von Nova Scotia noch „in den Armen“ hatte. Das Bild war keine visuelle Repräsentation von Bergen und Meer, sondern etwas anderes. Es war der Ausdruck eines psychischen Landschaftsbilds, das sich in Frankenthalers Körper und ihr Unbewusstes eingeschrieben hatte.
Wenn ich die Augen schließe, kann ich mich noch genau an die Schau im Provincetown Art Museum erinnern, daran, wie die Werke in den Ausstellungsräumen hingen, daran, dass ich das Licht des Küstenstädtchens, als ich aus dem Museum trat, auf einmal anders auf mich wirkte. Ich kann mich nicht an die Farben der Bilder erinnern, aber daran, was sie in mir auslösten.
Die Bilder, die Frankenthaler in Provincetown malte und die den Kern von „Abstract Climates“ ausmachten, folgten demselben Prinzip wie „Mountains and Sea“, und doch war jedes Bild von Grund auf anders. Frankenthaler sollte ihr Leben lang darauf verzichten, in Serien zu arbeiten – wie es etwa Kenneth Noland und Louis Morris taten, die auf Anregung Greenbergs Frankenthalers Atelier besuchten und sich von ihr inspiriert ebenfalls der Farbfeldmalerei widmeten. Für die Malerin war jede Arbeit ein neuer Sprung ins Wasser. Sie sollte die Soak-Stain-Technik immer weiter verfeinern und sie immer wieder neu zu einem Echoraum ihrer Erinnerungen, Gefühle, Stimmungen, aber auch der Kunstdiskurse ihrer Zeit machen. Dass ihr der vollumfängliche Ruhm für ihre Errungenschaft lange verwehrt blieb, lag unter anderem daran, dass Greenberg, nachdem sich Frankenthaler von ihm getrennt und den Maler Robert Motherwell geheiratet hatte, kurzum Noland und Louis zu den Begründern der Farbfeldmalerei ernannte. Erst Jahre später wurde deutlich, wie tief die kunsthistorische Zäsur in der Geschichte der Abstraktion war, die Frankenthaler gesetzt hatte.