Niki de Saint Phalle

Knalleffekt

Die Frau, die auf ihre Bilder schoss: Niki de Saint Phalle ist mit ihrer erstaunlichen Kunst aus fünf Jahrzehnten in der Frankfurter Schirn neu zu entdecken

Von Rose-Maria Gropp
21.02.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 210

Niki de Saint Phalle widersetzte sich überhaupt den Spielregeln der hehren Kunst mit der Wahl ihrer eigenen Mittel. So betrieb sie offensiv eine Strategie der Selbstvermarktung, um ihre Projekte zu finanzieren. Dafür wurde sie, wie auch für ihre Auftritte als Model, nicht zuletzt von einem sittenstrengen Feminismus kritisiert. Inzwischen kann nicht nur feministische Praxis erkennen, dass die Künstlerin damit einen – weiteren – Akt der Ablösung von geltenden Tabus vollzog. Mit ihren aufblasbaren Nanas für ein paar Dollar, die massenhaft produziert wurden und mit denen sie sich 1968 noch einmal in der „Vogue“ ablichten ließ, generierte sie eigenes Geld für ihre Großprojekte, besonders von 1978 an die Produktion der riesigen Skulpturen des „Tarotgartens“ in der Toscana. Indem sie ein eigenes Parfum in kostbaren dunkelblauen Flacons lancierte, machte sie sich unkaschiert zur kapitalistischen Unternehmerin – und bei den Gralshütern der reinen Lehre verdächtig genug.

Niki de Saint Phalle starb am 21. Mai 2002 in San Diego in Kalifornien, wohin sie des milden Klimas wegen gezogen war. Sie erlag Ihrer chronischen Atemnot, die sich durch den Umgang mit Glasfaser und Polyester bei ihren Arbeiten dramatisch verstärkt hatte.

Sie verfügte über mehr als ein Alleinstellungsmerkmal. Die Erfahrung und der Widerstand gegen die (männlichen) Leinwandexzesse des Abstrakten Expressionismus sind zweifellos in ihr. Sie verwandelte sich das anarchische Action Painting eines Jackson Pollock an und überbot es in den Performances ihrer Schießbilder, sein „Dripping“ bekam eine unerwartete Facette. Nicht nur erfand de Saint Phalle die Nanas im Feld einer männlich dominierten Kunstwelt, sie konterkarierte mit ihnen zugleich die konfektionierten Idealmaße. So ergriffen die Nanas, geschmäht von manchen, geliebt von den meisten, seither Platz im öffentlichen Raum. Eine von ihnen schwebt seit 1997 scheinbar schwerelos in der Zürcher Bahnhofshalle mit filigranen goldenen Flügeln als „Ange protecteur“ – unübersehbar weiblich. Eine solche Schutzengelin könnte Frankfurts traurig beleumdetes Bahnhofsviertel auch ganz gut brauchen. Derzeit ist dort immerhin mit rund hundert Arbeiten aus sämtlichen Werkphasen Niki de Saint Phalles Schaffen in der Schirn neu zu betrachten.

Niki de Saint Phalle Tarotgarten Toskana
Mit dem „Tarotgarten“ in der Toskana (re. Seite) ließ Niki de Saint Phalle einen Traum wahr werden. © Claudio Pagliarani/Alamy Stock Photo/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Service

Ausstellung

„Niki de Saint Phalle“,

bis 21. Mai,

Schirn Kunsthalle, Frankfurt

schirn.de

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