„Soft and weak like water“ ist das Motto der 14. Gwangju Biennale, die noch bis zum 9. Juli im südkoreanischen Gwangju stattfindet. Jenseits des klassischen, eurozentrischen, Kunstverständnisses findet hier zeitgenössische Kunst ihre Bühne
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05.05.2023
Vom Wasser verändert zu werden, beschwört Bilder von großen Fluten, Riesenwellen oder sich eingrabenen Gletscherzungen herauf. Die Veränderungen durch das sanfte, schwache Wasser hingegen sind langsamer, aber können genauso den härtesten Stein schleifen. Unter dem Motto „soft and weak like water“ haben die Macher der 14. Gwangju-Biennale in Südkorea eine Bühne für zeitgenössische Kunst geschaffen, die sich jenseits des klassischen, eurozentrischen, Kunstverständnisses bewegt. Mit diesem Zitat aus dem Daodejing, dem namensgebenden Text des Daoismus, soll das transformative und erneuernde Potential des Wassers als verbindendes Element beschworen werden. Zumindest ganz greifbar war die Beschwörung erfolgreich: Nach mehreren Wochen der Trockenheit öffneten sich die himmlischen Schleusen pünktlich zur Eröffnungsfeier. Nicht einmal der Ehrenbotschafter der Biennale Choi Siwon, eine K-Pop-Ikone seit den frühen 2000ern, konnte dem Wasser lange trotzen und musste resigniert, wie die anwesenden politischen Größen in einen modisch eher durchschnittlichen Regenumhang schlüpfen.
Unter diesem glücklichen Vorzeichen – das Wasser verspricht Reichtum und (künstlerische) Fruchtbarkeit – wurde die 14. Biennale in Gwangju eröffnet, deren Ausstellung über die Biennale-Halle hinaus an vier in der Stadt verteilten Außenstätten stattfindet. Neun Partnerländer flankieren dies mit ihren nationalen Pavillons: China, Frankreich, Israel, Italien, Kanada, die Niederlande, Polen, Schweiz, und Ukraine – so viele wie noch nie zuvor.
Mit 79 beteiligten Kunstschaffenden allein in der Ausstellung ist es eine der größten Biennalen im asiatischen Raum. Dabei ist Gwangju ein Ort, den die meisten spontan nicht auf der Landkarte einzeichnen können. Doch die sechstgrößte Stadt Südkoreas steht für einen zentralen Wendepunkt der koreanischen Geschichte: Im Mai 1980 gingen hier mehrere Hunderttausend Menschen erstmals gegen das Militärregime Südkoreas auf die Straße; ihr brutal niedergeschlagener Protest gilt als der Initialfunke für die rasante demokratische und ökonomische Entwicklung, die das ostasiatische Land seither in gerade einmal gut 40 Jahren vollzogen hat. Dieses Gewicht der Geschichte zieht sich durch die gesamte Ausstellung – von der transformativen Kraft der kleinen Schritte, auch der Schwachen und Marginalisierten, an die der Titel erinnern soll; beim eigenen Anspruch, vor allem Werke jenseits der Linse der westlichen Kunstgeschichte zu präsentieren, oder beim kurzen, betont lauten Jubel der Zuschauenden für den Oppositionsführer bei der Eröffnungsfeier.
Dem Thema näherten sich die künstlerische Leiterin der Gwangju-Biennale, Sook-Kyung Lee, im Hauptberuf Seniorkuratorin für internationale Kunst an der Tate Modern in London, und ihr Team über vier Abschnitte: Widerstand und Solidarität; die Verbindung zu Traditionen, die modernen Ideen entgegenstehen; postkoloniales Denken und schließlich das Zusammenleben mit der Natur. Die stockwerkfüllende Installation „The Spirits Descend“ von Buhlebezwe Siwani als erstes Werk der Ausstellung verbindet alle vier Unterthemen. Als eins der wenigen Werke wird hier das Wasser nicht nur zitiert, sondern einbezogen, indem die Videos der Installation nicht nur an Bildschirmen, sondern auch in einem wassergefüllten Becken gezeigt werden.
So wörtlich wird das Wasser in den nächsten Abschnitten nicht mehr bemüht, sondern zieht sich als Geist Gwangjus durch die Präsentationen. Im ersten Abschnitt „Luminous Halo“, wird dieser noch wörtlich zitiert. Der Geist des Widerstands und die dafür notwendige Solidarität ist das verbindende Element der Werke, darunter der Beitrag von Aliza Nisenbaum. Sie arbeitete mit der Theatergruppe Shin-myeong, die in Gwangju in Open-Air-Aufführungen anhand eigener Erfahrungen soziale Missstände thematisiert. Małgorzata Mirga-Tas, deren textile Wandbehänge den polnischen Pavillon der letztjährigen Venedig-Biennale zum Publikumsliebling gemacht haben, ist hier ebenfalls mit drei Stücken vertreten.
Der nächste Abschnitt, „Ancestral Voices“ beschwört die direkte Verbindung zu unseren Ahnen: Blutrot als Farbe der Wahl auf Abdoulaye Konatés abstraktem Gemälde „The Red Drops“, mit dem der 1953 in Mali geborene Künstler auf die alten Jagdtuniken des westafrikanischen Mandé-Volkes verweist und der Opfer des Terrorismus in der Sahelzone gedenkt, und der schweren Vorhänge, zwischen denen Bakhyt Bubikanovas Bilderserie im Stil traditioneller orientalischer Miniaturen präsentiert wird. Charwei Tsai verbindet taiwanische buddhistische Praktiken mit Versen von Dichterinnen der Sufi-Tradition, während sich die Ainu-Künstlerin Mayunkiki mit den Grenzen befasst, die die Gesellschaft und sie selbst sich wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser indigenen Gruppe Nord-Japans setzen. Die innere Vielfalt hinter der scheinbar so homogenen Fassade von Gesellschaften wie Taiwan oder Japan wird hier selbst für den westlichen Betrachter sichtbar. Diese anderen Traditionen jenseits der Mehrheitsgesellschaft bilden auch den Ausgangspunkt von „The Echo of an Ancient Form of Knowledge“ des guatemaltekischen Künstlers Edgar Calel, der in einem Ritual der Kaqchikel seinen Ahnen die Arrangements koreanischer Früchte geopfert hat.
Die postkoloniale Debatte reflektieren die Werke des Abschnitts „Transient Sovereignty“. Der Fotograf Oh Suk Kuhn aus Incheon dokumentiert die Spuren des japanischen Kolonialismus in Südkorea anhand der japanischen Häuser, ihrer Geschichten, und ihrer wechselnden Nutzung. Das künstlerische Kollektiv IkkibawiKrrr aus Seoul, das bereits bei der documenta 15 im Keller des Naturkundemuseums Kassels die Spuren des Militärs in der Naturschönheit der Insel Jeju nachgezogen haben, zeigt hier erneut seine Videoinstallationen. Meiro Koizumi folgt dagegen den Spuren der Koryo-in, den Koreanern, die der Krieg in die Migration nach Zentralasien getrieben hat, und ihrem Festhalten an Traditionen in der neuen Heimat durch das Aufführen von Koreanischem Theater.
Nach diesen drei Themenblöcken, in denen zentrale Diskussionen der zeitgenössischen Kunst eher lose am Thema angeknüpft sind, bringt „Planetary Times“ die Besuchenden zurück zum Naheliegenden: der ökologischen Gerechtigkeit. Alan Michelsons Video von New Yorker Kanälen, die von Industrialisierung und Umweltverschmutzung gekennzeichnet sind, wurde im MoMA PS1 in New York auf dort heimische Austernschalen projiziert. In Gwangju stammen die Schalen aus Tongyeong, einer Stadt im Süden Koreas. Auch Emilija Škarnulytės Videoarbeit folgt einem Wasserlauf, dem Zusammenfluss des weißen Wassers des Rio Solimões und des schwarzen Wassers des Rio Negro im Amazonasgebiet, und den Begegnungen der Mensch-Fisch-Chimäre mit den pinken Flussdelphinen.
Die Außenstandorte sind nur zum Teil in Laufweite der Biennale-Halle und damit eine wunderbare Gelegenheit, die Stadt zu entdecken. Das Gwangju-Nationalmuseum ist durch einen Park von der Biennale-Halle getrennt, in dessen Mitte sich das Gwangju Museum of Art befindet. Dort ist der Niederländische Pavillon eingezogen mit einer immersiven Installation über den Court for intergenerational Climate Crimes, wo während der Biennale auch drei öffentliche Anhörungen stattfinden werden, gegen die militärischen Grundlagen von Kapitalismus und Kolonialismus.