Venedig-Biennale 2024

Die Fremden sind wir

Was bringt die Kunstbiennale in Venedig 2024? Die ersten Künstlerinnen und Künstler der Länderpavillons stehen fest, die Hauptausstellung nimmt die globale Migration in den Fokus

Von Petra Schaefer
22.08.2023

Die 1895 gegründete Kunstbiennale in Venedig erzielte im vergangenen Jahr einen Besucherrekord: Mehr als 800.000 Menschen zog es zur Kunstschau in der Lagunenstadt. Für den internationalen Kunstmarkt ist sie ebenfalls von großem Interesse, wie auch aktuelle Künstlerratings belegen. Das Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz zum Beispiel listet in den helvetischen Top 25 vier Akteure der Großschau 2022. Die Malerin Miriam Cahn, die mit der Rauminstallation „unser süden sommer, 2021, 5.8.2021“ in der Hauptausstellung „The Milk of Dreams“ vertreten war, den in Zürich und New York tätigen Installationskünstler Ugo Rondinone, der im Rahmenprogramm der Biennale die Einzelausstellung „burn shine fly“ in der Scuola Grande San Giovanni Evangelist hatte, den in Berlin ansässigen französisch-Schweizerischen Künstler Julian Charrière, ebnefalls bei den Collateral Events vertreten, und nicht zuletzt die marokkanisch-französische Bildhauerin Latifa Echakhch, die im schweizerischen Martigny tätig ist und 2022 den Schweizer Pavollon bespielte. So stellt sich die Frage, wer das Geschehen im nächsten Jahr bestimmen wird.

Die Großausstellung in den Giardini und im Arsenale läuft vom 20. April bis zum 24. November 2024 unter dem Thema „Stranieri ovunque – Foreigners everywhere“. Damit greift der brasilianische Kurator Adriano Pedrosa, Direktor des São Paulo Museum of Art (MASP), auf eine Reihe von Arbeiten des Kollektivs Claire Fontaine zurück. In Paris gegründet, sitzt es heute in Palermo und präsentiert seit 2004 Neonarbeiten mit der Schrift „Fremde überall“ in verschiedenen Sprachen. Entliehen wurde die Aussage einem gleichnamigen Kollektiv aus Turin, das in den frühen 2000er-Jahren Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Italien anprangerte. „Insbesondere zielt das Thema darauf, dass man, egal wo man hingeht und wo man ist, immer auf Ausländer trifft: Sie sind überall. Und dass man, egal wo man sich befindet, im Grunde immer selbst ein Fremder ist“, so Adriano Pedrosa bei der Pressekonferenz Ende Juni 2023.

Biennale Claire Fontaine
Claire Fontaines Installation „Foreigners Everywhere (Italian)“ aus dem Jahr 2004. © Studio Claire Fontaine, Courtesy of Claire Fontaine and Galleria T293, Rome

Auf neue Formen des Zusammenlebens zielt auch die Kuratorin des Deutschen Pavillons Çağla Ilk, Co-Direktorin der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, denn „in einer Zeit, in der Kriege, menschengemachte Naturkatastrophen und Autoritarismus die Krisenhaftigkeit unserer Gesellschaften immer deutlicher offenlegen, ist es wichtiger denn je, unsere bisherige, von nationalstaatlichem Denken geprägte Lebensweise zu hinterfragen“, sagte Ilk anlässlich ihrer Ernennung im März 2023.

Weder Adriano Pedrosa noch Çağla Ilk haben ihre Auswahl bisher verkündet, aber von einigen Länderbeteiligungen sind die vertretenden Kunstschaffenden bereits bekannt. Und es kam zu einem Rücktritt: die Kuratorin des türkischen Pavillons Sarigedik Öktem verkündete via Instagram ihren Verzicht, um einen Interessenkonflikt zu vermeiden. Die Istanbuler Galeristin vertritt die von der Istanbul Foundation For Culture and the Arts (IKSV) benannte Künstlerin und Filmemacherin Gülsün Karamustafa. Mit dieser Entscheidung hat sie die Biennale-Teilnehmerin gestärkt, die – 1946 in Ankara geboren – seit den Studentenrevolten in den 1968er-Jahren als Aktivistin tätig ist und mit ihren Themen wie Migration und Exil für Pedrosas Rahmenthema prädestiniert ist. Hintergrund für Öktems Rücktritt ist aber auch eine umstrittene Entscheidung zur Kuratorin der kommenden Instanbul Biennale, für die die Istanbul Foundation For Culture and the Arts (IKSV) verantwortlich ist. Die Organisation verantwortet auch den türkischen Pavillon der Venedig-Biennale.

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