Ignacio Zuloaga

Stolz und Vorurteil

Unter Spaniens modernen Malern war Ignacio Zuloaga der Traditionalist. Die Kunsthalle München zeigt, wie er das Bild seines Heimatlands international prägte

Von Rose-Maria Gropp
18.09.2023

In seinem Pariser Atelier stand ihm übrigens auch Fernande Olivier Modell, die von 1905 an Picassos erste Lebensgefährtin wurde. Sie erinnert sich in ihren „Souvenirs intimes“ an Zuloaga und auch daran, dass er „stark von den alten spanischen Meistern beeinflusst war, vor allem von El Greco“. Allerdings befand sie, dass er „deren Sensibilität nie in sich aufgenommen“ habe: „Sein schwerer Duktus war auf seine abrupte Arbeitsweise zurückzuführen, denn er ließ sich kaum Zeit zum Fühlen, Atmen oder Nachdenken.“ Furore machte Zuloaga in Paris nicht zuletzt mit seiner Sammlung von Werken des El Greco, zu der auch „Die Öffnung des fünften Siegels (Die Vision des heiligen Johannes)“ – heute im Metropolitan Museum, New York – zählte. Bei ihm sah der junge Picasso El Grecos heute hochberühmtes Werk, und in genau dessen ungewöhnlichen Dimensionen und Aufbau malte er 1907 die bahnbrechenden „Demoiselles d’Avignon“.

Auch der Dichter Rainer Maria Rilke kannte Zuloaga. Schon im Jahr 1900 hatte er Gemälde von ihm in der Berliner Galerie Schulte gesehen. Wie überhaupt Ausstellungen in Deutschland – in Dresden, Bremen, München und Düsseldorf – wichtig waren für den Beginn von Zuloagas Karriere. Rilke war begeistert wegen der Anklänge an den von ihm verehrten Velázquez. Später lernte er den Maler in Paris kennen; vorübergehend plante er ein Buch über ihn, woraus aber nichts wurde. Rilkes Begeisterung erlosch, als er sich ganz El Greco zuwandte, den auch er wohl zuerst bei Zuloaga gesehen hatte.

Allerdings gereichte Zuloaga selbst das damals aufflammende Interesse an El Greco doch zum Vorteil: Er verpasste ihm gewissermaßen das Label, das so nachhaltig auf ihn übertragen werden sollte. Dazu trugen schon seine Zeitgenossen bei. So deklarierte der französische Kritiker Camille Mauclair 1911 in der einflussreichen Zeitschrift „Die Kunst für alle“, „was wir besonders an ihm schätzen, ist, dass er von Velázquez, Goya und Greco in Technik und Stil herkommend, das Ensemble seines Werkes zu einer echt nationalen Evokation eines Spaniens, das im Verschwinden ist, gemacht hat“.

Ignacio Zuloaga Kunsthalle München
Die „Helle Toledaner Landschaft“ (1932) verweist auf El Greco. © Privatsammlung

Von 1894 an hielt sich der Baske Zuloaga immer wieder im andalusischen Sevilla auf, wo er den Kontakt mit den Gitanos, den spanischen Roma, suchte und die Nähe zum Stierkampf. Er war so gefesselt davon, dass er selbst eine Ausbildung zum Matador absolvierte und sogar in der Arena antrat, mit dem Beinamen „El Pintor“. In Sevilla befreundete er sich 1896 mit dem etwa gleichaltrigen französischen Maler Émile Bernard, der dort weilte. Bernards Synthetismus und Symbolismus fanden Eingang in Zuloagas Schaffen, das nicht – auch nicht in seinen Landschaften, selbst wo sie identifizierbar sind – als schierer Realismus gelten kann.

Gleichsam einen Gegenpol zum sonnigen Andalusien bildet Segovia im herben Kastilien, wohin es Zuloaga 1898 zog. Dieser kargen Gegend und ihrer Bevölkerung wandte er sich nun zu. Damit avancierte er noch weiter zum Exponenten einer „España negra“, in Absetzung von der durch den Impressionismus geprägten „España blanca“ seines Kontrahenten Sorolla.

Historisch gesehen spiegelt sich in dem Gegensatz das Schicksal des Landes auf der Suche nach einer nationalen Identität. Infolge des Spanisch-Amerikanischen Kriegs 1898 hatte Spanien die Kontrolle über seine letzten Kolonien an die Vereinigten Staaten verloren. Es ging den Intellektuellen und Künstlern dieser „Generation 98“ um die Frage, ob sich Spanien nach dem übrigen Europa öffnen solle. Oder ob das Wesen, die „Rasse“ – im Sinn von eigentlicher Mentalität – vielmehr in den überkommenen Strukturen zu finden sei. Zuloaga entschied sich für die konservative Position, er begann, sich vom Traditionalisten zum Nationalisten zu wandeln. Was gleichbedeutend war mit einer Absage an die in Paris herrschende Avantgarde, die auf Internationalität setzte.

Ignacio Zuloaga Kunsthalle München
Ignacio Zuloaga, „Porträt Manuel de Fallas“, 1932. © Privatsammlung

Neben dem Stierkampf sind die Frauen das zweite große Thema im Œuvre Ignacio Zuloagas. Als ein Urbild lässt sich vielleicht „Carmen“ erkennen, jene Arbeiterin in Sevillas Tabakfabrik, die durch Georges Bizets in Paris 1875 uraufgeführte Oper ihren Siegeszug um die Welt antrat. In dieser Carmen gerinnt eine Vorstellung von Weiblichkeit zwischen Verführung und gefährlicher Forderung nach sexueller Freiheit. Entsprechend beschwören Zuloagas Spanierinnen „nicht ein vergangenes, romantisches Spanien, sondern sind als Allegorien für ein Land lesbar, das im Taumel der Moderne auf der Suche nach einer eigenen Identität war“, erläutert Birgit Thiemann im Ausstellungskatalog. Es ist besonders der Prototyp der Andalusierin, wie sie zumal im Flamenco-Tanz ihre Verkörperung findet, der für den Maler zur Folie wird. Im Zuge seines eigenen Bekenntnisses zur Hispanität, die er früh als durchaus profitabel erkennt und fortan kultiviert, staffierte er auch seine ausländischen Kundinnen a la española aus.

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