Unter Spaniens modernen Malern war Ignacio Zuloaga der Traditionalist. Die Kunsthalle München zeigt, wie er das Bild seines Heimatlands international prägte
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18.09.2023
Eine Pointe erlaubt sich Zuloaga im Bildnis der „Dona Rosita Gutiérrez“ aus den Jahren 1914/1915: Die alternde Frau, die erst auf den zweiten Blick an eine Kupplerin erinnern mag, trägt einen geöffneten Fächer, auf den Goyas „Nackte Maja“ gemalt ist. Es ist kaum ein Zufall, dass dieses Porträt zudem an dessen „Königin María Luisa mit Mantilla“ aus dem Jahr 1800 erinnert, die ihren Fächer freilich geschlossen hält. Wo Zuloaga im Sujet direkt auf die unbekleidete Maja anspielt, wie im „Akt mit Nelke“ von 1915, beschwört er zugleich die Erinnerung an Manets „Olympia“. Die Direktheit des Blicks als offensiv erotisches Signal ist allen drei Akten gemeinsam. Eine hauchdünn bekleidete Spielart lieferte 1913 das „Porträt der Gräfin Mathieu de Noailles“ im Schlafgemach. Dem „Akt mit Nelke“ blieb die Mantilla als Tribut an Spanien, der französischen Gräfin neben den Rosen ihr lasziver Ausdruck. So lebt das Carmen-Klischee fort, gleichermaßen geschätzt von europäischer wie etwas später auch amerikanischer Kundschaft. Weshalb Zuloaga auch für die Auftragsporträts reicher Amerikanerinnen die Accessoires wie Spitzenschleier oder Fächer gern beibehielt.
Der Titel „Mythos Spanien“ trifft den Kern von Zuloagas Werk in mehr als einem Aspekt. Gegen eine Modernisierung und Öffnung des Landes setzte er ein Bildprogramm, das eine – mythische – Vergangenheit beschwört, wie er selbst es formuliert: „Bei uns lebt und vibriert die Vergangenheit noch, während anderswo nichts von ihr übrig geblieben ist. Und es ist diese noch lebendige, wenn auch halb tote Vergangenheit, die ich habe wieder aufleben lassen, die ich mit meiner Leidenschaft erfüllt habe, mit meinem Bedauern, meiner Zärtlichkeit und auch mit meiner Wut.“ Die imaginären Aspekte an diesem, gelegentlich ins Pittoreske abgleitenden, Retro-Spanien sind evident.
Eines der wenigen späten Werke in der Ausstellung ist das „Porträt der Familie des Malers“ aus dem Jahr 1934: Es zeigt Zuloaga selbst vor seiner Staffelei, seine Ehefrau Valentine und den Sohn Antonio malend. Hinter diesen stehen, als beobachteten sie die Szene, seine Tochter Lucia und der Schwiegersohn Enrique. Die Faktur des Bildes kommt neusachlichem Realismus nah. Das ungewöhnliche Setting allerdings wirkt wie eine intime Hommage an „Las Meninas“: Eine kunsthistorische Deutung besagt, Velázquez habe sich dort selbst in einem raffinierten Arrangement dargestellt – im Begriff, eben, „Las Meninas“ zu malen.
Die letzte Schaffensphase Zuloagas bleibt weitgehend ausgespart. Im Katalog geht Nerina Santorius auch auf die Wertschätzung ein, die er vonseiten des späteren Diktators Franco nach dem Militärputsch 1936 erfuhr. Das „Volkstümliche“ in seinen Bildern passte den Nationalisten ins Konzept. Franco schenkte Hitler 1939 drei Gemälde Zuloagas, vermutlich als Dank für das Eingreifen der deutschen „Legion Condor“ in den Spanischen Bürgerkrieg. Es war diese Fliegerstaffel, die 1937 Guernica zerbombt hatte. Es sei erwähnt, dass Zuloaga auch Franco selbst in heroischer Pose, umhüllt von der spanischen Fahne, dessen Familie sowie hohe Funktionäre des Staatsapparats porträtiert hat. Am 31. Oktober 1945 starb Zuloaga in Madrid. Nach dem Zweiten Weltkrieg litt seine internationale Anerkennung nachhaltig unter seinem Sympathisieren mit dem franquistischen Regime. Einer unvoreingenommenen künstlerischen Einschätzung ist diese späte Verstrickung bis heute hinderlich.
„Mythos Spanien – Ignacio Zuloaga“,
Kunsthalle München,
bis 4. Februar 2024