Caspar David Friedrich

Das Jahr der Romantik

Einsame Spitze: Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich huldigen gleich mehrere große Ausstellungen dem berühmtesten deutschen Maler. Ein Überblick

Von Matthias Ehlert
02.01.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 222

Caspar David Friedrich ist längst mehr als nur der bedeutendste Maler der deutschen Romantik. Er ist auch eine Chiffre für die jeweilige Zeit, die ihm huldigt. So vieles kann man in seine Bilder hineininterpretieren, dass die Grenze zum Missverständnis, und damit auch zum Missbrauch, schnell überschritten ist.

Der tiefe, grüblerische Ernst, den Friedrichs Werke ausstrahlen, galt lange als Inkarnation des besonderen Seelenzustandes der Deutschen, der – wie wir wissen – auch zu entsprechenden deutschen Sonderwegen in der Geschichte geführt hat. Für die Nationalsozialisten war Friedrich die Verkörperung des nordisch-heroischen Malers, für den der „unerschütterliche heilige Glaube an Deutschland“ die leuchtende Fackel in fahlen Mondnächten war. Die 68er denunzierten ihn als Chronisten der Kleinbürgerlichkeit, dem der Weg zu wahrhaft revolutionärem Pinselschwung durch die pietistische Beschränkung leider verwehrt blieb. Und die DDR erklärte ihn kurzum zu einem ihrer Nationalheiligen und versuchte dabei gleichzeitig, seine tiefe Verankerung in der Religion unter den Tisch zu kehren.

An der Hamburger Kunsthalle, wo am 15. Dezember mit der Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ die großen Festspiele zum 250. Geburtstag begonnen haben, wird Friedrich nun umlackiert zum Propheten der Klimakatastrophe. In einer beflissenen Verrenkung vor dem Zeitgeist glaubt man zeigen zu müssen, „wie aktuell der künstlerische Blick des Romantikers in Zeiten des Klimawandels ist“, wie sehr er schon die Gefährdung der Natur durch den Menschen, sprich: die neue Apokalypse, vorausgeahnt hat. Ein Bild wie „Das Eismeer“ erinnert uns dann daran, dass die Polarkappen schmelzen.

Caspar David Friedrich Das Eismeer
Unterkühlte Romantik in Caspar David Friedrichs „Das Eismeer“ (1823/1824). © Hamburger Kunsthalle / bpk / Elke Walford

All das wird den Hunderttausenden von Menschen, die ab Mitte Dezember in die Friedrich gewidmeten Ausstellungen in Hamburg, Greifswald, Berlin, Dresden und Weimar strömen, herzlich egal sein. Ebenso wie die Jahre an Lebenszeit und Regalmeter an Büchern, die unzählige Kunsthistoriker darauf verwendeten, um nachzuweisen, wer denn nun die drei Personen vor den „Kreidefelsen auf Rügen“ seien oder aus welcher Landschaft Friedrich den Felsbrocken herbeigeschleppt hat, auf dem „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ seinen Fuß und Stock aufstützt. Stattdessen werden sie vor den Bildern stehen und schweigen. Sie werden mit den Figuren in Rückenansicht verschmelzen, eins werden mit ihrem Blick in die Landschaft und den Himmel darüber, die sich vor ihrem inneren Auge unendlich erweitern. Und sie werden im besten Fall spüren, dass sie das, was sie dabei empfinden, nicht in Worte fassen können. Weil es bei jedem Menschen unterschiedlich ist.

Damit sind all diese Besucherinnen und Besucher näher beim wahren Friedrich, als sie denken. Denn nie ging es ihm um allgemeine Empfindungen, um die Bebilderung eines Zeitgeschmacks, das Bedienen einer Mode. Friedrich malte, was er malen musste.

Seine Landschaften sind immer auch Seelenlandschaften, Ausdruck einer inneren Befindlichkeit. Längst wissen wir, dass er nicht im eigentlichen Sinne „naturgetreu“ malte. Auch das beherrschte er, davon zeugen die im Freien entstandenen Skizzenbücher mit ihrer tannennadelfeinen Präzision. Aber seine wirkliche Meisterschaft entfaltete sich in der Stille des penibel aufgeräumten Ateliers bei geschlossenen Fensterläden. Hier stieß er zu seinen großartigen Bilderfindungen vor, geleitet von einer inneren Vision, die seine Gemütsbewegungen auf die Leinwand übertrug und die Natur dabei als Fundus und Verstärker benutzte. Wie ein Requisiteur schob er seine spitzen Felskuppen, knorrigen Eichen, aufgespannten Segel und bröckelnden Ruinen von einem (Bühnen)bild ins nächste, auf dem fast jedes Mal das gleiche Drama gespielt wurde: Friedrich und wie er die Welt sieht.

Caspar David Friedrich Wanderer über dem Nebelmeer
„Der Wanderer über dem Nebelmeer“, gemalt um 1818. © Elke Walford/SHK/Hamburger Kunsthalle/bpk

Dieser Blick auf die Welt war melancholisch grundiert, überaus empfindsam und geprägt von störrischem Eigensinn. Er wisse selbst nicht so genau, schreibt der späte Friedrich an seinen Bruder, was seine Bilder überhaupt aussagten. Sie seien ihm „in gewisser Weise ein Rätsel“. Wer diesem Rätsel auf die Spur kommen möchte, sollte im Jubiläumsjahr 2024 nach Greifswald fahren. Dann steht man plötzlich in der Werkstatt eines Seifensieders und Kerzenmachers und versteht, aus welchen Verhältnissen sich dieser Künstler emporgeschwungen hat. Dunkel und eng ist es hier, die Wände sind aus Natursteinen geformt. Das Zentrum des Raums bildet ein runder, halbhoher Ofen, Licht fällt durch ein schmales Fenster. Hier kochte Friedrichs Vater tagein, tagaus Kerzen aus Tiertalg, um seine Familie zu ernähren.

Die Werkstatt befindet sich im ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus der Familie in der Langen Straße 57, wo sich heute das Caspar-David-Friedrich-Zentrum befindet. Ausführlich stellt es den Werdegang des berühmtesten Sohns der Stadt dar, der hier am 5. September 1774 zur Welt kam. Im Familienkabinett kann man das Schicksal der Friedrichs verfolgen, hinter manch nüchterner Jahreszahl verbergen sich dramatische Einschnitte. Sieben Jahre alt ist Friedrich, als seine Mutter stirbt. Mit zwölf Jahren bricht er beim Schlittschuhfahren ins Eis ein und wird von seinem Bruder gerettet, der dabei jedoch ertrinkt. Tragische Ereignisse, die für Friedrich eine lebenslange seelische Herausforderung bilden und erst sein Naturell und dann seine Naturdarstellungen verdüstern.

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