Omar Victor Diop

„Je älter ein Bild ist, desto stärker wird es“

Der senegalesische Künstler Omar Victor Diop schlüpft für seine Fotografien in die Rollen historischer Persönlichkeiten und erzählt so schwarze Geschichte neu. Nun ist sein Werk bei Fotografiska in Berlin zu sehen

Von Amelie Apel
06.02.2024

Wer sind wir als Gesellschaft, wenn unsere Geschichte jahrhundertelang nur aus einer Perspektive erzählt wurde? Der senegalesische Künstler Omar Victor Diop zollt mit seinen Fotografien Menschen und Ereignissen der schwarzen Geschichte Respekt. Damit diskutiert er unsere Erinnerungskultur zum Kolonialismus, zur gesellschaftlichen Unterdrückung und schwarzen Freiheitsbewegungen. Er sagt, nur eine Wahrnehmung und Wertschätzung anderer Perspektiven auf die menschliche Historie könne dazu führen, dass sich alle Menschen in der Gesellschaft zugehörig fühlten. Und Kunst sei der beste Weg, um diesen Diskurs zu führen.

Für „Diaspora“ von 2015 porträtierten Sie sich selbst als historisch bedeutende Persönlichkeiten der afrikanischen Diaspora zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, die in den Geschichtsschreibungen immer vergessen werden. Wie kamen Sie auf diese Geschichten?

Ich war zu der Zeit mit einem Kunstförderprogamm in Spanien, eine ungewohnte Umgebung und ohne Zugriff auf meine sonstigen Models. Zur Inspiration schaute ich mir klassische Barockgemälde an und wie dort Licht als erzählendes Element genutzt wird, besonders auf schwarzer Haut. So stieß ich auf eine Reihe von schwarzen Männern aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert, die von großen Meistern der jeweiligen Zeit gemalt wurden. Das hat mein Interesse geweckt: Wer waren diese allem Anschein nach sehr wichtigen Schwarzen und warum hatte ich noch nie von ihnen gehört?

Also entschieden Sie, diese Personen zu werden für Ihre Bilder?

Der eigentliche Plan war es, die Kostüme anzufertigen und dann nach Dakar zu fliegen, um dort Modelle zu finden, die den Personen ähnlich sahen. Bevor ich flog, machte ich ein Testbild mit mir selbst und mein Galerist fand es so gut, dass er mich dazu brachte, weiter selbst die Charaktere zu verkörpern. So begann mein Motiv des Selbstporträts.

Omar Victor Diop, „Jean-Baptiste Belley 1746–1805“ aus der Serie „Project Diaspora“ (2014). © Courtesy Omar Victor Diop / MAGNIN-A, Paris
Omar Victor Diop, „Jean-Baptiste Belley 1746–1805“ aus der Serie „Project Diaspora“ (2014). © Courtesy Omar Victor Diop / MAGNIN-A, Paris

Wenn man einen Raum mit Ihren Bildern betritt, ist das schon ein interessanter Effekt, dass Sie selbst in dutzendfacher Ausführung auf einen herabschauen. War auch dieser Effekt antizipiert?

Der Effekt liegt in der Wiederholung. Manchmal sind auch in einem Bild viele verschiedene Charaktere abgebildet, die aber alle das gleiche Gesicht haben. Jede Dopplung fügt meinem Gesamtwerk eine neue narrative Ebene hinzu. Sie zeigt, wie all diese Geschichten und Personen zwar einzeln abgelichtet, aber im Thema verbunden sind. Es sind alles Beispiele von Widerstand und Excellenz. Und sie zeigen, wie schwarze Menschen über Jahrhunderte hinweg so viel Leid ertragen mussten, von Sklaverei, der Kolonialzeit, Unterdrückung, Apartheid bis hin zur antirassistischen Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten. Die Wiederholungen geben den Werken noch mehr Schlagkraft.

Wie kann man sich den Bildverarbeitungsprozess vorstellen?

Ich bin immer allein im Studio. Ich hatte noch nie eine Fotoassistenz oder ähnliches. Ich will nicht zu spirituell klingen, aber ich habe das Gefühl, jedes Mal eine Verbindung mit den Personen aufzubauen, die ich darstelle. Als wären sie die zweite Präsenz im Raum.

Und doch sind es immer Sie auf dem Foto.

Wenn ich die Bilder ansehe, sehe ich nicht mich selbst. Wenn ich tief genug in die Geschichte der Person eingetaucht bin, vergesse ich manchmal, dass ich es bin, der auf dem Bild ist. Ich habe sehr früh eine Distanz zwischen mir und meiner Kunst aufgebaut. Es sind weniger Selbstporträts und mehr Theaterstücke.

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