Der senegalesische Künstler Omar Victor Diop schlüpft für seine Fotografien in die Rollen historischer Persönlichkeiten und erzählt so schwarze Geschichte neu. Nun ist sein Werk bei Fotografiska in Berlin zu sehen
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06.02.2024
Mit der Frage tue ich mich sehr schwer. Soll ich auch die weiblichen Figuren verkörpern? Wenn ich das tue, wird die Darstellungsweise die Geschichte überschatten. Denn dann wird sich der Fokus von ihnen auf mich und meine Fähigkeit, mich in eine weibliche Figur zu verwandeln, verschieben.
Modefotografie hat die Eigenschaft, nostalgisch und zukunftsorientiert zugleich sein zu können. Und sie kann Ästhetik nutzen, um eine Nachricht zu vermitteln. Beide Aspekte inspirieren mich sehr. Designer wie Jean Paul Gaultier oder Fotografen wie Richard Avedon bewundere ich. Schöne Bilder haben eine eigene Stärke. Sie erregen leicht die visuelle Aufmerksamkeit.
Am Anfang war das alles nur zum Spaß. Ich war in einem Unternehmen angestellt und sonntags spielte ich mit meiner Kamera herum. Erst fotografierte ich Landschaften, danach begann ich, in meinem Garten Porträts aufzunehmen. Auch als ich anfing konzeptioneller zu arbeiten und immer mehr zu inszenieren, habe ich mich nie als ernst zu nehmenden Fotografen wahrgenommen. Es waren Freunde, die mich 2011 dazu drängten, mein Portfolio bei der Bamako Encounters African Biennale of Photography einzureichen. Ich wurde tatsächlich ausgewählt, und damit machten sie mich erst zum Fotografen. Ich hatte vorher noch nie ein Bild von mir ausgedruckt, weil ich nicht dachte, dass sie das wert seien.
Danach begann ich zumindest, das Ganze ernster zu nehmen und realisierte, dass ich durch die Fotografie viele Dinge korrigieren konnte, die mich frustrierten, zum Beispiel wie Afrika repräsentiert wird und wie wenig die afrikanische Realität sich darin widerspiegelt. Mir fehlte die Perspektive, wie es ist hier geboren zu sein, hier zur Schule zu gehen und ein Nachkomme meiner Ahnen zu sein. Und wie es ist, so viel Geschichte zu haben, die von großen Teilen der Welt übersehen und unterschätzt wird. Afrika ist ein Kontinent, über den viele entweder fantasieren oder ihn fürchten, ohne wirklich zu wissen, wie es hier ist, oder es wissen zu wollen. Ich wollte eine andere afrikanische Realität zeigen, nämlich meine. Und die besteht nicht nur aus Zebras, Giraffen und Rhythmusgefühl – all diesen faulen Klischees und Fehlvorstellungen –, sondern daraus, wer wir sind, wer wir waren und welchen Beitrag wir zu dieser Welt geleistet haben. Also habe ich es vor zwölf Jahren zu meinem Job gemacht, diese Verzerrung zu korrigieren.
Überall auf der Welt beobachten wir ein Aufbegehren des Nationalismus. Die Menschen möchten eine einzelne Erzählung über die Orte, die sie als ihre Heimat beschreiben: Wir Franzosen sind so, und das ist unsere Geschichte. So funktioniert Geschichte aber nicht. Das, worauf sich diese Menschen berufen, ist oft nur die Geschichte eines sehr kleinen Teils der Bevölkerung. Unsere Gesellschaft muss sich aktiv dazu entscheiden, über diese Erzählung hinauszuschauen und alle Perspektiven einzubeziehen. Wir haben keine gemeinsame Zukunft, wenn nur die weiße westliche Gesellschaft in den Kontext gesetzt wird. Ein schwarzer Mensch wird sich in Frankreich nie zugehörig fühlen, wenn man ihm nicht erzählt, was die Geschichte schwarzer Menschen in Frankreich ist, wie weit sie zurückliegt und welche Traumata mit ihr verbunden sind.
Absolut! Es ist vielleicht sogar die beste Form. Kunst erlaubt es mir, meine Aussagen öffentlich zu äußern und das auf eine unbedrohliche Art. Ich klage die Besuchenden nicht an, sondern biete ihnen eine neue Perspektive. Kunst ist die einzige Art, wie ich sowas kommunizieren könnte. Meine Formel ist, dass ich etwas kreiere, das optisch ansprechend, aber so ungewöhnlich ist, dass es neugierig macht. Die Dopplung meines Gesichtes kann als so ein Verwirrungseffekt funktionieren. Das ist unerwartet, wirft Fragen auf und bringt Leute dazu tiefergehend mit dem Bild zu interagieren. So entdecken sie dann die politische Ebene und lernen oder werden Teil des Diskurses.
Ja, es ist sehr amüsant zu beobachten, wie Menschen durch meine Ausstellung laufen, die Bilder betrachten und dann immer näher ran gehen und näher rangehen. Dann holen viele ihre Handys raus und schreiben etwas auf. Ich bin mir sicher, dass sie viele Dinge googlen werden, sobald sie zu Hause sind. Besonders nach „Diaspora“ habe ich viele Nachrichten erhalten mit Vorschlägen, welchen historisch vergessenen Afrikaner ich als Nächstes porträtieren könnte. Interesse zu wecken scheint also zu funktionieren, sogar in Ländern wie Japan oder Estland – Länder, bei denen ich mir vorher nicht sicher war, ob sie einen Bezug zur schwarzen Geschichte finden würden. Aber die Leute haben sehr stark interagiert und großes Interesse gezeigt. Manche sind sogar mehrmals gekommen.
Das ist die Serie, die mich durch die Pandemie gebracht hat. Ich hatte das Glück, hier im Senegal zu sein, während alles anhielt. Das nahm ich zum Anlass, aufs Land zu fahren. Die Natur ist hier sehr präsent, es wurde noch nicht alles vom Asphalt aufgefressen. Ich hatte den Wunsch eine Serie an Collagen zu erstellen, die ein Liebensbrief an Mutter Natur waren – etwas kryptisch, aber auch voller Fantasie. Ich wollte einen Effekt wie bei der senegalesischen Glasmalerei erzeugen. Auch dort wird mit bunten Farben vor dunklem Hintergrund gearbeitet. Bei der Komposition ließ ich mich von japanischen Farbholzschnitten inspirieren und auch von der farbenfrohen Einfachheit von Kinderbüchern. Ich malte mir beim Fotografieren eine Zukunft aus, Lebewesen und Pflanzen nur noch in der Erinnerung existieren und fragte mich, wie man sie dann wohl verewigen würde.
Ja, ich fand ihre Illustrationen in Lexika und platzierte sie am Computer in meine Arme oder um mich herum. Daher heißt die Serie „Allégoria”. Eine Allegorie ist eine bildliche Darstellung, die sinnhaft als Metapher für etwas Größeres steht. Die Tier- und Pflanzenarten sind alle bedroht oder bereits ausgestorben, wie der Dodo.
Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen! Die Fotos sind nur der erste Teil. Aktuell arbeite ich daran, sie zu animieren und Kindergeschichten dafür zu schreiben. Sie handeln davon, wie wir die Umwelt schützen können und wie wichtig Biodiversität ist. Ich plane, sie in viele afrikanische Sprachen zu übersetzen und sie auch dort aufzustellen, wo es kein Fernsehen hinschafft. Menschen in Großstädten sind für das Thema sensibilisiert , aber große Teile der afrikanischen Bevölkerung lebt nicht in Städten und hat nicht den gleichen Zugang zu dieser Bildung. 60 Prozent der senegalesischen Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Ich will sie mit Medien wie Kinderbüchern, Comics und Animationen erreichen.