Kunstsammlung NRW

Vorliebe flauschig

Als Mike Kelley kam, hatten Pop und Minimal Art keine Chance mehr: Zwölf Jahre nach seinem frühen Tod würdigt eine große Retrospektive in Düsseldorf den wohl vielseitigsten Künstler seiner Generation

Von Tim Ackermann
19.03.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 224

„Ich war medienbeeinflusst, ich war Teil der TV-Generation, ich war Pop“

Tatsächlich ist die Pubertät wohl für niemanden einfach. Pubertierende Teenager sind launisch, rebellisch, verschlossen, können sich über Insiderwitze totlachen und sind ganz allgemein eine Zumutung für ihre Außenwelt. Auf der anderen Seite erleben die Jugendlichen selbst eine höllische Zeit, in der sich die Synapsen ihres Gehirns neu verschalten und Hormone in Wallung geraten. Zudem errichten sie ein eigenes, von ihren Eltern unabhängiges Selbstbild. Die Pubertät ähnelt einem großen Labyrinth mit zahlreichen Ausgängen, bei dem niemand vorhersagen kann, wo er oder sie am Ende hinausgelangen wird. Kelley offenbarte enorme Sensibilität für diese Situation der emotionalen Unsicherheit, als er 1999 in einem Vortrag auf sein eigenes 14-jähriges Ich zurückblickte: „Ich war medienbeeinflusst, ich war Teil der TV-Generation, ich war Pop. Ich fühlte mich nicht als Teil meiner Familie, ich fühlte mich nicht als Teil meines Landes; ich hatte kein Gefühl für Geschichte: Die Welt erschien mir als Medienfassade, als eine Fiktion, als ein Haufen Lügen. Das ist, glaube ich, was als sogenannter postmoderner Zustand bekannt geworden ist.“

Als Kelley in den späten Siebzigerjahren seine Karriere begann, konnte er als Vertreter einer skeptischeren Generation von Kunstschaffenden dem amerikanischen Pop keine glaubwürdigen Bilder mehr abringen. Genauso wenig gelang es ihm noch, eine Antihaltung zur Konsumgesellschaft ehrlich zu vertreten. So verharrte er in seinem postmodernen Zustand der Isolation und Offenheit, der auch die Pubertät kennzeichnet: Er griff sich Elemente der US-Kultur, die ihn persönlich faszinierten – Trash, Comic, Volkskunst, Proto-Punk und Noise-Rock, Pornografie oder auch laienhafte Highschool-Theateraufführungen –, zerstückelte diese Phänomene, vermischte sie mit Referenzen auf Kunstströmungen wie Agitprop, Dada oder Minimal Art und setzte all das zu etwas Neuem zusammen, das sich für Außenstehende jeder eindeutigen Definition entzog. Kelleys Werke und Ausstellungen ähneln mit ihrer kontrollierten Konfusion ebenfalls einem großen Labyrinth mit vielen Ausgängen. Man betritt dieses Gebäude auf eigene Gefahr und wird beim Durchschreiten normalerweise sehr gut unterhalten. Schlimm wäre es jedoch, wenn man am Ende versehentlich als Spießer herauskommt.

Kelley, so scheint es, war stets bemüht, einen weiten Bogen um all das zu machen, was im großbürgerlichen Verständnis zum „guten Geschmack“ zählt. Manche Klischees hat er sogar bis zur Peinlichkeit ausgereizt und diese Peinlichkeit umarmt. Hoch anrechnen muss man ihm, dass er sich dabei selbst der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Sein „Janitorial Banner“ von 1984 – ein als Standarte umgedeuteter Wischmopp – ist ein flacher Gag der umgedrehten Form, aber eben auch eine rührselige Geste, die seinem Vater gilt. Und in einem Textilbild aus dem Jahr 1987 beschreibt der Künstler sich sogar selbst als „Pants Shitter“, als „Hosenscheißer“. Diese drastische Übertreibung ist natürlich auch eine Strategie, damit das Publikum die Botschaft infrage stellt und den vermeintlichen Loser rehabilitiert.

Und doch macht Kelley keinen Hehl daraus, dass sein Startpunkt immer die Außenseiterposition ist: Als der Künstler Anfang der Neunziger von der Band Sonic Youth für die Gestaltung ihres Albums „Dirty“ angefragt wurde, wählte er die Fotoserie „Ahh … Youth!“ von 1991 aus. Auf das Cover gelangte das Foto eines orangenen Wollstrumpfs mit geknickten Insektenfühlern und im Inneren des Booklets war eine Reihe weiterer Stofftierporträts zu sehen. Die Kuschelobjekte mit ihrem zerzausten Fell und ihren verrutschten Augen schienen ähnlich seelengepeinigt, wie der pickelige Jugendliche, der sich zwischen sie gesellt hatte – eine alte Aufnahme des Künstlers selbst. „Ich habe mir einfach einen Witz mit dem Namen der Band erlaubt“, sagte Kelley, als man ihn 2007 in der Berliner Galerie auf die tieftraurige Parade ansprach. „Youth“ bedeutet Jugend – schon klar. Aber manchmal bleibt einem das Lachen dann auch im Halse stecken.

Service

Ausstellung

„Mike Kelley – Ghost and Spirit“,

Kunstsammlung NRW/K21, Düsseldorf,

23. März bis 8. September

www.kunstsammlung.de

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