Als vor 100 Jahren der Surrealismus entstand, wurde Belgien eines seiner Zentren. In Brüssel können jetzt viele vergessene Positionen wiederentdeckt werden
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03.04.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 225
Der von dem Experten Xavier Cannone kuratierte Parcours aus 260 Werken beleuchtet die weitverzweigten Befruchtungen auf hineingestellten Wänden und in Vitrinen voller Schriften, Fotos, Karten- und Schachspiele. Der Irrgarten ist nicht als eine der üblichen Ruhmeshallen konzipiert, sondern eine veritable Entdeckungsreise. Von den begnadeten Collagisten Max Servais und E. L. T. Mesens, der 1934 im Bozar die surrealistische Ausstellung „Minotaure“ organisierte, bis zu exzentrischen Randfiguren wie dem Zeichner Armand Simon, der Lautréamonts Kultbuch „Die Gesänge des Maldoror“ mit Sinn für delirierende Visionen illustriert hatte.
Über die Klassiker wie Magritte hinaus erstreckt sich die Zeitspanne über drei Generationen, die 75 Jahre lang gemeinsam ihre eigene Avantgarde-Vision geschmiedet haben. Dabei führte bereits in den frühen 1950er-Jahren eine Meinungsverschiedenheit zwischen Magritte und Nougé zu einer Spaltung. Obwohl der Niedergang der Bewegung 1969 nach Bretons Tod offiziell verkündet wurde, blieb sie in Belgien bestehen.
Besonders sehenswert sind die kaum bekannten Surrealistinnen, die ihren Platz behaupten. Auch wenn Breton immer betont hat, dass der Surrealismus Grenzen sprenge, blieben Frauen oft ausgeschlossen. Außer wenn es ums Provozieren des bürgerlichen Geschmacks mit weiblicher Nacktheit ging. Das Urteil von Simone de Beauvoir in ihrem philosophischen Werk „Das andere Geschlecht“ fiel deshalb vernichtend aus: „Im Surrealismus ist die Frau alles, nur nicht sie selbst.“ Entweder sei sie ein Sexualobjekt oder eine Muse. Inzwischen gilt, dass dieser Blick nicht die ganze Wahrheit ist. Denn Surrealisten traten für die Emanzipation jeglicher Couleur ein, und einige von ihnen unterstützten Künstlerinnen wie etwa Jane Graverol und Rachel Baes, beides Töchter von Malern.