Mit der Ausstellung „Eccentric – Ästhetik der Freiheit“ widmet sich die Pinakothek der Moderne den schrägen Typen und der schrillen Kunst
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04.11.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 233
Wie viel Geld für Bartpflegeprodukte der Maler Salvador Dalí zeit seines Lebens ausgab, lässt sich heute nicht mehr verlässlich ermitteln. Es dürfte aber ein hübsches Sümmchen gewesen sein. Denn schon als Mittdreißiger begann der Spanier, seinen besonderen Look zu kultivieren, bei dem die gewachsten Haarspitzen unter der markanten Nase wie die Antennen eines Insekts in die Höhe ragten. Der stocksteife Bart bildete übrigens einen lustigen Kontrapunkt zu den schlaffen Formen seiner Gemälde – all jenen zerfließenden Uhren und amorph hingegossenen Körpern, die er in vergleichbarer Akribie mit feinstem Pinsel behandelte. Und es ist genau dieser Gegensatz, der heute das populäre Bild von Dalí bestimmt: Bartmensch und Uhrenmaler. Der Surrealismus als Kunstform schien sich einfach im Alltag dieses Menschen fortzusetzen, der unter anderem sein Wohnhaus mit einem Riesenei auf dem Dach verzierte, bei Dinnerpartys schon mal das Essen in Schuhen statt auf Tellern servierte und sich zeitweilig sogar einen Ozelot als Haustier hielt. Wenn man es in einem Wort zusammenfassen möchte, war Dalí: exzentrisch.
„Eccentric – Ästhetik der Freiheit“ heißt eine Ausstellung, welche die Pinakothek der Moderne ab 25. Oktober den Paradiesvögeln innerhalb der künstlerischen Zunft widmet. Allerdings, so viel kann jetzt schon verraten werden, wird die Schau weder eine auf Vollständigkeit abzielende Aufstellung aller exzentrischen Künstlerinnen und Künstler noch eine klare Definition des Exzentrikbegriffs liefern. Vermutlich ist dies auch gar nicht möglich, denn außerhalb des gesellschaftlichen Zentrums fühlen sich traditionell sehr viele, sehr unterschiedlich agierende Kunstschaffende wohl.
Der lustvolle Verstoß gegen die als spießig empfundenen Normen der Mehrheit kann den Inhalt der produzierten Werke oder die Inszenierung der eigenen Künstlerpersönlichkeit umfassen, gelegentlich auch beides, wie im Beispiel Dalí. Auf jeden Fall sind die Grenzen der exzentrischen Selbst- und Fremdbezeichnung ausreichend schwammig. So kommt auch Bernhart Schwenk in seinem Beitrag zum begleitenden Katalog, publiziert im Hirmer Verlag, zu dem vorsichtigen Schluss, eine exzentrische Disposition könne möglicherweise jeder Künstlerin und jedem Künstler zu eigen sein. Dennoch musste selbstverständlich eine Namensliste für die Schau her. Diese Aufgabe bewältigte Schwenk, Sammlungsleiter und Kurator für die Kunst der Gegenwart in der Pinakothek, zusammen mit der freien Kuratorin Eva Karcher, der Ideengeberin des Projekts.
Wie kam nun die Auswahl der gezeigten Positionen zustande? Blättert man im Katalog durch die Parade der schrägen Typen, darf man vermuten: Es entscheidet sich doch vieles durch Bauchgefühl. Leichter lässt sich fast noch bestimmen, wer nicht hineinpasst. Wie etwa der Malerstar Gerhard Richter. Dessen ehemaliger Studienkamerad Franz Erhard Walther erzählte vor einigen Jahren der Süddeutschen Zeitung, Richter habe zu Hochschulzeiten pünktlich um 17 Uhr den Pinsel aus der Hand gelegt, um zum Abendessen nach Hause zu gehen. Mag diese Angewohnheit in Studentenkreisen der Sechzigerjahre kurios gewirkt haben, so disqualifiziert sie leider doch für den Münchner Ausstellungsfokus, weil sie einfach zu sehr nach stinknormalem Bürojob mieft. Ähnlich wohlgeordnet wirkt das Kunstdesign, das beispielsweise Olafur Eliasson in seiner effizienten Atelierfabrik mit zahlreichen Mitarbeitenden in unexzentrischer Ernsthaftigkeit fabriziert. Der dänische Künstler wäre daher in dieser Schau nicht gut aufgehoben – sein ehemaliger Schüler Julian Charrière wurde dagegen ausgewählt. Die Begründung dafür ist zwar im Katalog etwas rätselhaft, denn betont wird dort ausgerechnet die konsensorientierte Neigung des Schweizers, in seinen Arbeiten ständig den Klimawandel zu kommentieren. Doch immerhin hat Charrière auch schon mal mit einer Druckluftkanone eine Kokosnuss quer durch einen Berliner Park gefeuert – woraufhin die Polizei anrücken musste. Das macht ihm keiner so schnell nach.
Und damit das hier nicht falsch verstanden wird: Einige der nettesten Künstler sind Exzentriker. Jonathan Meese mag in seinen eindeutig grotesken Arbeiten des Öfteren mit Nazi-Symbolen arbeiten, in Interviews die „Diktatur der Kunst“ fordern oder in Performances hin und wieder den Hitlergruß zeigen. Privat ist der 54-Jährige, der meist im schwarzen Trainingsanzug und nicht selten mit seiner Mutter im Gespann erscheint, einer der reizendsten Menschen, die in der Kunstwelt unterwegs sind. Mit ähnlich entwaffnender Freundlichkeit verbreitet das Londoner Künstlerpaar Gilbert & George sein Konzept der „Kunst für alle“ in der Welt. Die beiden älteren Herren gelten als exzentrische Persönlichkeiten par excellence, weil sie als „Living Sculptures“ seit den Sechzigerjahren ausschließlich farblich aufeinander abgestimmte Tweedanzüge tragen und am liebsten jeden Abend im selben Restaurant essen. Ihre bunten Fotoarbeiten zitieren gelegentlich Schimpfwörter oder enthalten Mikroskopaufnahmen des eigenen Spermas. Das mag im TikTok-Zeitalter kaum noch als Provokation gelten. Im späten 20. Jahrhundert war es jedoch die radikale Strategie zweier queerer Künstler, um die gewalttätigen Anfeindungen der Spießbürger umzudrehen und als künstlerische Mittelfingergeste in die Museen zurückzuschicken. „We Are“ (1985) heißt nicht zufällig die Arbeit, die in München zu sehen ist.