Mit der Ausstellung „Eccentric – Ästhetik der Freiheit“ widmet sich die Pinakothek der Moderne den schrägen Typen und der schrillen Kunst
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04.11.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 233
Denn es geht, wie der Untertitel der Schau betont, um Freiheit. Auch wenn die Exzentrik keiner eindeutigen Ideologie folgt, so kämpft sie doch für die eigene Existenzberechtigung und wird schon dadurch politisch wirksam. Am besten wussten das wohl schon immer die Exzentrikerinnen: Von Pipilotti Rist wird das wunderbare Video „Ever Is Over All“ von 1997 gezeigt, in dem die Künstlerin eine Straße entlangstolziert und dabei eine Riesenblume schwingt, die in Wahrheit ein Metallstab ist. Mehrfach schlägt Rist mit ihrer Blume die Fenster parkender Autos ein. Ein herrlicher Akt der Normenübertretung und Selbstbestimmung, der im Video von einer vorbeilaufenden Frau in Polizeiuniform mit breitem Lächeln quittiert wird. So versöhnlich kann die Fantasie sein.
Die Realität ist jedoch oft unangenehmer, wie Sophia Süßmilch in diesem Frühjahr bei ihrer Ausstellung in Osnabrück erfahren musste: Im Rahmen einer Performance, die sich mit Themen wie Gebärfähigkeit und Fortpflanzungsverweigerung beschäftigte, ließ die Künstlerin nackte Frauen mit Meerschweinchenmasken im Gesicht auftreten, die im Chor darüber sinnierten, wie es wohl wäre, die eigenen Kinder zu verspeisen. Empört rief die örtliche CDU-Fraktion zum Boykott und zur Schließung der Schau auf, was die Lokalpolitiker wiederum zur wohlfeilen Zielscheibe des landesweiten Feuilletonspottes machte. Für die Künstlerin war die Sache allerdings wenig spaßig, sie erhielt Morddrohungen. Man muss also nicht gleich nach Amerika blicken, um festzustellen, dass rechtskonservative Kreise beim Thema Mutterschaft verlässlich durchgeknallt reagieren.
Süßmilch ist jetzt als freiheitsliebende Feministin in München vertreten mit ihrer Leinwandarbeit „A buceta e um cafézinho“ (2023). Und im Vergleich wirkt ihr Osnabrücker Auftritt, der ihr einige Exzentrik-Pluspunkte beschert hat, doch brisanter und auch zeitgemäßer als viele andere „Skandalkunst“, die von Männern aufgeboten wird: Klar musste jemand irgendwann die sexuell-abgründige Seite von Schneewittchens Zwergen-WG ansprechen – Paul McCarthy hat das 2010 mit seiner Skulpturenserie der „White Snow Dwarfs“ getan. Der 79-jährige Amerikaner kann sich zudem eines Wikipedia-Eintrags rühmen, in dem erwähnt wird, dass er sich vor einem halben Jahrhundert bei einer Performance eine Barbiepuppe in seinen Anus geschoben hat. Ein legitimer, wenn auch exzentrischer Akt der Konsumkritik, der in München nicht zu sehen ist. Fast schon bourgeois wirkten dagegen die Pornofotografien, in denen der Künstler Jeff Koons zusammen mit der Erotikdarstellerin Ilona Staller posierte. Die eher zahme Lithografie „Made in Heaven“ (1989) erzählt in der Ausstellung von dem Projekt, das zunächst in eine Ehe und bald darauf zu einer Trennung sowie einem Sorgerechtsstreit um den gemeinsamen Sohn führte. Diese tragische Episode wird gerne erwähnt, um Koons’ Stellenwert als Ausnahmeperson zu unterstreichen. Aber viel außergewöhnlicher ist eigentlich sein Faible, geschmacklosen Kitsch und Nippes im Großformat zu kopieren und wahnsinnig teuer zu verkaufen. Man merke: Exzentrik und Markterfolg müssen sich keineswegs ausschließen.
Manche Künstler spielen allerdings auch virtuos mit dem Markt: Der Italiener Maurizio Cattelan klebte 2019 bei einer Kunstmesse eine Banane an die Wand und verkaufte dieses Werk für 120 000 Dollar. Ähnlich absurd wirkt sein ausgestopftes Krokodil „Ego“ (2019), das im englischen Blenheim Palace hing und nun bald in der Pinakothek baumeln wird. Den Hang zum Subversiven teilt Cattelan mit dem 1997 verstorbenen Anarcho-Konzeptkünstler Martin Kippenberger, der 1983 in seinem Bilderzyklus „Alle wollten sie haben, doch keiner hat sie genommen“ den Verlierern ein Denkmal setzte. Sind diese sechs Malereien nun Bad Painting? Sind sie große Kunst? Was man definitiv sagen kann: Wie alle Werke der exzentrischen Kunst sind sie auf keinen Fall langweilig!
„Eccentric – Ästhetik der Freiheit“
in der Pinakothek der Moderne, München
25. Oktober bis 27. April 2025.