Interview mit Chemu Ng'ok

„Es war wie eine Achterbahnfahrt“

In den Bildwelten der kenianischen Künstlerin Chemu Ng’ok wird Unsichtbares sichtbar. Ein Gespräch über ihre Zeit nach der Universität, die Kraft der Gemeinschaft und bunte Regenschirme

Von Clara Zimmermann
16.12.2024

Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht, ich möchte Künstlerin werden?

In der High School hat mir Malerei besonders Spaß gemacht. Kunst war eines der Fächer, das mir über die Jahre viel Freude bereitet hat. Aber ich weiß nicht, ob ich damals schon wusste, dass ich Künstlerin werden will, oder ob ich einfach Kunst studieren wollte.

Hat Ihre Familie Ihre Entscheidung unterstützt?

Ja. Meine ältere Schwester hat Kunst studiert, also dufte ich auch Kunst studieren. Eine andere Schwester macht jetzt Dokumentarfilme. Ich komme aus einem sehr liberalen Haushalt. Nicht alle Eltern sind offen für die Kunst, denn da gibt es nicht immer eine Gehaltsgarantie. Es ist kein Job wie in einer Bank.

Sie sind für Ihr Studium von Kenia nach Südafrika gezogen? Was hat Sie dort geprägt?

Ich mag Südafrika als Ort sehr. An der Rhodes University konnte ich Kunst studieren und gleichzeitig Theaterkurse belegen. Es war nicht nur eine Kunstschule. Ich habe auch klassischen Gitarrenunterricht genommen. So konnte ich an der Universität die verschiedenen Künste erkunden. Es war eine kleine Stadt, mir gefiel, dass man überall herumlaufen konnte, und es war viel intimer als an einer größeren Universität.

Spielen Sie noch Gitarre?

Manchmal. Aber nicht so häufig, wie ich es gerne würde. Ich habe sieben Jahre lang gespielt. Ich wurde gut, aber dann habe ich beschlossen, mich mehr auf meine Malerei zu konzentrieren.

Chemu Ng'ok in der Galerie Presenhuber in Zürich
Chemu Ng'ok, „Dreaming/narratives“, 2024. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / Vienna © the artist/Photo: Stefan Altenburger Photography, Zürich

Haben Sie jemals daran gedacht, neben der Malerei noch in einem anderen Medium zu arbeiten?

In der Schule war ich ziemlich gut in Bildhauerei. Irgendwann wollte ich dann digitale Kunst und Malerei machen, aber ich habe mich einfach auf die Malerei gestürzt. Es war wie eine Achterbahnfahrt. Dabei wollte ich in meiner ersten Einzelausstellung eigentlich nur Zeichnungen zeigen. Aber dann habe ich doch Gemälde gemalt, und die Leute wollten Gemälde haben, und so wurde es immer mehr. Und dann habe ich es geliebt. Das war nicht beabsichtigt. Es war einfach eine organische Sache, die sich mit der Zeit entwickelt hat.

Was waren Ihre ersten beruflichen Schritte nach dem Studium?

Nach meinem Bachelorstudium hatte ich großes Glück. Ich bekam ein Vollstipendium für meinen Master. Sie haben alles bezahlt, das Ticket, die Versicherung, die medizinische Versorgung, die Lebenshaltungskosten. Ich hatte sogar ein Atelier. Gleichzeitig fing ich an, mit der Galerie Smac zu arbeiten. Außerdem nahm ich an einer Kunstmesse namens Turbine Art Fair in Johannesburg teil. Dort gab es die Ausstellung „Emerging Painters: The Graduate Show“, die wirklich schön ist, weil man dort ein Gemälde verkaufen kann.

Wie ging es dann weiter?

Nach meinem Masterabschluss hatte ich einen Einzelstand auf der Kunstmesse Joburg Art Fair. Und dann kam noch eine Ausstellung bei der New Museum Triennial in New York. Ich hatte großes Glück. Aber es gibt einen Zeitpunkt, an dem man die Universität verlässt und wieder nach Hause kommt, und dann fühlt man sich sehr einsam. Denn an der Universität hat man Gleichaltrige, man hat eine Art Unterstützungssystem. Aber zum Glück waren meine Freunde und ich alle auf WhatsApp, sodass wir in Kontakt geblieben sind. Eine andere Sache, die mir geholfen hat, war, dass sich zwei Sammler bei mir meldeten und Gemälde kaufen wollten, sodass ich an etwas arbeiten konnte. Später habe ich mich beim Africa Center beworben und wurde in die Fountainhead Residency aufgenommen. Ich war in Miami und lernte dort viele Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt kennen. Ich habe auch viele interessante Sammlerinnen und Sammler getroffen. Ich denke, dass man als Künstlerin oder Künstler, wenn man die Universität verlässt, erstens immer weiterarbeiten muss. Und zweitens muss man sich aktiv in das Geschehen einbringen. Sei es durch ein Stipendium oder die Bewerbung um ein Stipendium, sei es durch den Besuch von Vernissagen oder auch nur ein einfaches Networking.

Chemu Ng'ok in der Galerie Presenhuber in Zürich
Chemu Ng'ok, „Echoes“, 2024. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich / Vienna © the artist/Photo: Stefan Altenburger Photography, Zürich

Nach der Universität sind Sie zurück nach Nairobi gezogen, wo Sie jetzt Ihr Studio haben. Wie gehen Sie bei der täglichen Arbeit vor?

Bevor ich mit einem Bild anfange, bereite ich die Leinwand zum Aufspannen vor. Dann besorge ich den Rahmen, grundiere ich die Oberfläche. Und wenn dann alles fertig ist, fange ich an, in einem Buch zu skizzieren, oder ich mache ein paar Zeichnungen von dem, was ich malen möchte. Ich bereite die verschiedenen Farben vor. Es hängt davon ab, ob ich Bilder dabeihabe, oder ob ich einfach anfange, die Formen oder Figuren direkt auf die Leinwand zu zeichnen, und dann die Idee von dort aus weiterzuentwickeln. Es gibt außerdem eine Menge Verwaltungsarbeit, das Beantworten von E-Mails, ein Zoom-Anruf oder ein Meeting. Es gibt einen administrativen Teil und dann gibt es einen Studioteil. Manchmal gibt es auch einen logistischen Teil, wenn ich Arbeiten für eine Sendung zusammenpacken muss. Es ist sehr wichtig, kontinuierlich zu arbeiten. Es muss nicht das Beste sein. Man sollte nicht nach Perfektion streben, aber die Beständigkeit ist wichtig. Sei es in der Praxis oder im Gespräch mit Leuten und auch im Kontakt mit Leuten von der Universität.

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