In den Bildwelten der kenianischen Künstlerin Chemu Ng’ok wird Unsichtbares sichtbar. Ein Gespräch über ihre Zeit nach der Universität, die Kraft der Gemeinschaft und bunte Regenschirme
ShareWenn ich an ein Echo denke, denke ich an eine Nachahmung von Klang, eine Übertragung oder eine Spur. Oder ein Gefühl. Auch die Idee der Wiederholung von Klang, der sich durch den Raum bewegt, hat mich inspiriert. Klänge, die sich in Gemälde übersetzen. Ich habe auch darüber nachgedacht, dass wir zwischen einer physischen und einer psychischen Welt existieren. In dem Gemälde „Echoes“ gibt es zum Beispiel viele Figuren in unterschiedlichen Farben. Sie stehen für verschiedene Menschen, zum Beispiel verschiedene Generationen, verschiedene Ideen, verschiedene Perspektiven. Ich habe dieses Bild gemalt, als ich einen Monat lang auf Lamu gelebt habe (Anm. d. Red.: Im Zuge einer Künstlerresidenz verbrachte Chemu Ng’ok im Sommer 2024 einen Monat auf der kenianischen Insel Lamu). Ich arbeitete im Haus, aber ich konnte die Menschen draußen hören, wie sie sich unterhielten, Kinder lachten, ich hörte den Ruf zum Gebet. All diese verschiedenen Menschen mit ihren Gesten sind um dich herum, aber du kannst sie nicht sehen.
Genau das wollte ich in diesem Gemälde festhalten. Die Idee eines Echos wurde zu einem sehr fruchtbaren Boden, denn ich begann, eine Person innerhalb eines bestimmten Raums oder einer Gemeinschaft zu betrachten. Wie jede Person in dieser Gemeinschaft die andere erdet. Es war ein interessantes Experiment, das Unsichtbare und Ungreifbare zu betrachten. Etwas, das man nicht anfassen kann. Das ist es, was mir an der Malerei wirklich Spaß macht. Dass ich versuchen kann, Dinge zu malen, die man nicht greifen kann. Es ist wie ein Grenzbereich, denn es gibt all diese verschiedenen Dinge, die man hören, fühlen und sehen, aber nicht anfassen kann.
Der Regenschirm hat verschiedene Bedeutungen. Als ich zum Beispiel mit der Kuratorin Kami Gahiga sprach, sagte sie, er erinnere sie an die Regenschirme in Ghana. Diese werden dort bei wichtigen königlichen Zeremonien verwendet. Darauf habe ich mich bezogen. Aber gleichzeitig ist der Regenschirm für mich auch eine Form des Schutzes. Wenn die Sonne zu heiß ist, öffnet man den Schirm und setzt sich darunter. Er wird zu einem gemeinschaftlichen Objekt. Ich mag Zweideutigkeit in der Malerei sehr. Ich liebe es, wie sie ein Werkzeug sein kann, um die eigene Vorstellungskraft durch das Betrachten zu erforschen. Auch in Bezug auf den Farbauftrag. Dick, dünn oder transparent. In meinem Gemälde „Vortex“ gibt es zum Beispiel leere Stellen auf der Leinwand, und dann gibt es Stellen, die gefüllt sind. Es gibt also ein Wechselspiel zwischen dem Vordergrund und der Umgebung, zwischen Leerstellen und Räumen.
Es ist immer das Konzept, das die Ausstellung bestimmt. Es gab zum Beispiel eine Zeit, in der ich mich mit der Idee der „Suche nach Gerechtigkeit“ beschäftigt habe, auch eine immaterielle Sache. Sie ist real, aber wie entscheidet man, was Gerechtigkeit ist, und wo und in welcher Institution kann man sie finden? In diesem Moment dachte ich, dass das Gericht die richtige Institution ist, um über diese Gerechtigkeit zu verhandeln, egal ob es sich um den Staatsanwalt oder den Angeklagten handelt. Die Anwälte werden dann zu den Charakteren innerhalb dieses Werks. Jedes Werk ist mit einer Idee verbunden, und sobald die Idee steht, kommen die Figuren in das Werk. Sobald ich also ein Konzept habe, baue ich eine Welt um diese Idee herum auf, und das bestimmt dann die Farben und die Figuren. Sie bestimmt die Beziehungen, die zwischen den Figuren bestehen.
Als ich das Bild „Guiding/stories“ gemalt habe, erinnerte es mich an einen Maskenball mit traditioneller Kleidung. Obwohl es moderner wirkt, hat es auch etwas Antikes an sich. Die Figur tritt in den Hintergrund, und gleichzeitig hilft das Gelb, sie hervorzuheben. Es gibt eine innere Welt und eine äußere Welt. Befindet sich die Figur innerhalb eines Fensters oder ist sie draußen. Steht jemand hinter ihr? Diese Spannung gefällt mir sehr. Als ich den Hintergrund malte und all diese Linien zog, dachte ich darüber nach, dass es sich dabei um eine Art Coding oder Übersetzung handelt, die mit der Zeit verloren gegangen ist. In diesem Gemälde kommen viele Elemente zum Vorschein. Die Person ist allein, aber gleichzeitig nicht allein, denn im Hintergrund sind kleine Figuren zu sehen. Es spielt immer noch mit der Idee des Kollektivs und des Individuums. Es ist sehr subtil. Ist diese Person von Coding umgeben oder ist es eine Tapete? Mir gefällt diese Welt wirklich sehr – wie soll ich es sagen – sie ist ohne Ende.
Chemu Ng’ok – „Echoes“
Galerie Eva Presenhuber, Zürich
bis 25. Januar 2025