In ihren Porträts fiktiver Menschen schafft die Malerin Lynette Yiadom-Boakye eine aus der Zeit gefallene Welt, die dennoch berührend persönlich auf die Fragen der Gegenwart antwortet
Von
11.10.2021
/
Erschienen in
Weltkunst Nr. 189
Ähnlich verhält es sich mit den Repräsentationen von schwarzer Männlichkeit und heteronormativer Romantik. Sie zerfallen. Fast nie tauchen bei Yiadom-Boakye Männer und Frauen auf demselben Gemälde auf. Sie existieren getrennt voneinander, blicken sich nur von Bild zu Bild an. Als Glenn Ligon 2015 bei einem Talk zu Yiadom-Boakyes Ausstellung im Haus der Kunst von einer homoerotisch konnotierten Szene im Wald schwärmt, lacht sie und antwortet ihm: „Zwei Männer in der Wildnis, die sich die Tennissocken hochziehen, das ist doch das, was wir alle wollen. Wenn das ein Mann und eine Frau wären, hätte das etwas Schmutziges, oder?“ Yiadom-Boakye, die auch von den Bildern des schwarzen Fotografen Alvin Baltrop inspiriert ist, der in den 1970er-Jahren an den Piers in Manhattan die schwule Cruising-Szene fotografierte, lässt viele ihrer Männerfiguren extrem sexy, mit einer verwegenen Ausstrahlung auftreten, als Außenseiter, Poètes maudits, gefährlich wie Genets Matrose Querelle de Brest. Das homosexuelle Begehren ist ein subversives Mittel, um die Grenzen zwischen Hautfarben und Klassen zu überwinden. Zugleich offenbaren Yiadom-Boakyes Figuren eine unglaubliche Verletzlichkeit und Sehnsucht nach Nähe und Gleichheit. Wichtiger als die stereotypische, romantische Mann-Frau-Beziehung ist Freundschaft oder Kameradschaft – eine erotische, politische, spirituelle Form der Gleichheit, die erregend und zugleich ganz selbstverständlich erscheint.
Sie sei selten offen gefragt worden, erzählt Yiadom-Boakye dem Künstler Glenn Ligon, warum die Figuren auf ihren Bildern alle schwarz sind. Sie selbst habe sich früher in den Museen auch nicht gefragt, warum die Menschen auf den Gemälden alle weiß seien, sondern sei fasziniert von der Malerei gewesen. Doch wenn jemand das wissen wolle, würde sie antworten: weil es sich natürlich anfühlt. Es wäre doch wohl merkwürdig, wenn alle ihrer Figuren weiß wären oder gemischt. Das sähe dann aus wie eine multikulturelle Benetton-Reklame.
Einfach unter sich zu sein, Frauen unter Frauen, Männer unter Männern, Schwarze unter Schwarzen, in einer Gesellschaft zu sein, in der es keinen „anderen“ gibt, ist kein Akt der Abgrenzung, sondern der Ausdruck von Vereinigung und Ganzheit. „Ich bin ganz und gar nicht die ,andere‘ in meinem Leben“, sagt Yiadom-Boakye im Interview mit Antwaun Sargent. „Wenn wir in diesen Bahnen denken würden, wäre die ,andere‘ für mich weiß. Nie haben wir die Freiheit, irgendetwas dazwischen zu sein. Entweder bist du Göttin oder Sklavin. Doch die meisten von uns sind weder das eine noch das andere. Dieses Dazwischensein war noch nie eine akzeptierte Vorstellung von Protest, auch kein Grund zum Feiern. Da gibt es noch so viel zum Nachdenken.“
In Zeiten, in denen es auch im globalen Kunstbetrieb um Identitätskämpfe und die Notwendigkeit geht, moralisch auf der „richtigen“ Seite zu stehen, unterläuft Lynette Yiadom-Boakyes Malerei idealisierte Vorstellungen schwarzen Lebens: „Es geht weniger darum, irgendjemanden in diesen Kanon hineinzubekommen, als darum, zu sagen, dass wir schon immer hier waren, immer existiert haben, unabhängig waren, vor und nach unserer Entdeckung und in keiner Weise dadurch definiert werden, wer uns ansieht.“ Sie fordert komplexere, ambivalentere Ideen von Identität, das Aushalten von Widersprüchen. Die poetische Natur ihrer Malerei ist eine politische. Sie verweigert sich gleichermaßen der Helden- und Opferrolle. Und einem Kunstbetrieb, der seinen systemischen Rassismus zwar eingesteht, aber den weißen Kanon einfach demografisch mit schwarzen Positionen auffüllen möchte, um so schnell wie möglich wieder besser dazustehen.
„Lynette Yiadom-Boakye – Fly in League with the Night“
Mudam (Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean), Luxemburg
1. April 2022 – 5. September 2022
_______________
Tate Britain, London
24. November 2022 – 26. Februar 2023