Ein Bild von Lucio Fontana wird von der das Werk verwaltenden Stiftung für gefälscht erklärt. Und nichts kann sie umstimmen, trotz überwältigender Indizien für die Echtheit des Werks. Wir sprachen mit zwei mit dem Fall Vertrauten
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25.02.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 196
Seit Jahren beschäftigt die Anwältin Dr. Mareile Büscher und den investigativ tätigen Kunsthistoriker Jan Geschke ein rotes Schnittbild von Fontana. Unermüdlich sind sie Spuren zu diesem Bild nachgegangen, trugen sie Fakten zusammen.
Wann hörten Sie das erste Mal von dem Fall?
Mareile Büscher Im Frühling 2016. Ein roter Fontana mit dem poetischen Titel „Il telefono squilla, gli uccelletti cantano“ („Das Telefon schrillt, die Vöglein singen“), seit 1969 im Besitz einer Münchner Familie, sollte 2014 bei Sotheby’s versteigert werden. Sotheby’s hatte keinen Zweifel an der Echtheit des Bildes. Da es nicht im Werkverzeichnis gelistet sei, müsse man es aber der Fontana-Stiftung in Mailand vorlegen. Auf die Risiken einer solchen Begutachtung hat Sotheby’s die Eigentümer nic ht hingewiesen. Vielmehr hieß es, das Bild komme „auf jeden Fall“ nach Deutschland zurück. Die Begutachtung fand im Oktober 2014 in Mailand statt. Danach hörten die Eigentümer erst einmal über viele Monate nichts. Auf Nachfrage wurden sie von Sotheby’s immer wieder vertröstet, die Fontana-Stiftung „grüble“ noch. Erst im Juli 2015 – ein Jahr nach Einlieferung – hat das Auktionshaus den Eigentümern dann offenbart: Die Fondazione behauptet, das Bild sei eine Fälschung, und hat es beschlagnahmen lassen. Sotheby’s wusste – wie wir später erfahren haben – bereits seit November 2014 hiervon. Zur gleichen Zeit hatten wir mit einem ähnlichen Fall zu tun. Dort ging es um den Fontana aus der Sammlung von Frieder Burda. Auch der wurde – als reine Formsache – nach Mailand geschickt, um ihn ins Werkverzeichnis aufnehmen zu lassen. Und auch ihn erklärte die Fontana-Stiftung für gefälscht und ließ ihn beschlagnahmen. Diese Synchronizität hat mich gereizt, der Sache auf den Grund zu gehen.
Jan Hendrik Geschke Mich hat am 27. März 2017 ein Freund aus München angerufen: „Du, die wollen den Fontana aus dem Treppenhaus vernichten, der soll eine Fälschung sein. Kannst du uns helfen?“
Dem Bild drohte wegen des Fälschungsvorwurfs die Vernichtung. Wie gingen Sie vor, um es freizukämpfen?
Mareile Büscher Ich habe mit Kollegen in Mailand kooperiert, um die rechtswidrige Beschlagnahme des Bildes aufheben zu lassen. Denn es war offensichtlich, dass die Eigentümer an der behaupteten Fälschung nicht beteiligt gewesen sein konnten. Der Vater der Eigentümer hat das Bild 1969 von einer hoch angesehenen Galerie erworben, mit Echtheitszertifikat des Galeristen. Die Fondazione wusste das – dennoch hat sie das Bild den Carabinieri übergeben, damit diese es vernichten. Natürlich freuten sich die Eigentümer, als im Frühjahr 2017 die Beschlagnahme durch die italienische Staatsanwaltschaft aufgehoben wurde – bis sie die riesigen blauen Fälschungsvermerke auf der Rückseite sahen.
Was passierte, nachdem das Bild aus Italien zurückkam?
Mareile Büscher Wir haben das Bild dem ehemaligen Chefrestaurator des Städel Museums, Peter Waldeis, vorgestellt. Er entnahm eine Farbprobe, die wir durch zwei unabhängige Labore analysieren ließen. Außerdem haben wir einen Schriftsachverständigen beauftragt, Signatur und Schrift auf Echtheit zu prüfen.
Zu welchem Ergebnis sind die Gutachter gekommen?
Mareile Büscher Das Forensische Labor Schumacher hat das Bild untersucht und stuft die Signatur mit ihrem „zügigen und natürlichen Bewegungsablauf“ mit hoher Wahrscheinlichkeit als echt ein. Die Untersuchungen der Farbprobe durch die Labore von Prof. Jägers und Prof. Krekel ergaben, dass es sich um das Pigment „Red 3“ und beim verwendeten Bindemittel um Polyvinylacetat handelt. Genau diese Materialien hat Dr. Pia Gottschaller in ihrer Monografie „Lucio Fontana: The Artist’s Materials“ auch bei anderen roten Schlitzbildern nachgewiesen. Nach Einschätzung von Prof. Krekel ist es nahezu „unmöglich“, diese Farbe „zufällig zu kaufen und für eine Nachahmung eines Fontana-Gemäldes“ zu verwenden.
Sie, Herr Geschke, hatten in der Zwischenzeit eine andere Spur aufgenommen und erst mal Dokumente gesichtet.
Jan Hendrik Geschke Ja, es waren diverse Originalbriefe der Galerie Flori in Florenz erhalten, die das Bild 1969 an den Vater meines Freundes verkauft hatte. Das 1960er-Jahre-Galerielogo, die schöne Schreibmaschinentypo – so etwas ist praktisch kaum zu fälschen, das sprach für die Echtheit auch des Werkes selbst. Dann identifizierte ich das Münchner Bild anhand des ersten Fontana-Werkverzeichnisses von 1974 als 64 T 104, also Taglio/Schnittbild 104 aus dem Jahr 1964. Doch warum sollte jemand ein echtes Bild für falsch erklären? Kursierte da womöglich ein falsches Bild im Kunstmarkt als echt?
Sie sind dann schnell auf die vermutete Dublette gestoßen.
Jan Hendrik Geschke Gleich am nächsten Tag entdeckte ich im Internet einen Kandidaten. Knallfarbiger als der subtil patinierte Münchner Fontana, aber ansonsten identisch. Ich bekundete Kaufinteresse und bat die Galerie Cardi in Mailand um ein Foto der Rückseite. Übrigens verbietet die Stiftung Eigentümern ebendies, man fragt sich, warum. Netterweise schickte mir dann Edoardo, der Geschäftsführer der Galerie, ein Foto der Rückseite plus Info. Und siehe da: Es handelte sich um 64 T 104, für 2 Millionen Pfund in der Londoner Filiale zu erwerben. Als ich das Foto der Rückseite sah, habe ich laut gelacht. Es war eine fast identische Kopie des Bildes meines Freundes, aber nur der oberen Hälfte.
Was war mit dem unteren Teil? (Anmerkung d. Red.: Wir haben diverse hochauflösende Aufnahmen des Londoner Bildes gesehen, können hier allerdings auf nur ein Detail der Rückseite zeigen.)
Jan Hendrik Geschke Es fehlte der singuläre poetische oder banale Satz, mit dem Lucio Fontana ab Anfang der 1960er-Jahre die Rückseite eines jeden Bildes versah. Stattdessen stand da: „Il quadro è authentico. L. Fontana, Comabbio, 6-4-68“. Der Künstler krakelt auf sein eigenes Bild: „Dieses Bild ist echt“. Mit einem einfachen Bleistift. Und das vier Jahre nach der Herstellung.
Hat der Schriftsachverständige sich auch zu dem Londoner Bild geäußert?
Mareile Büscher Ja, er fand „erhebliche Störungen in der Schreibdynamik“ und hält das Londoner Bild für eine „langsam vollzogene Nachahmungsfälschung“ des Münchner Bildes.
Wie erklärt denn die Fontana-Stiftung die deutlich sichtbare zweifarbige Signatur auf dem Cardi-Bild?
Mareile Büscher Sie hält es allen Ernstes für plausibel, dass ein Fälscher die zunächst sehr dünne Schrift auf dem, was die Stiftung für ein Original hält, mit dickerem Stift nachgezogen habe, um sie so besser auf eine Leinwand projizieren und kopieren zu können.