Ein Bild von Lucio Fontana wird von der das Werk verwaltenden Stiftung für gefälscht erklärt. Und nichts kann sie umstimmen, trotz überwältigender Indizien für die Echtheit des Werks. Wir sprachen mit zwei mit dem Fall Vertrauten
Von
25.02.2022
/
Erschienen in
WELTKUNST Nr. 196
Das Londoner Bild wurde 2015 von der Galerie Cardi bei Christie’s ersteigert. Haben Sie Christie’s mit Ihrem Fälschungsverdacht konfrontiert?
Mareile Büscher Ja, denn es wäre nicht das erste Mal, dass gefälschte Bilder versteigert und solche Verkäufe im Nachhinein rückabgewickelt werden. Aber letztlich schlägt sich Christie’s auf die Seite der Fontana-Stiftung.
Wieso ist das Londoner Bild für das Münchner Bild relevant?
Mareile Büscher Die Signaturen beider Bilder im oberen Bereich der Leinwand sind fast vollständig deckungsgleich. Es gibt aber keine deckungsgleichen Signaturen eines Künstlers. Deshalb kann nur eines der beiden Bilder echt sein.
Welche Rolle spielen bei Fontana generell die Rückseiten der Bilder, wie verlief der Herstellungsprozess seiner Bilder?
Jan Hendrik Geschke Fontana ließ seine Leinwände von einem Assistenten in Paketen zu acht Stück bei Crespi in der via Brera besorgen, aufziehen und grundieren, ehe er sich ans Einfärben und Schlitzen mit einem Teppichmesser Marke Stanley machte. Die Cuts wurden dann von Hand aufgebogen und mit schwarzer Gaze hinterklebt, bei noch feuchter Farbe. Es folgte ein doppelter Kopierschutz von Hand hintendrauf. Nämlich der immer gleiche Serientitel und die Signatur plus etwas krude Alltagspoesie à la „Mit Theresita über die Piazza marschiert“. Ein geniales Konzept zur Sicherung vor Fälschungen. Es funktioniert noch heute
Aber die Rückseiten verraten noch mehr …
Jan Hendrik Geschke Allerdings. Erstens, und das hat so bisher niemand klar gesagt: Alle über 1500 Tagli haben ein typisches Farbnasenmuster auf Rückseite und Rahmen! Das Schlitzohr Fontana hatte da eine Serienfertigung. Jede Leinwand bekam ihren Farbauftrag auf genau die gleiche Weise. Wurde dabei einmal auf den Kopf gedreht. Und dann zum Trocknen in den Garten gestellt, da gibt es schöne Fotos. Deshalb gibt es auf jedem Taglio, und ich kenne jetzt Hunderte, Farbnasen auf zwei gegenüberliegenden Seiten. Ohne Ausnahme. Bis auf das Bild von Cardi, da herrscht rundrum ein Gemulche und Gematsche, mit Abrissspuren. Der Cardi-Fontana fällt als Einziger wortwörtlich aus dem Rahmen. Was, zu meiner Verwunderung, keinem der handelnden Akteure bisher aufgefallen war.
Haben Sie den Cardi-Fontana im Original gesehen?
Jan Hendrik Geschke Ja, ich habe mich mit Nicolo Cardi in London getroffen und das Bild vor Ort inspiziert. Interessanterweise war die Rahmenrückseite inzwischen durch einen zweiten Zusatzrahmen verdeckt. Aber das unsichere Gekrakel des oberen Textes und die grande confusione des vorgeblichen Echtheitstextes waren klar erkennbar. Ich war dann beim Landeskriminalamt in Berlin, das für Kunstdelikte zuständig ist. Die Beamten da wurden aber von der Staatsanwaltschaft ausgebremst. Das sei alles außerhalb der Landesgrenzen, das LKA also nicht zuständig.
Galeriestempel oder sonstige Artefakte gibt es auf dem Londoner Bild aber nicht zu sehen?
Jan Hendrik Geschke Nein, nichts. Apropos, und diesen Hinweis verdanke ich dem damaligen Assistenten von Fontana, auf den echten Werken finden sich kleine Kiesel vom Trocknen unterm Baum im Corso Monforte in der Farbe auf den Rahmen! Wir hatten uns die ganze Zeit gefragt, was das für kleine Teile sind. Beim Sichten von Aufnahmen Fontanas mit den Bildern am Baum kam ich darauf. Wir beschafften uns Kiesel von dort und haben das mit dem Münchner Bild verglichen, die sind identisch. Sie finden sich auch auf 64 T 134, versteigert bei Phillips. Und auf 64/65 T 47, versteigert bei Kornfeld in Bern. Das ist Neuland für die Fontana-Forschung. Und dann erzählen die Rückseiten oft komplette Geschichten. Auf dem Bild meines Freundes konnte ich einen Galeriestempel der Mailänder Galeristin Zita Vismara mit einer von ihr selbst handschriftlich mit rotem Kugelschreiber eingetragenen Inventarnummer 214 identifizieren. Zita Vismara hatte ihre Galerie 1965 in der Via Brera mit einer Fontana-Ausstellung eröffnet. Der Künstler selbst und der mit ihm befreundete Enrico Crispolti, der Gutachter der Fondazione, waren damals anwesend. Fontana hat nachweislich mit Zita Vismara Bilder getauscht.
Mit dem Vismara-Stempel war die erste Provenienz des 1969 nach München verkauften Bildes gesichert. Und die zweite?
Jan Hendrik Geschke Das ist der Florentiner Galerist Serafino Flori, dessen Schild und hausinterne Anmerkungen der Münchner Fontana ebenfalls trägt. Er begründete 1967 seine Galerie in der Via Martelli 4 mit einer Fontana-Ausstellung, bei der er auch das rote Schlitzbild 64 T 104 ausstellte. So schreibt er zumindest 1970. Übrigens ebenfalls im Beisein von Crispolti bei der Eröffnung, was hinlänglich bezeugt ist. Der jedoch geht in seinem Gutachten für die Fontana-Stiftung mit keinem Wort auf diese Galeriestempel von Vismara und Flori ein – obwohl er Bücher für beide verfasst hat und bei beiden Vernissagen anwesend war! Die Provenienz des Münchner Bildes ist hierdurch jedenfalls vollständig und datierbar belegt. Die Rückseite des Londoner Bildes offenbart dagegen gar nichts.
Wird denn für dieses Bild von Christie’s beziehungsweise der Galerie Cardi überhaupt keine Provenienz angegeben?
Jan Hendrik Geschke Das Bild soll ein Dachbodenfund aus Brescia sein, kam dann in die Sammlung von „Narciso Bonato“ in Mailand, dann über dessen „Galleria Mirabello“ an den Verkäufer. Tatsächlich gab es Anfang der 1950er-Jahre eine Galleria Mirabello an der Piazza Carlo Mirabello 2, um die Ecke von Fontanas Atelier, die haben ein paar unbedeutendere Künstler gehandelt. Dann war die Galerie weg. Und plötzlich erblüht da ein Epizentrum der Avantgarde – von dem es keinerlei Spur im realen Leben, zum Beispiel in lokalen Zeitungen oder der internationalen Kunstpresse gibt? In den Zuschreibungen der Auktionshäuser firmiert dieses Epizentrum als „Narciso Bonato“, „Studio Bonato“, „Galleria Bonato“ und „Galleria Mirabello“. Christie’s führt Narciso Bonato in der Provenienz des Cardi-Fontana gleich doppelt, als „Mailänder Privatsammlung“ und als „Galleria Mirabello“. Ich bin dieser „Galerie“ nachgegangen: Der einzig existierende Narciso Bonato war ein traditioneller Töpfer in Bassano del Grappa, 90 Kilometer östlich von Mailand. Der war zur fraglichen Zeit Mitte 70. Und handelt auf einmal im großen Stil mit modernster Kunst? 22 Fontanas sollen durch seine Hände gegangen sein, darunter der von Cardi. Der angebliche Vorbesitzer des Cardi-Fontana besaß laut Werkverzeichnis drei Fontanas – die er alle bei „Narciso“ gekauft haben soll! Wir haben mit Galeristen gesprochen, die laut den Werkverzeichnissen der Fondazione mit Narciso zu tun gehabt haben müssen. Weder die Chefin von De’ Foscherari in Bologna erinnert sich an „Narciso“ noch Hans Mayer in Düsseldorf. Beide haben ein gutes Gedächtnis, und beide sagen, der Eintrag im Werkverzeichnis der Stiftung, demzufolge sie Werke an „Narciso“ verkauft hätten, stimme nicht.
Sie haben auch Fontanas früheren Assistenten befragt.
Jan Hendrik Geschke Hisachika Takahashi, selbst Künstler, war ab 1964 für mehrere Jahre Assistent Fontanas und ist dann von der Bildfläche verschwunden. Ich habe ihn über eine Notiz in einer Kleinstadtzeitung aus Vermont gefunden. Der Mann ist über 80, aber klar im Kopf, und lebt auf einer Hühnerfarm ohne Internet an der kanadischen Grenze. Wir brachten einen Nachbarn dazu, ihn abzuholen, damit er sich auf dessen Rechner die Vorder- und Rückseiten des Münchner und Londoner Bildes ansehen konnte. Takahashi gab uns ein mündliches und schriftliches Gutachten. Die Behandlung der schwarzen Gaze auf der Rückseite des Cardi-Fontana entspricht nach seiner intimen Kenntnis nicht Fontanas üblichem Prozess: zu zerfasert, fast gerissen wirkend, statt sauber geschnitten. „The cuts look wrong!“, lautete sein Urteil. „The black tape is wrong, it is ripped and frayed, not cleanly cut like always. The paint on the frame is strange, I never saw a mushy one like this.“ Während er zum Münchner Taglio schrieb: „(the tape) It is set as Mr Fontana used to do. (the paint) It is right: drops of paint on the stretcher (running paint noses).“ Hier fällt die einzige Person, die an der Entstehung dieser Werke intensiv beteiligt war, ein eindeutiges Urteil.