Rätsel um ein Fontana-Bild

Der Fall Fontana

Ein Bild von Lucio Fontana wird von der das Werk verwaltenden Stiftung für gefälscht erklärt. Und nichts kann sie umstimmen, trotz überwältigender Indizien für die Echtheit des Werks. Wir sprachen mit zwei mit dem Fall Vertrauten

Von Matthias Ehlert & Ralph Gerstenberg
25.02.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 196

Wie beurteilen Sie angesichts dessen die Begutachtungspraxis der Fontana-Stiftung?

Jan Hendrik Geschke Deren ganze Haltung steht ja bereits, vermutlich von fremder Hand, auf dem Cardi-Fontana: „Das Bild ist echt.“ Ergänzt um das handschriftliche, flüchtig auf einen Zettel notierte Gutachten von Crispolti. Das ist schon fast tragikomisch, wie die Fondazione ungeachtet aller Fakten stur bei ihrer Behauptung bleibt.

Mareile Büscher Jede seriöse Kunstexpertise muss sich an bestimmten Mindestanforderungen messen lassen: vergleichende Stilkritik, Provenienzrecherche und materialtechnische Untersuchungen. Die Fontana-Stiftung hat sich bei der Begutachtung des Münchener Bildes nur auf den damals 81-jährigen Prof. Enrico Crispolti verlassen. Dieser kam – ohne materialtechnische Untersuchungen – zu dem Ergebnis: „Dies ist eine offensichtliche Fälschung des Werkes von Lucio Fontana, zudem eine Serienproduktion, aufgrund der vertikalen Komposition und der sogar wörtlichen Entsprechung der Inschriften des Titels, der ganz offensichtlich gefälscht ist, genau wie Unterschrift und Titel.“ Dieser kryptische Dreizeiler, aus dem nicht mal hervorgeht, auf welches Bild er sich bezieht, ist für die Stiftung Grundlage genug, um das Werk mit dem Ziel der Vernichtung beschlagnahmen zu lassen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Professor Crispolti von einer seriellen Produktion spricht?

Mareile Büscher Die Fontana-Stiftung hat dieses Rätsel vor Gericht gelüftet. Es gab offenbar eine ganze Serie von Fälschungen, die den Untertitel „Das Telefon schrillt, die Vöglein singen“ tragen, die zu Recht aus dem Verkehr gezogen wurden. Allerdings unterscheidet sich das Münchner Bild grundlegend von den Rückseiten all dieser sogenannten Uccelletti-Fälschungen. Die wiederum weisen klare Parallelen zur Rückseite des Londoner Bildes auf – matschiger Farbauftrag auf dem Holzrahmen, grobe Schriftführung, keinerlei Galeriestempel. Die Fontana-Stiftung hat im Prozess einen konkreten Verdacht geäußert, wer die Uccelletti-Serie gefälscht haben könnte. Der Fälscher stammte womöglich aus dem Familienkreis Fontanas und hatte deshalb Zugang zu dessen Atelier.

Lucio Fontana Fälschung
Auf dem Münchner Bild zwei Stempel der Galerie Zita Vismaras mit händischer Inventarnummer zu finden. Das Gutachten der Fontana-Stiftung ignoriert diese Fakten. © Galleria Vismara,

Ist das Münchner Fontana-Bild ein Einzelfall?

Mareile Büscher Leider nein. Der Fontana aus der Sammlung Burda hat ja ein ähnliches Schicksal erlitten. Glücklicherweise kam das Bild aber unversehrt aus Mailand zurück. Frieder Burda hat sich entschlossen, die Geschichte seines Fontanas in seiner Biografie „Von Mougins nach Baden-Baden“ öffentlich zu machen. Dort kann man den Fall bei Interesse nachlesen.

Wie geht es nun weiter?

Mareile Büscher Wir können die Fontana-Stiftung nicht verpflichten, das Bild ins Werkverzeichnis aufzunehmen (diesen Schritt müsste sie schon freiwillig gehen). Aber wir können und werden hoffentlich erreichen, dass die Fontana-Stiftung nicht weiter behaupten darf, das Münchner Bild sei eine Fälschung. Der Fall liegt gerade beim Oberlandesgericht in München. Rechtlich geht es unter anderem um die Frage, ob die Bezeichnung eines Kunstwerks als „falsch“ eine Tatsachenbehauptung oder ein sogenanntes Werturteil ist. Der Kunstmarkt fasst Äußerungen der Fontana-Stiftung als unverrückbare Tatsache auf. Ohne Echtheitszertifikat aus Mailand nimmt kein Auktionshaus ein Werk von Fontana in die Versteigerung. Deshalb hat dieser Fall grundsätzliche Bedeutung.

Eigentlich filmreif, die Geschichte, oder?

Mareile Büscher Ja! Aber bitte mit Happy End …

Jan Hendrik Geschke Das Drehbuch hat doch Patricia Highsmith schon vorgeschrieben, mit „Ripley Under Ground“ und der Galerie „Buckmaster“ in London. Ausgerechnet im Jahr 1969, also genau, als unser Bild nach München kam.

Jan Hendrik Geschke Lucio Fontana Fälschung
Jan Hendrik Geschke ist investigativer Journalist und Kunsthistoriker, Grafikexperte und Mitglied im DJV, ADC und D&AD. © Frank Jerke

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