Zwei ukrainische Kunsthistorikerinnen arbeiten seit Kurzem im Team der Liebermann Villa in Berlin. Wir sprachen mit Oleksandra Sakorska und Olena Balun über das Netzwerk Kulturgutschutz und ein Museum, das zwei Kriege überlebte
ShareDank der Ukraine-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung sind Sie seit April beziehungsweise Mai im Team der Liebermann Villa beschäftigt. Worin liegen Ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche?
Oleksandra Sakorska Ich arbeite an einem neuen Langzeitprojekt der Max Liebermann Gesellschaft, einer Online-Plattform, die Informationen über den Künstler, sein Leben und Werk, seine Familie und sein Netzwerk bereitstellen wird. In einem ersten Schritt wollen wir grundlegende Informationen zu Liebermanns Druckgrafik zusammentragen – ein wichtiger, aber wenig bekannter Aspekt seines Œuvres, der gerade in der Liebermann Villa in einer schönen Ausstellung zu sehen war. Ich unterstütze auch das Team der Villa bei der kuratorischen Arbeit. Am Sonntag, den 19. Juni eröffnete die Ausstellung „Küste in Sicht! Max Liebermann in Noordwijk“. Sie dreht sich um Liebermanns Schaffen an der niederländischen Küste, insbesondere in Noordwijk, und zeigt Gemälde, Zeichnungen und Pastelle aus verschiedenen Privatsammlungen. Die Installation der Ausstellung war ein aufregender Moment, bei dem ich auch auf meine umfangreichen Erfahrungen mit der Organisation von Ausstellungen im Khanenko Museum in Kiew zurückgreifen konnte, wo ich zehn Jahre lang als Assistenzkuratorin gearbeitet habe. Derzeit ist mein Hauptprojekt ein Katalog der Druckgrafiken von Max Liebermann, den wir gerade auf der Grundlage der vorhandenen Literatur zusammenstellen. Dazu nutzen wir eine Plattform namens Navigating Art, die von der Hasso-Plattner-Stiftung für das Wildenstein-Plattner-Institut in New York entwickelt wurde.
Olena Balun Ich arbeite als Koordinatorin im Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine / Ukraine Art Aid Center. Ich wurde kontaktiert, weil Fachkräfte aus dem Kunst- und Kultursektor mit Bezug zur Ukraine und entsprechenden Sprachkenntnissen gesucht wurden. Bei mir kam praktischerweise alles zusammen. Ich bin sowohl als Kunsthistorikerin als auch als Dolmetscherin qualifiziert, arbeite seit mehreren Jahren als Kuratorin, bin Vorstand im Kunstverein Rosenheim und habe viel Erfahrung mit Organisation und Kommunikation. Das alles hat sich für die Arbeit als Koordinatorin als nützlich erwiesen. Zu meinen Aufgaben gehört sehr viel Vermittlung und Kommunikation zwischen der deutschen und der ukrainischen Seite. Ich muss Bedarf an Hilfsgütern in der Ukraine ermitteln und priorisieren, diese Informationen an das Netzwerk in Deutschland und in der Schweiz weitergeben, sicherstellen, ob, was und wann in die Ukraine transportiert werden kann. Bei Bedarf den Ankauf der notwendigen Güter veranlassen. Handelt es sich um spezielle Materialien, brauche ich auch manchmal Beratung, beispielsweise von Restauratoren und Restauratorinnen. Ich halte Kontakt zu den Koordinatoren und Koordinatorinnen vor Ort in der Ukraine, manchmal muss man auch Kollegen und Kolleginnen dort untereinander vernetzen. Ich bin regelmäßig als Konsekutivdolmetscherin bei den wöchentlichen gemeinsamen Zoom-Meetings des Netzwerks tätig. Als eine der wenigen Fachkräfte im Netzwerk, die beide Sprachen kann, wird man schnell zur Ansprechperson für sehr viele. Das bedeutet viele Telefonate und viel E-Mail-Verkehr – auch zu unüblichen Arbeitszeiten.
Olena Balun Das stimmt. Aber wir arbeiten ja mit einem Land, in dem Krieg geführt wird, also ist auch der Arbeitsalltag etwas anders. Logistik ist ein zweiter sehr großer Bestandteil der Arbeit. Ich koordiniere die Zusammenarbeit zwischen den deutschen Logistikern, die Lkw beladen und Papiere für den Transport vorbereiten, und den ukrainischen Transportunternehmen, die die Güter in die Ukraine bringen. Zudem halte ich Kontakt zur OSZE, die den Fahrern den Grenzübergang in Polen erleichtern.
Oleksandra Sakorska Ich bin seit Ende März in Berlin. Meine Familie musste allerdings in der Ukraine bleiben. Natürlich bin ich meinem Land immer noch sehr verbunden und kommuniziere jeden Tag mit Museen, Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen, Freunden und Freundinnen. Der Beginn des Krieges war furchtbar und erschreckend, was aus der Ferne vielleicht nicht so leicht zu verstehen ist. Ich kann immer noch nicht aufhören, an die Tage zu denken, als russische Truppen in der Nähe von Kiew standen. Wir haben sogar gesehen, wie einige von ihnen auf einem nahe gelegenen Friedhof landeten.
Olena Balun Ich lebe seit über 18 Jahren in Deutschland, habe 2014 über die ukrainische Avantgarde promoviert und danach zwei Jahre an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg Kunstgeschichte unterrichtet. 2016 habe ich angefangen als freie Kuratorin zu arbeiten. In all den Jahren bin ich ununterbrochen in Kontakt mit der Ukraine gewesen. Dort wohnt meine Familie. Uns war es schon im Herbst 2021 klar, dass so viele russische Streitkräfte an der ukrainischen Grenze kein übliches Muskelspiel Putins sind. Den Ausbruch des Krieges habe ich trotz der geografischen Entfernung sehr nah gespürt. Am 24. Februar um 05:05 hat mich die Nachricht eines Freundes erreicht, dass Kiew bombardiert wird. Das fühlte sich trotz aller Vorahnungen so surreal an. Ich habe den ganzen Tag am Telefon verbracht. Ich habe Verwandte, Freunde und Bekannte versucht zu erreichen, um mich zu vergewissern, dass sie leben. Und auch bei mir klingelte es ununterbrochen. Sehr viele Freunde und Bekannte hier in Deutschland haben sich Sorgen gemacht, wollten Unterstützung und Mitgefühl äußern, wollten irgendwie helfen. Das war sehr berührend, in diesem ganzen Wahnsinn so viel Solidarität und Liebe zu erfahren. Ich bin sehr dankbar dafür.