Informel

Rückkehr der Seelenfarben

Die Kunst des Informel war die erste Avantgarde der Bundesrepublik, ihre Maler stürzten sich in ein wildes Spiel der Farben und Formen. Auf dem Markt wie in den Museen sind sie aus dem Fokus geraten. Es ist Zeit, dass sich das ändert

Von Sabine Spindler
12.08.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 199

Wenn es etwas gibt, was die zellenartigen Strukturen Mark Tobeys, die nebulös-düsteren, strukturierten Flächen von Karl Fred Dahmen oder die schon fast monochromen, von breiten Pinselstrichen charakterisierten Gemälde Winfred Gauls verbindet, dann ist es das Antiformalistische. Wie ein rotes Band zog sich diese Haltung durch die internationale Kunstszene. In Japan trumpfte die Gruppe Gutai gegen alle Konventionen auf. Kazuo Shiraga realisierte seine impulsive und aktionistische Malerei mitunter mit den Füßen. In Italien warf Emilio Vedova mit Vehemenz – und als seien es Attacken – seine kurzen, dicht verschränkten Pinselstriche auf die Leinwand. In Österreich widmete sich Hans Staudacher als einer der ersten der Strukturmalerei. Und Arnulf Rainer brachte mit impulsiv gesetzten Strichen seine Befindlichkeit aufs Papier, bis diese Methode in seine charakteristischen Übermalungen mündete. Und dass informelle Kunst auch mit sehr viel Lebenslust verbunden sein kann, spiegelt das Werk des Wieners Markus Prachensky.

Wenn der Markt als ein Spiegel der Wertschätzung gesehen wird, dann verhielten sich Sammler noch lange reserviert gegenüber dem deutschen Informel. Erst Mitte der Achtzigerjahre, als große, nun fast schon retrospektive Übersichtsschauen in die Museen kamen und die ersten Monografien erschienen, bewegten sich die Preise. Doch der große Schub auf dem Auktionsmarkt ist bislang ausgeblieben – jedenfalls für die deutschen Maler. Schumachers Leinwand „Für Berlin“ von 1957 markiert mit 450.000 Euro bei Ketterer vor zwei Jahren wahrscheinlich den bislang höchsten Zuschlag für das deutsche Informel. Auch Götz und Hoehme kletterten über die 100.000er-Marke. Bedeutsame Werke von Peter Brüning und frühe Arbeiten von Schultze kreisen um 50.000 bis 60.000 Euro, während das Spätwerk des Letzteren kaum die 20.000 erreicht. Die Top-Preise in der achtstelligen Sphäre rufen die Amerikaner Pollock, Rothko & Co auf. Aber auch Pierre Soulages, mittlerweile 102-jährig, bewegt sich im Millionenbereich. „Das deutsche Informel ist unterbewertet, aber es wird nicht übersehen“, sagt Robert van den Valentyn, Experte für Nachkriegs- und Gegenwartskunst im Auktionshaus Van Ham. Es sei bemerkenswert, ergänzt der Insider, dass die Erlöse regelmäßig die Taxen weit übertreffen.

Markus Prachensky Tuschmalerei Informel
Rot sei für ihn Feuer und Liebe, sagte Markus Prachensky. Die zerfließende Tuschmalerei auf Büttenpapier entstand 1977 als Teil der Serie »S. Angelo Duke«. Das Bild ist in der Wiener Galerie Kovacek für 24.000 Euro zu erwerben. © Markus Prachensky / Galerie Kovacek, Wien / Foto: Hubert Zierhofer

Einer der wenigen Galeristen, die das deutsche Informel in all seinen Facetten vertreten, ist der Münchner Hans Maulberger. Schon vor fünfzig Jahren, als viele Sammler sich auf Georg Baselitz und Sigmar Polke konzentrierten, sprach ihn die Spannung und philosophische Komplexität in diesen Bildern an. Auf der Highlights in München bot er vor ein paar Jahren ein wandfüllendes Gemälde von Götz aus den Achtzigern für 300.000 Euro an. Fred Thieler, einer der farblich subtilsten Informellen, steuert mit Spitzenwerken gerade auf die 100 000 Euro zu, während die Strukturbilder von Dahmen und Conrad Westpfahl Galeriepreise im mittleren fünfstelligen Bereich ausweisen. Maulbergers Bestand ist unermesslich, mitunter hat er ganze Komplexe aus Nachlässen erworben, etwa von Rolf Cavael. „Mich interessiert nicht das einzelne Bild, mich interessiert das Werk.“

Als Maulberger ein großes Konvolut mit Arbeiten von K.R.H. Sonderborg angeboten wurde, erwarb er auch das Fotoarchiv mit 1000 abgebildeten Werken des Künstlers. Der Galerist öffnet einen Grafikschrank. Er ist randvoll gefüllt mit den heftig gestischen Tuscheblättern Sonderborgs, in denen sich Spannung entlädt und die etwas vom Improvisationgefühl des Jazzliebhabers Sonderborg verraten. Seine Farbpalette war überschaubar. Meist Schwarz-Weiß, nur manchmal setzte er einen Akkord in Rot. Die Preise für die stärksten Arbeiten sind mit 80 000 Euro noch moderat. „Ich habe immer daran geglaubt, dass das Informel einmal den Platz in der Kunstgeschichte bekommt, der ihm zusteht“, sagt Maulberger am Ende des Besuchs. Vielleicht ist das Museum Küppersmühle in Duisburg ein Schritt dorthin. Die Sammlung Ströher hängt dort wie eine kunsthistorische Nachkriegsanthologie, aber auch wie ein Bekenntnis zur Rolle des Informel in dieser Zeit. Nirgendwo hat diese Kunst einen schöneren und großzügigeren Auftritt als in der klar gegliederten Architektur von Herzog & de Meuron. Hann Trier, Karl Fred Dahmen, Gerhard Hoehme und anderen sind Einzelsäle gewidmet und die einzelnen Handschriften wunderbar herausgestellt. So erscheint der früh verstorbene Düsseldorfer Brüning als Poet des Informel. Seine Farben sind sanfter, die Malweise ist lichter und die Gestik weniger expressiv.

Lange Zeit stellte sich der informelle Kosmos als eine männliche Galaxie dar. Erst zur Jahrtausendwende entdeckte der Markt die amerikanischen Malerinnen Lee Krasner, Joan Mitchell und Helen Frankenthaler, die alle drei Schülerinnen des deutschen Emigranten Hans Hofmann waren, einem Wegbereiter des Abstrakten Expressionismus. Alle drei standen zu Lebzeiten im Schatten ihrer Malergatten – Jackson Pollock, Jean-Paul Riopelle und Robert Motherwell. Etwas bessere Bedingungen hatte eine Generation später die Österreicherin Martha Jungwirth. Nach anfänglichen Tendenzen zum Figürlichen wandte sie sich Ende der Sechziger der informellen Methode zu. In den vergangenen Jahren erfuhr die 82-Jährige einen kräftigen Schub der Anerkennung und der Marktpreise. Um die weibliche Seite dieser Kunst ans Licht zu bringen, gibt es noch viel zu tun. Eine Künstlerin, die neugierig macht, ist ab 4. Juni im Potsdamer Museum Barberini in der Ausstellung „Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945“ zwischen den Werken von Rothko, Pollock, Soulages oder Thieler zu entdecken: Judit Reigl. Ihre Arbeit „Dominanzzentrum“ ist ein getuschtes Energiebündel. Das nur nebenbei, denn im Kern der Ausstellung geht es um etwas anderes. Sie untersucht das Wechselspiel zwischen der New Yorker und der europäischen Malerei bis zum Ende des Kalten Krieges. Wer also glaubt, die Diskussion um das Informel sei schon zu Ende, der irrt. Sie geht gerade erst los.

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