Herzog Franz von Bayern

Diesseits der Geschichte

An seinem 90. Geburtstag zeigt sich der Wittelsbacher Herzog Franz von Bayern offen wie nie. Auf Schloss Nymphenburg spricht er über Freud und Leid seiner Kindheit, die Liebe zur zeitgenössischen Kunst und sein spätes Coming-out

Von Christa Sigg
13.07.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 214

In der Peppermint Lounge trafen sich dagegen die jungen Künstlerinnen und Künstler, da befand sich der Prinz einmal im Schlepptau von Robert Rauschenberg und Jasper Johns – ohne zu wissen, was die beiden beruflich trieben. Von Johns hätte er fast die legendäre US-Flagge in der Galerie von Leo Castelli erworben. 8000 Dollar wollte die Münchner Hausbank aber nicht vorstrecken. Trotzdem ging es leger zu, damals waren die späteren Blue-Chip-Maler gerade erst dabei, sich zu etablieren. Und wenn man die bekannteren Kollegen treffen wollte, nahm man das Telefonbuch, fand etwa Mark Rothko und durfte noch am selben Nachmittag vorbeikommen.

„Es gab in der New Yorker Kunstszene eine unglaubliche Ansammlung großartiger Köpfe“, schwärmt der Herzog. „Ich bin dort auf die jüdische Geisteswelt getroffen, die aus Deutschland vertrieben worden war, und das MoMA, in das ich hineingeraten bin, war ihr Treffpunkt“. Als Deutscher habe er nie irgendein Ressentiment gespürt, und nach dem Namen sei sowieso nicht gefragt worden.

Ressentiments hätten die jüdischen Sammlerinnen und Sammler noch aus ganz anderen Gründen nicht haben müssen. Allerdings konnten sie kaum wissen, wie konsequent sich die Wittelsbacher den Annäherungen Hitlers und der Nationalsozialisten entzogen hatten. Und teuer dafür bezahlen mussten. Nicht nur mit dem Exil in Ungarn. Dass die Familie ins Konzentrationslager kam, ist in Historikerkreisen zwar seit Jahren bekannt, doch das Thema drang bis auf wenige Medienbeiträge kaum in die Öffentlichkeit.

Franz von Bayern Familie
Nach der Entlassung aus dem KZ Dachau 1945: der elfjährige Prinz Franz mit Vater Albrecht und Schwester Marie Gabrielle. © Privat

Auch der Herzog macht daraus keine große Geschichte. „Unsere persönlichen Erlebnisse standen nie im Vordergrund“, erklärt er die Zurückhaltung. Im Krieg sei es jedem Kind in irgendeiner Form schlecht gegangen. Viele hätten einen Bombenregen erlebt oder ihre Eltern verloren. Natürlich, das Lager war grausam, vor allem die Leichenberge, die der zehnjährige Franz und seine drei Geschwister in Flossenbürg vor der Lagerbaracke gesehen haben. Doch den Mithäftlingen sei es noch viel schlechter gegangen, „auch das war uns immer bewusst“, betont er. Man wollte sich auf keinen Fall in Relation setzen, hätte das als unangemessen empfunden. „Es war ja unser Glück, dass wir als Familie zusammenbleiben konnten. Getrennt hätten wir das sicher nicht überlebt“, ist er überzeugt. Über die Situation wurde nie gesprochen. Um ihre Kinder zu schützen, waren Erbprinz Albrecht und seine Frau Marita, eine geborene Gräfin Drašković von Trakošćan aus Wien, unter allen Umständen darauf bedacht, Normalität zu wahren. Und doch gab es Momente, in denen alle dachten, „das ist jetzt das Ende, wir werden erschossen“.

Wie man diese Angst durchsteht? „G’heult wird nicht“, habe der Vater gesagt. Rückblickend sei das eine völlig selbstverständliche Äußerung gewesen, das hätte zu seiner Haltung gehört. Andere Zeiten eben. Dabei waren die ersten Jahre für die Kinder durchaus wohlbehütet, das heißt für Franz, die zwei Jahre älteren Zwillingsschwestern Marie Gabrielle und Marie Charlotte sowie den jüngeren Bruder Max. Dass sich der Vater mit dem Großvater, der im Ersten Weltkrieg ein Heer geführt hatte, immer wieder über das große Unrecht während des Nazi-Regimes unterhielt, habe man schon mitbekommen. Doch was damit wirklich gemeint war, konnten die Kinder nicht verstehen.

Hedwig Eberle Kopf
Aktuell zeigt die Pinakothek der Moderne die „Ungekämmten Bilder“ des Herzogs, darunter auch Hedwig Eberles „Kopf“ (2012). © Hedwig Eberle, Foto: Maximilian Rossner

Außerdem hat ihnen das sehr bodenständige Leben im ungarischen Exil ganz gut gefallen. In den Ferien spielten die Wittelsbacher mit den Kindern im Dorf bei Schloss Somlóvár nahe dem Plattensee, man genoss die Ungezwungenheit, hatte Tiere. Und erst als die Eltern im Oktober 1944 in Begleitung zweier Herren aus Budapest zurückgekommen seien, schlug etwas um, erinnert sich der Herzog. Jeder durfte nur das Nötigste mitnehmen, von einer „Ehren-Schutzhaft“ sei die Rede gewesen. Dann ging es über Wien und Weimar nach Sachsenhausen. Das war das erste Lager.

Diese düsteren Kapitel bis hin zur Befreiung aus Dachau sind tief berührend. Der Tonfall des Herzogs wird gedämpfter, und man begreift seine dezente Zurückhaltung von einer ganz anderen Seite. Auch dass es ihm widerstrebt, seine Brotreste nach einem Bankett einfach liegen zu lassen. Wer über Wochen mit einer dünnen Scheibe am Tag auskommen musste, sie in fünf Streifen aufgeteilt hat, um den Magen irgendwie ruhig zu halten, weiß um den Wert jedes Bissens und nimmt das vermeintlich Selbstverständliche anders wahr.

„Wenn man 90 wird, besteht man zu einem sehr großen Teil aus Erinnerungen“, überlegt er, „und vielleicht ist die Zeit jetzt reif, sie zu erzählen.“ Dabei spielt der Herzog auch auf seinen Lebensgefährten Thomas Greinwald an: „Ich habe nicht das Recht, im Land zu polarisieren und die Menschen in eine Situation zu drängen, in der sie für oder gegen etwas sein müssen.“

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