Herzog Franz von Bayern

Diesseits der Geschichte

An seinem 90. Geburtstag zeigt sich der Wittelsbacher Herzog Franz von Bayern offen wie nie. Auf Schloss Nymphenburg spricht er über Freud und Leid seiner Kindheit, die Liebe zur zeitgenössischen Kunst und sein spätes Coming-out

Von Christa Sigg
13.07.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 214

Aber nun sei kein Versteckspiel mehr nötig, er hätte zudem auch niemandem je etwas vorgemacht. Im Gegenteil. In der Münchner Gesellschaft war das Paar längst bekannt, und wenn Herzog Franz die Festspiele in Salzburg, Bayreuth oder eine Ausstellung besucht, dann immer mit seinem fast 30 Jahre jüngeren Partner an der Seite. Dass es bereits 2021 zu einem offiziellen Porträt kam, hat wiederum mit der Kunst zu tun. Konkret mit der Retrospektive eines renommierten Fotografen in der Kunsthalle München. „Bei Erwin Olaf konnte ich mich auf dem Niveau eines großen Künstlers äußern und nicht im Bereich von Tratsch und Schlagzeilen“, erklärt der Herzog. Die Aufnahmen der holländischen Königsfamilie taten ein Übriges. Und als alles im Kasten war, wünschte sich Olaf zur Erinnerung unbedingt noch ein Privatfoto. Kein steifes im Zweireiher, sondern ein eher familiäres im Lodenjanker. Greinwald, der aus Garmisch kommt, trägt sogar eine knielange Lederhose, zu Füßen hat es sich Dackel Beppi bequem gemacht.

Und am Ende? Gefiel vor allem diese sehr persönliche Aufnahme und hing prominent in der Kunsthalle. Denn selbst in unserer Zeit sende das Foto eine wichtige Nachricht, fand Erwin Olaf. Das Wort Toleranz lehnt der Herzog freilich ab. Es ist auch das einzige Mal, dass er ein wenig ungehalten wird: „Übersetzt bedeutet das doch, etwas zu ertragen oder zu erdulden und dass eine Sache eben doch nicht in Ordnung ist“, sagt er. „Das genügt mir heute nicht mehr, vielmehr sollte diese Partnerschaft kein Thema mehr sein.“

In Kunstkreisen war das sowieso nie der Fall, aber wenn der Herzog in diesen Tagen auf einer Veranstaltung erscheint, sind mehr Fotografen als gewöhnlich im Einsatz – in der Hoffnung, dass er nicht allein ist. Auf der anderen Seite genießt der Wittelsbacher eine Popularität, von der das Gros der Politiker nur träumen kann. Bei der Eröffnung seiner „Ungekämmten Bilder“ in der Münchner Pinakothek der Moderne war er umringt wie sonst die Stars bei Kinopremieren. Er lässt das mit Geduld und Charme über sich ergehen, genießt die Begeisterung für die zeitgenössische Kunst. Das war es doch, was ihm und den Weggefährten aus dem Münchner Galerie-Verein früher so sehr gefehlt hat: Interesse an der kreativen Gegenwart, Offenheit für das Unbekannte und das Mitziehen an einem Strang, der in die Zukunft weist.

Bei einem beträchtlichen Teil der Werke aus seinem privaten Umfeld ist leicht nachvollziehbar, wie sehr sie in den 1960er- und 70er-Jahren irritierten. Gefälliges, in diesem Fall das „Gekämmte“, hat den Herzog nie gereizt, und wenn es in seiner Sammlung einen roten Faden gibt, dann ist er rau, ja widerborstig. Das wollten auch die jungen deutschen Maler in der bleiernen Nachkriegszeit sein, von Joseph Beuys und den Schülern Jörg Immendorff, Norbert Tadeusz und Blinky Palermo über Kollegen wie Sigmar Polke bis zu Georg Baselitz, den der Herzog früh entdeckt und gefördert hat. Frauen gab es kaum, das war in den Museen nicht anders, da hat der „schlampige“ respektive wenig systematisch vorgehende Sammler nun nachgelegt. Etwa durch Arbeiten von Katharina von Werz, der kraftvollen Maria Zerres oder der Münchner Malerin Hedwig Eberle.

Künstler aus dem lokalen Umfeld waren ihm immer wichtig, das hat bei den Wittelsbachern Tradition. Wenn nun ein Quartett kleinformatiger Farbtafeln Palermos auf ein blaues Minidiptychon des passionierten Münchner Akademieprofessors Heinz Butz trifft, dann ist das eine Begegnung auf Augenhöhe, mit feinem Humor. Und vor den Wandobjekten wird deutlich, was den Herzog an Blinky Palermos gerne etwas mystifizierter Kunst so angezogen hat: das aus dem Lot Drängende, dieses Verweigern einer Einordnung zwischen einfachen Farbfeldern und Konzeptuellem, konstruktivistischen Elementen und teils witzigen Anspielungen – auf Mondrian etwa.

Wie aber hängt man solche Bilder in den eigenen vier Wänden? Der Herzog fragte vorsichtig, und Palermo kam Anfang der 70er-Jahre ohne Vertun in die damalige Wohnung an der Münchner Schackstraße. Unbeeindruckt von der völlig konträren Empire-Einrichtung legte er los, und am Ende „hat alles Sinn gemacht“, resümiert der Herzog. Von da an brachte Palermo dessen Neuankäufe regelmäßig in Position oder besser: in ein gutes Spannungsverhältnis. „Das öffnet die Augen“, sagt Franz von Bayern lachend. Und es stimmt schon: Er ist auch mit 90 noch voller Neugier.

Service

Mehr Infos

Das Buch von Franz von Bayern und Marita Krauss „Zuschauer in der ersten Reihe. Erinnerungen“ ist bei C.H. Beck erschienen (304 Seiten, 28 Euro). Die Ausstellung „Ungekämmte Bilder“ läuft bis 3. Oktober in der Pinakothek der Moderne, München.

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